
Berlin Wie die Auferstehung der Linken die Berliner Politik erschüttert
Die Hauptstadt tickte schon immer etwas anders als der Bundesdurchschnitt. So offensichtlich wie bei dieser Wahl war das aber noch nie. Erkenntnisse eines Abends, der die politische Landschaft verändert. Von Sabine Müller
Aus Berliner Sicht gab es an diesem Sonntag nicht einen Wahlabend, sondern zwei – so unterschiedlich fielen die Ergebnisse auf Bundes- und Landesebene aus. Während im Bund CDU und AfD auf den vorderen Plätzen liegen, jubelt in der Hauptstadt die Linke.

Totgesagte leben länger
Es ist gerade einmal drei Monate her, da war die Berliner Linkspartei am Boden. Einige ihrer bekanntesten Köpfe waren wegen des Streits über den Umgang mit Antisemitismus aus der Partei ausgetreten. Im BerlinTrend des rbb sagten nur fünf Prozent, dass sie die Linke wählen würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre.
Und nun geht die Linkspartei in der Hauptstadt als stärkste Kraft aus dieser Wahl hervor, das gab es noch nie. Sie holt vier Direktmandate, in Neukölln gewinnt sie sogar den ersten "westdeutschen" Wahlkreis in ihrer Geschichte – und das deutlich. Dabei trat hier kein Mainstream-Linker an, sondern mit Ferat Koçak einer, der selbst für Berliner Verhältnisse extrem links ist.
Wie ist das möglich? Zum einen kann sich die Linke bei Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz bedanken, der ihr eine perfekte Profilierungs-Steilvorlage lieferte, als er seine Migrationspläne mit Hilfe der AfD durch den Bundestag brachte. Eine solche Chance muss man aber auch zu nutzen wissen und das hat die Linke getan. Als einzige stellte sie sich gegen eine verschärfte Migrationspolitik, begeisterte mit neuem Personal gerade auch junge Leute und setzte im engagierten Haustürwahlkampf in Berlin konsequent auf das Thema Mieten und Wohnen. Ein unerwartetes, hart erarbeitetes Comeback.

AfD: Gutes Ergebnis mit Dämpfer
Keineswegs unerwartet kommt das gute Abschneiden der AfD. Sie bleibt zwar klar unter dem Bundesergebnis, kann aber im Vergleich zur letzten Wahl deutlich zulegen. Sie holt nicht nur ihr bisher bestes Ergebnis in Berlin, sondern in einem engen Rennen im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf auch durch Gottfried Curio das erste Direktmandat der AfD in der Stadt. Parteichefin Kristin Brinker wertet das Ergebnis als "optimale Voraussetzung" für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr.
Definitiv suboptimal ist es dagegen für die Berliner AfD, dass ihr für den anstehenden Wahlkampf an diesem Abend eine wichtige politische Argumentationslinie abhandengekommen ist. Seit langem redet Brinker einer "konservativen Mehrheit" auch in Berlin das Wort und am frühen Abend jubelte sie, die "rotgrüne Multikulti-Utopie" sei "krachend gescheitert". Das Berliner Ergebnis zeigt aber noch deutlicher als bisher: die Stadt tickt mehrheitlich links der Mitte. Ein Dämpfer für die AfD.
Kai Wegner muss sich Sorgen machen
Als der Regierende Bürgermeister und Berliner CDU-Chef am späten Abend erklärt, das Wahlergebnis könne "nicht zufriedenstellen", da zielt er Richtung Bundespolitik. Der Satz "Von der Debatte um die Brandmauer haben vor allem die politischen Ränder profitiert" ist eine Abrechnung mit Friedrich Merz.
Zum Abschneiden seiner CDU in der Hauptstadt – kein Wort. Dabei gäbe es dazu einiges zu sagen, denn die Christdemokraten landen in Berlin zehn Prozentpunkte unter dem Bundesergebnis der Union und können im Vergleich zu 2021 kaum zulegen.
Vermutlich hat die Landespolitik hier durchgeschlagen und das Wahlergebnis war die Quittung für den Sparkurs des Senats, der viele in der Stadt gegen die CDU aufgebracht hat. Nach diesem Wahlabend muss sich Kai Wegner fragen, ob der deutliche Sieg der CDU bei der Abgeordnetenhauswahl 2023 nur ein Ausrutscher war.

SPD in der Zange
Den Sozialdemokraten stehen nach einem desaströsen Ergebnis im Bund wie im Land sehr ungemütliche Zeiten bevor. Zum einen müssen mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr harte innerparteiliche Debatten geführt werden, wo sich die SPD in Zukunft politisch verortet.
Zum anderen dürfte die Partei in Berlin jetzt von außen gleich doppelt in die Zange genommen werden. Der Koalitionspartner CDU plant schon länger, nach der Bundestagswahl auch in Berlin den Kurs in der Migrationspolitik zu verschärfen. Von der SPD will er unter anderem die Zustimmung, in der Großunterkunft Tegel einen Abschiebegewahrsam einzurichten.
Verstärkt Druck werden auch Grüne und eine kraftstrotzende Linkspartei machen. Schon in der Brandmauer-Debatte versuchten sie auf landespolitischer Ebene einen Keil zwischen CDU und SPD zu treiben – mit dem Hinweis, dass es in Berlin eine Mehrheit links der Mitte gebe. Dies wird die SPD nun noch öfter und lauter zu hören bekommen
Harter Aufschlag in der Realität für die Grünen
Die Berliner Parteichefs träumten am frühen Abend noch von einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU um Platz eins in Berlin. Am Ende mussten die Grünen sich nach deutlichen Verlusten mit Platz drei zufriedengeben und feststellen, dass sie offenbar vor allem jüngere Wähler an die Linkspartei verloren haben.
Zwar holte die Partei drei Direktmandate, in ihrer Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg erlebte sie aber ein Debakel. Der Wahlkreis war 23 Jahre lang in der Hand der Grünen, galt als absolut sichere Bank. Nun geht er an die Linkspartei. Angesichts dessen kann es allenfalls ein kleiner Trost sein, dass es die anderen beiden Parteien der Ampel-Koalition noch schlimmer traf.
Der Senat könnte Personal an den Bund verlieren
Jenseits der parteipolitischen Implikationen könnte das Ergebnis der Bundestagswahl für Berlin auch den Weggang von politischen Personal zur Folge haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kultursenator Joe Chialo (CDU) gerne eine Ebene nach oben fallen würde, um im Kanzleramt Kulturstaatsminister zu werden. Einen guten Draht zu Friedrich Merz hat er unbestritten. Aber hat sich Chialo mit seiner Performance in der Landespolitik wirklich für die Bundesebene empfohlen? Selbst vielen CDU-lern in Berlin fällt wenig Positives zu seiner Arbeit ein. Unter der Hand heißt es, "Merz holt sich keinen Fehler ins Haus".
Bessere Chancen auf eine Position in der nächsten Bundesregierung könnte CDU-Justizsenatorin Felor Badenberg haben. Die Bundes-CDU hat sie angeblich schon seit längerem im Auge. Die eher zurückhaltende Badenberg müsste vermutlich auch nicht der ersten Reihe stehen, aber vielleicht in der zweiten, etwa als Staatssekretärin.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.02.2025, 06:00 Uhr
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