Ein Stern auf dem "Boulevard der Stars" liegt in rotem gerissenen Tartan (Quelle: dpa/dts Nachrichtenagentur).

Berlin Eine Vision, die bröckelt

Stand: 26.01.2025 08:05 Uhr

Anfang der 2000er wurde der Potsdamer Platz zum Herzen der Berliner Kinowelt. Mittlerweile ist die Berlinale dort eine der letzten Filminstitutionen: Das Filmhaus ist Geschichte, im Sony-Center ist schon längst kein Kino mehr. Was heißt das für die Berlinale? Von Lukas Haas und Nathalie Daiber

Tiefe Risse ziehen sich über den Mittelstreifen der Potsdamer Straße. Der Beton rund um Marlene Dietrichs Stern bröckelt, ihr Name verschwindet unter einem Fußabdruck. Daneben liegt Vogelkot. Wenige Meter weiter sieht es nicht besser aus: Die Gedenksterne von Wim Wenders und Bruno Ganz sind ähnlich verdreckt.

Analog zum Walk of Fame in Hollywood sollte der Boulevard der Stars vor über zwanzig Jahren Glanz und Glamour ins Berliner Stadtbild bringen. Mittlerweile ist er verwaist und steht damit sinnbildlich für das einstige Herz der Kino- und Filmstadt: den Potsdamer Platz.

 
Vom ehemaligen Zentrum des Films ist inzwischen nicht mehr viel übrig. Zahlreiche Kino- und Filminstitutionen sind in den letzten Jahren dort weggezogen. Die Berliner Filmszene hat ihren Mittelpunkt verloren; auch die Berlinale hat es dadurch schwerer. Aber es gibt auch Vorschläge, um die Idee wiederzubeleben.

Collage: Margaret Qualley; Timothée Chalamet; Jessica Chastain, jeweils bei der Berlinale. (Quelle: dpa/Aurore/Schroewig)
Diese Stars werden auf der 75. Berlinale erwartet
    mehr

Eine gescheiterte Vision

Viele Kino- und Filminstitutionen mussten in den letzten Jahren gehen: Das Cinestar im Sony-Center - einst Premierenkino für Stars wie Tom Cruise, Brad Pitt und Angelina Jolie - gibt es seit 2019 nicht mehr; das Programmkino Arsenal und die Filmhochschule dffb sind seit letztem Jahr weg. Im November verabschiedete sich schließlich auch die Deutsche Kinemathek samt Filmmuseum.

Mir wird ganz schwer ums Herz, wenn ich sehe, dass diese Vision total geplatzt ist.

"Es war eine große Vision als man hier begonnen hat, so eine Art Filmzentrum für die Stadt zu schaffen", sagt rbb-Kinoexperte Knut Elstermann. Seit Anfang der 2000er Jahre sei hier ein Netz entstanden aus Filmhochschule, Filmkunst- und Mainstreamkinos, Filmmuseum und Berlinale. "Mir wird ganz schwer ums Herz, wenn ich sehe, dass diese Vision total geplatzt ist." Übriggeblieben sind nur noch das Cinemaxx Kino und der Berlinale Palast, der allerdings hauptsächlich während des Festivals genutzt wird.

 
Dahinter stecke keine Absicht, sagt Elstermann. Die Politik habe schlicht versäumt, sich um eine Lösung zu bemühen, als das Ende der Mietverträge absehbar war. "Es war lange genug klar, dass es eine Gefahr gibt und man sich was überlegen muss. Das hat man eben nicht getan."

Die Fassade des Hotels Esplanade erstrahlt in rosfarbenem Licht (Quelle: picture alliance/Eibner-Pressefoto)

Die historische Fassade des Hotels Esplanade wurde im Sony Center in Szene gesetzt.

Eine Idee aus den 80er Jahren

Dabei stammt die Idee, ein Filmhaus am Potsdamer Platz zu bauen, aus den 80er Jahren. Noch zu West-Berliner Zeiten sollte auf dem Lenné-Dreieck ein Neubau entstehen für Filmmuseum, Kino Arsenal und Filmhochschule dffb. Der Entwurf des Architekten Hermann Hertzberger war sogar schon fertig. Das ehemalige Hotel Esplanade oder zumindest der Teil, der durch den Krieg nicht zerstört worden war, sollte mit eingebaut werden. Das Esplanade war in den 20er Jahren eines der berühmtesten Hotels Berlin. Heute ist ein kleiner Teil ins Sony Center integriert.
 
Der Mauerfall machte die Baupläne für das Filmhaus zunichte. Schnell verkaufte Berlin das Gelände an die Unternehmen Daimler-Benz und Sony. Der Elektronikkonzern hatte die Auflage, auch Platz für das Filmhaus bereit zu stellen. Gebaut wurde ein Bürohaus - nicht wirklich auf Kino, Filmhochschule und Museum zugeschnitten.

Berlinale-Chefin Tricia Tuttle spricht am 21.01.2025 beim 75-jährigen Jubiläum der Internationalen Filmfestspiele Berlin, der Berlinale, auf der Pressekonferenz im Haus der Kulturen der Welt. (Quelle: dpa-Bildfunk/Jens Kalaene)
Linklater, Jude und Hong im Wettbewerb - und vier Filme mit deutscher Beteiligung
Insgesamt 19 Filme sind bei der Berlinale im Rennen um den Goldenen und die Silbernen Bären - darunter vier Beiträge mit deutscher Beteiligung. Die 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin stehen unter der neuen Leitung von Tricia Tuttle.mehr

Auch die Berlinale leidet

Für die Berlinale ist die Verwaisung des Potsdamer Platzes zum 75. Jubiläum problematisch. "Ein Zentrum ist für ein Festival extrem wichtig", sagt Tricia Tuttle, seit 2024 Leiterin des Festivals. "Und der Potsdamer Platz funktioniert für uns nicht so gut, weil hier viele Kinos geschlossen haben." 150.000 Kinoplätze habe man alleine über die Dauer des Festivals am Potsdamer Platz verloren.
 
Aber die Berlinale hat sich um Lösungen bemüht und improvisiert: Dieses Jahr wird es neben dem Berlinale-Palast ein neues Kino im Stage Bluemax Theater mit 500 Plätzen geben, das extra für das Festival umgebaut wird. Außerdem werde man dort auch eine Festivallounge errichten, um den Austausch zu fördern. "Ich freue mich darauf, ein bisschen Atmosphäre zu kreieren", sagt Tuttle.
 
Um die Berlinale mache er sich weniger Sorgen, sagt Kinoexperte Knut Elstermann. Sie belebe die Gegend rund um den Potsdamer Platz zwangsläufig. "Aber was passiert dazwischen? Der Potsdamer Platz kann ja nicht nur leben, wenn Berlinale ist. Es war eben mal gedacht als ein Filmzentrum, ein filmhistorisches Zentrum und Zentrum für die Gegenwart der Filmkunst. Und davon ist eben nichts mehr da."

Wir können diese Situation am Potsdamer Platz einfach nicht rückgängig machen.
Filmstill aus "Ich will alles. Hildegard Knef", Berlinale 2025, Sektion: Panorama 2025 (Quelle: © Privatarchiv Hildegard Knef)
Was jetzt schon über die Berlinale 2025 bekannt ist
Nicht alle gehen hin, aber fast alle reden darüber: die Filmfestspiele in Berlin. Noch hat das Festival einige Geheimnisse, aber einiges ist über die 75. Berlinale auch schon bekannt.mehr

Mietpreise teils verdoppelt

Der Hauptgrund für das Ende des Kinozentrums sind die Mietkosten am Potsdamer Platz. Die Mietverträge im Filmhaus im Sony Center beispielsweise wurden zum Einzug auf 25 Jahre geschlossen. Nach dem Ablauf sind die Mietkosten extrem gestiegen. Filmhochschule dffb, das Arsenalkino und die Deutsche Kinemathek mussten umziehen.
 
Rainer Rother, Leiter der Deutschen Kinemathek, blickt nüchtern zurück. "Wir können diese Situation am Potsdamer Platz einfach nicht rückgängig machen", sagt er. Die Miete habe sich fast verdoppelt. "Die Renditeerwartungen der Investoren können Kulturinstitutionen einfach nicht erfüllen." Doch er hat für die nächsten zehn Jahre eine Lösung gefunden: Die Kinemathek öffnet noch 2025 vorübergehend im einst legendären Techno-Club E-Werk in Berlin-Mitte.

Blick in den neu gestalteten Innenhof des Sony Centers mit einer großen Holzbank (Quelle: dpa/Chromorange/Karl Heinz Spremberg).

Der Innenhof des Sony Centers wurde kürzlich u.a. mit Bänken umgestaltet, um zum Verweilen einzuladen.

Kino im Sony-Center – nie wirklich eine Liebesgeschichte

Man sei sehr glücklich mit dem neuen Standort, der schon für die Retrospektive der Berlinale seine Pforten öffnet, sagt Rother. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass der Potsdamer Platz mit seiner Architektur nicht unbedingt beliebt war. "Alle Institutionen haben auch immer ein bisschen gelitten", sagt Rother.
 
Denn das Filmhaus sei ursprünglich als Bürogebäude geplant gewesen und habe gar nicht zu den Anforderungen der Filmhäuser gepasst. "Um im Filmmuseum von einem Teil der ständigen Ausstellung zum anderen Teil zu kommen, musste man am Flur und an den Aufzügen vorbei. Das ist keine sinnvolle Wegführung."

Auch im Kino Arsenal sieht man das so. Stefanie Schulte Strathaus, Leiterin des Programmkinos, hat der Standort auch zu schaffen gemacht. "Es war schon eine Herausforderung, in einer Umgebung zu sein, die keine gewachsene Nachbarschaft hat", sagt sie. "Es gab dort kaum Möglichkeiten, irgendwo nach dem Kino noch gemütlich zusammen etwas essen oder trinken zu gehen." Insbesondere das Laufpublikum habe auch gefehlt. Das sei nun viel besser, denn ab nächstem Jahr werde das Kino Arsenal im Silent Green im Berlin-Wedding wiedereröffnen.

Erste Rohlinge der Berlinale-Bären sind am 16.01.2024 in der Bildgießerei Hermann Noack in Berlin zu sehen. (Quelle: Picture Alliance/ Jens Kalaene)
Berlinale-Bären: Wofür gibt es eigentlich welchen?
Der Goldene Bär ist seit 1951 der Hauptpreis der Berliner Filmfestspiele. Silberne Bären werden in verschiedenen Kategorien vergeben. Die Bärenfigur ist aber auch das Maskottchen der Berlinale.mehr

Traum vom Kinozentrum lebt weiter

Das alte Filmhaus ist nun Geschichte - trotzdem ist die Idee eines Berliner Filmzentrums rund um den Potsdamer Platz noch nicht am Ende. Die Deutsche Kinemathek hat gemeinsam mit der Berlinale und dem Filmbildungsprojekt Vision Kino ein Konzept samt Finanzierungsideen erarbeitet.
 
Demnach soll auf dem Parkplatz des Gropius-Baus ein neues Filmhaus entstehen, das Berlinale, der Deutschen Kinemathek und dem Filmbildungsprojekt Vision Kino ein neues Zuhause bietet. Laut Konzept würde die Bundesagentur für Immobilienangelegenheit das Gebäude bauen, sagt Rother. "Dann zahlt die Kinemathek, wie die Berlinale weiterhin Miete, aber diese Miete geht nicht an einen Investor, sondern fließt in den Bundeskreislauf zurück."
 
Und damit hätte die Berlinale auch endlich einen festen Sitz gefunden. Es liegt doch ein wenig Ironie in der Geschichte: Als das Filmfestival vom Zoo an den Potsdamer Platz zog, mussten viele Kinos am Kurfürstendamm und am Tauentzien dicht machen. Sie sind heute Flagshipstores oder Modegeschäfte. Am Potsdamer Platz ist jetzt scheinbar die Berlinale die letzte überlebende Kinoinstitution.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.01.2025, 18:55 Uhr