Berlin Haushaltskonsolidierung in Berlin: Zwischen alternativen Goldtöpfen und schwarz-rotem „Finanz-Voodoo“
Ein Drittel der Haushaltseinsparungen in Berlin sind, genau genommen, gar keine: Der schwarz-rote Senat will stattdessen "alternative Finanzierungsmodelle" anwenden. Dahinter verbergen sich teils komplexe Ideen - und so manches Risiko. Von Sebastian Schöbel
Das größte Bauprojekt der Humboldt-Universität Berlin (HU) erinnert zurzeit eher an einen Lost Place, den Influencer für ein bisschen digitale Aufmerksamkeit heimsuchen würden: eine Baustelle, auf der die Zeit stillzustehen scheint. Entkernte Räume, Böden ohne Estrich, die Fenster blind von Baustaub. An einem Fenstergriff hängt ein zurückgelassener Schutzhelm. An der Fassade soll ein Netz abfallende Bauteile auffangen. Hier, auf fast 14.000 Quadratmetern Nutzfläche, soll die neue Philologische Fakultät entstehen.
"Das ist für uns ein sehr wichtiges Gebäude, einfach aufgrund seiner schieren Größe", sagt HU-Präsidentin Julia von Blumenthal. "Da sollen eine ganze Reihe von Instituten rein: die Erziehungswissenschaft, die Slavistik, die Romanistik, das Sprachenzentrum, Asien-Afrika-Wissenschaften, und vor allem sollen auch wieder Seminarräume entstehen." 2029 soll alles fertig sein, 112 Millionen Euro Gesamtkosten wurden kalkuliert. Die HU gibt jedes Jahr rund fünf Millionen Euro für die Anmietung von Ersatzflächen aus, so Blumenthal. Die fast abgeschlossene Schadstoffsanierung für 3,6 Millionen Euro zahle man aus eigener Tasche. Die Planung für den nächsten Bauabschnitt seien schon fertig, sagt Blumenthal, "es hätte schon längst weitergehen können."
Doch die bereits zugesagten Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro wurden im Zuge der Haushaltseinsparungen gestrichen. Stattdessen soll das Projekt nun mit „alternativer Finanzierung“ fortgeführt werden. Das ist kein Einzelfall: Rund ein Drittel der geplanten Einsparungen in Höhe von drei Milliarden Euro will die schwarz-rote Koalition so aufbringen. Statt Ausgaben einfach zu kürzen, soll das Geld auf anderem Wege beschafft werden – und zwar so, dass am Ende der Haushalt Berlins nicht belastet wird.
Das Land könnte Kredite aufnehmen
Was nicht heißt, dass das Land Berlin dafür kein Geld in die Hand nimmt. Ein Beispiel ist die geplante Sanierung des Robert-Koch-Forums: Hier könnte das Land Berlin einen Kredit aufnehmen, das Geld dem landeseigenen Bodenfonds zukommen lassen, der damit wiederum das historische Gebäude saniert, es danach vermietet und dem Land das zur Verfügung gestellte Geld zurückzahlt. Mit der Hertie School of Governance stünde sogar schon ein Mieter bereit. Ein ähnliches Modell soll bei der Wohnraumförderung angewendet werden. Die besteht zurzeit aus Zuschüssen und Darlehen, die Investoren bekommen können und bislang komplett aus dem Haushalt finanziert werden. Die Darlehen könnte Berlin künftig stattdessen mit Krediten finanzieren, schlägt Finanzsenator Stefan Evers (CDU) vor: Berlin leiht dann Geld, um es selbst weiter zu verleihen. "Ich erwerbe einen Wert, eine Forderung gegenüber dem Darlehensgeber", so Evers. Zahlt der Investor also das Darlehen zurück, kann Berlin wiederum seinen aufgenommenen Kredit bedienen.
Ein "Topf voll Gold", aus dem man sich endlos bedienen kann, sei das aber nicht, warnt Evers: Kredite kosten Zinsen, und die belasten den Haushalt. Und die Sache hat noch einen weiteren Haken, fügt Matthias Kollatz, baupolitischer Sprecher der SPD und Ex-Finanzsenator hinzu: Diese Form der alternativen Finanzierung sei nur zulässig, wenn die Empfänger das geborgte Geld auch zurückzahlen können. Das Geschäft muss also wirtschaftlich sein, so Kollatz. "Und der Test, ob es wirtschaftlich ist, wird am einfachsten durch die Rückzahlung der Darlehen erbracht."
Wo die Grenzen liegen, zeigt sich beim Beispiel Vivantes: Die schwarz-rote Koalition will dem klammen Klinikkonzern ebenfalls Geld über eine Kreditaufnahme zukommen lassen, die Rede ist von 154 Millionen Euro. Für Ausgaben, die am Ende auch Einnahmen generieren, sei das zulässig, mahnt Kollatz. "Aber nicht als dauerhafter Verlustausgleich". Vivantes auf Pump finanziell zu stabilisieren wäre damit nicht möglich.
Wieder Kredite, aber nicht über das Land Berlin
Alternative Finanzierung geht aber auch noch anders, ohne dass das Land Berlin Kredite aufnimmt. So zum Beispiel bei den neuen Elektrobussen der BVG: Die soll nun nicht mehr Berlin kaufen, sondern die BVG selbst – und zwar indem das landeseigene Unternehmen selbst Kredite aufnimmt. Kritiker wie AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker bezeichnen diese Methode allerdings regelmäßig als "Schattenhaushalt". Sie verweisen zudem gerne auf das Beispiel der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen: Auch die haben jahrelang Schulden aufgenommen, um im Auftrag Berlins zu bauen oder Immobilien aufzukaufen, und stehen laut Landesrechnungshof inzwischen mit gut 17 Milliarden Euro in der Kreide.
Deutlich weniger riskant klingt die Methode, die bereits beim Berliner Schulbauprogramm praktiziert wird: Hier ist es die landeseigene Howoge, die im Auftrag des Senats Kredite aufnimmt, mit dem Geld Schulen baut, sie danach an das Land Berlin vermietet und dank der Einnahmen ihre Kredite abbezahlt. Was wie eine clevere Win-Win-Lösung klingt, habe allerdings auch eine Schattenseite, so Kollatz: Am Ende werde natürlich das Land Berlin doch wieder zur Kasse gebeten, bei den Mietverträgen, und die liefen gegebenenfalls sehr lange. "Insofern muss man mit diesem Instrument vorsichtig umgehen, weil man sich sonst Haushalte in der Zukunft zu sehr belegt und keine Spielräume mehr hat."
Spielräume der Schuldenbremse ausnutzen
Noch eine ganz andere Geldquelle meint der Haushaltsexperte der Linken, Sebastian Schlüsselburg, gefunden zu haben: die konjunkturbedingte Kreditaufnahme, die bei der Schuldenbremse explizit erlaubt ist. Die Idee dahinter ist simpel: Geht es der Wirtschaft schlecht, dürfen die Länder Schulden machen, um das Ungleichgewicht auszugleichen. Bis zu einer Milliarde Euro an Krediten könne Berlin noch in diesem Jahr auf diesem Wege aufnehmen, sagt Schlüsselburg, das habe auch die aktuelle Berechnung der Finanzverwaltung ergeben. Statt "nebulöse alternative Finanzierungsmodelle" auszuprobieren, könne Berlin auch diesen Weg gehen. "Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner lehnt die Schuldenbremse auch ab", so Schlüsselburg. "Dann soll er doch wenigstens die Spielräume nutzen, die sie ermöglicht." Die schwarz-rote Koalition aber lehnt das aber strikt ab: Man wolle strukturell sparen und nicht noch mehr Schulden machen, so der Haushaltsexperte der SPD, Torsten Schneider.
Die Finanzverwaltung verweist zudem auf rechtliche Hürden: Um konjunkturbedingt Kredite aufnehmen zu dürfen, müssten auch die Steuereinnahmen entsprechend sinken, was in Berlin aber nicht der Fall sei. "Finanzverfassungsrechtliches Voodoo" sei das, hält Schlüsselburg dagegen, diese Einschränkung gebe das Gesetz gar nicht her. Er wirft CDU und SPD vor, die Methode aus rein ideologischen Gründen nicht nutzen zu wollen.
HU: Ideen auf einem Hochschulgipfel besprechen
Wie die "alternative Finanzierung" der neuen Philologischen Fakultät in der Invalidenstraße aussehen wird, weiß derweil noch niemand. Sie sei offen für alle guten Ideen, sagt HU-Präsidentin Blumenthal. Ein Modell, bei dem das Eigentum beim Land verbleibt und die HU Miete an einen Investor zahlt, das Geld aber langfristig in die öffentliche Kasse zurückfließt, sei auf jeden Fall "viel besser als jetzt, wo wir den privaten Immobilienmarkt mit unseren Ersatzmieten sehr gut füttern". Ein solcher Investor könnte, sagt von Blumenthal, auch eine landeseigene Hochschulbaugesellschaft sein, die mit Geld ausgestattet wird und als Mittelsmann fungiert. Am liebsten würde sie solche Ideen auf einem Hochschulbaugipfel besprechen.
Dass aber ausgerechnet die Sanierung der Philologie als Pilotprojekt für die "alternative Finanzierung" herhalten soll, habe sie "überrascht", räumt von Blumenthal ein. "Wir haben jetzt auf jeden Fall die Bauverzögerung", so die Uni-Präsidentin, "und jede Bauverzögerung kostet bares Geld". Und das wird nicht alternativ finanziert – sondern ganz "klassisch", aus dem Etat der Humboldt-Universität.
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