Ein Mann krank in einem Büro. (Quelle: dpa/Christin Klose)

Berlin Brandenburg Interview mit Berliner Allgemeinmediziner: Welche Viren gerade kursieren und wie man sich schützen kann

Stand: 07.12.2024 08:13 Uhr

rbb|24: Guten Tag, Herr Karsten. Ich weiß von einer Berliner Schule, wo 15 von 90 Lehrern zu Wochenbeginn krankgemeldet waren. Bildet das die Lage der derzeitigen Infektions- und Erkältungswelle gut ab?
 
Peter Karsten: Ja. Soweit ich weiß, sind zurzeit etwa zehn Prozent der Bevölkerung gleichzeitig krank. Und in Schulen wird man häufiger krank. Weil dort die Kinder die Multiplikatoren sind, und sich die Lehrer dann auch anstecken.

In einem aktuellen Report der Techniker Krankenkasse heißt es, das Infektionsgeschehen habe sich durch die Coronapandemie verändert. Die Menschen hätten in den letzten beiden Wintern deutlich mehr Atemwegsinfekte als zuvor, dafür gehe die Erkrankungsdauer und -intensität zurück – beobachten Sie das auch so?
 
Ich muss im Moment viele Patienten krankschreiben. Ob es mehr sind, kann ich nicht ganz sagen. Das sind immer kleine Epidemien, in denen es phasenweise auf und ab geht. Zurzeit befinden wir uns in einer Hochphase. Aber erfahrungsgemäß geht es das schon kurz nach Weihnachten wieder runter. Ich glaube nicht, dass es sehr viel mehr ist als in anderen Jahren.

Welche Viren kursieren denn derzeit?
 
Am häufigsten haben wir die ganz normalen Erkältungs-, also die Rhino-Viren. Da sind die Leute oft nicht schwerkrank, aber es ist äußerst lästig. Es ist aber auch immer noch Corona mit dabei. Mit der Grippe geht es jetzt – in kleinem Maß – erst los. Der Grippe-Schwerpunkt ist meistens erst im Januar, Februar und März. Hinzu kommt noch das in den letzten Jahren sehr präsente RS-Virus. Das gibt es bis jetzt noch gar nicht – das erwarten wir aber nach Weihnachten.

Wie unterscheidet man einen grippalen Infekt – also eine normale Erkältung – von richtiger Grippe oder Corona?
 
Da gibt es ja fließende Übergänge. Seit wir durch Corona mehr Abstriche gemacht haben, haben wir gelernt, dass es sehr leichte Fälle von Grippe und Corona gibt und es mitunter relativ schwere Fälle von normaler Erkältung gibt. Letztlich machen wir es am klinischen Verlauf fest. Denn in der Routine bestimmt man nicht bei jedem Patienten die Viren. Unter Umständen machen die Patienten noch selbst einen Corona-Test. Wenn jemand mit einer normalen Erkältung zu uns in die Praxis kommt, machen wir gar keinen Test. Wir sehen, dass da jemand krank ist und schauen, dass er oder sie wieder gesund wird.

Unter welchen Umständen sollte sich jemand derzeit noch auf Corona testen?
 
Viele denken noch, dass Corona die schlimmere Krankheit ist. Letztlich macht es aber keinen großen Unterschied mehr. Man möchte sich ja auch nicht mit einer Erkältung anstecken. Das ist jetzt eine eigenverantwortliche Entscheidung für jeden Einzelnen – auch, weil Corona ja nach wie vor doch gefährlicher ist für die Risikogruppen wie ältere Menschen und Vorerkrankte. Wenn man mit ihnen Kontakt hat oder selbst zur Risikogruppe gehört, macht ein Test auf jeden Fall Sinn. Als junger Mensch ohne Kontakt zu Älteren ist es, glaube ich, nicht sehr wichtig, sich auf Corona zu testen.

Zurzeit befinden wir uns in einer Hochphase. Aber erfahrungsgemäß geht es das schon kurz nach Weihnachten wieder runter

Jetzt haben wir über Schulen, junge und alte Menschen und Risikogruppen gesprochen. Wen erwischt denn welches Virus?
 
Eigentlich sind die Viren allgemein in der Bevölkerung gestreut. Das Problem ist ja nur, wenn die Risikogruppen Corona, Grippe oder RSV kriegen, verläuft die Krankheit meist schwerer. Man kann das schwer an Zahlen festmachen. Wie viele Menschen leicht erkältet sind, ist aus gesundheitlicher Sicht ja auch nicht sehr wichtig. Es ist da wichtiger, die zu identifizieren und zu behandeln, die schwerkrank werden.

Nicht atmen, wenn jemand hustet oder niest, Vitamin C oder D nehmen oder mit Kochsalz gurgeln: Wie schützt man sich vor Viren oder kann sogar vorbeuten?
 
In der Corona-Zeit haben wir gelernt, dass – wenn jemand erkältet ist – die AHA-Regeln durchaus einen Effekt haben. Das sehe ich auch in meiner Praxis. Da arbeite ich bei Erkältungskrankheiten mit Maske – sonst aber nicht. Abstand und Maske bieten einen gewissen Schutz. Und auf der individuellen Ebene sind Dinge wie eine gesunde Ernährung und Vitamine grundsätzlich gut für die Gesundheit. Das ist aber keine Garantie, sich nicht anzustecken.

Warum sind manche Leute ständig krank und andere nie?
 
Das wird von ganz vielen Faktoren beeinflusst. Grundkrankheiten begünstigen beispielsweise das Erkranken. Wenn man auf junge und gesunde Menschen schaut, von denen der eine immer gesund ist und der andere sich immerzu mit irgendwas ansteckt, muss ich sagen, dass ich da nichts identifizieren kann. Ich habe solche Patienten und auch wenn ich alles abfrage wie Ernährung, Rauchen und so weiter – da bin ich auch mit sehr viel Berufserfahrung nicht weiter dahintergekommen. Ich kann aber aus eigener Erfahrung sagen, dass es bei mir gute und schlechte Jahre gibt. Mitunter ist es so, dass ich, wenn ich einmal einen Infekt kriege, ich gleich anfälliger bin und noch drei weitere Erkältungen infolge bekomme. Wie ein Boxer, der angeschlagen ist. Nicht immer ist es also so, dass man es hinter sich hat, wenn man einen Infekt hatte.

Wo sie von drei bis vier Erkältungen infolge sprechen – wie viele Erkältungen pro Jahr sind denn normal?
 
Von einer Infektanfälligkeit spricht man erst, wenn es mehr als vier mit Krankheitswert sind. Da geht es nicht darum, ob vier Mal im Jahr die Nase läuft. Und Kinder beispielsweise trainieren ja ihr Immunsystem noch. Ein Kind im Kindergartenalter wird wahrscheinlich nie mit null Infekten durchkommen.

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Apropos Krankheitswert. Wann ist man als Erwachsener zu krank zum Arbeiten, ab wann sollte ein Kind nicht in Kita oder Schule geschickt werden?
 
Das hängt von zwei Faktoren ab. Zum einen geht es da darum, wie krank man sich individuell fühlt. Dass man mit Fieber nicht arbeiten sollte, ist ja klar. Zum anderen geht es um die epidemiologische Situation. Natürlich macht es Sinn, nicht jedes kranke Kind in die Kita oder die Schule zu schicken oder selbst krank zur Arbeit zu gehen. Wer denkt, er ist unabkömmlich, kann aber mit Maske arbeiten oder – das geht ja seit Corona leichter – als Kompromiss im Homeoffice bleiben.

Wenn man jemanden trifft, der angeschlagen ist, heißt es oft sinngemäß er oder sie sei schon seit etwa fünf Tagen krank und sicher nicht mehr ansteckend. Wie lange ist eine Erkältung im Regelfall wirklich ansteckend?
 
Das wissen wir aus der Corona-Zeit ziemlich genau und es stimmt auch meistens. Der Höhepunkt liegt da in den ersten drei bis vier Krankheitstagen und nimmt dann akut ab. Deshalb musste man sich zuletzt mit Corona auch nur noch fünf Tage isolieren. Ist man länger als fünf Tage erkältet, ist man wahrscheinlich nicht mehr sonderlich ansteckend. Ein gewisses Restrisiko gibt es bestimmt aber immer noch.

Haben Sie denn für diejenigen, die sich jetzt eine fette Erkältung einfangen, irgendeinen Geheimtipp?
 
Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass ich – und da muss jeder für sich schauen, ob es von den Nebenwirkungen vertretbar ist – mit Ibuprofen gut fahre. Das ist wie ein Doping. Davon wird man zwar nicht schneller gesund. Wenn ich das nehme, sind meine Symptome aber so gut unterdrückt, dass ich aufpassen muss, dass ich mich nicht überschätze.
 
Wenn man stark verschleimt ist – da gibt es jetzt auch neue Studien, die die Wirksamkeit belegen – kann man pflanzliche, schleimlösende Substanzen nehmen. Die können zumindest hartnäckige Schleimablagerungen lindern. Aber das Virus selbst braucht einfach seine Zeit.
 
Bei einem grippalen Infekt hilft im Wesentlichen nur eins: Abwarten.

Wie steht es denn mit dem Thema Impfungen? Also wer sollte sich wogegen zu welchem Zeitpunkt impfen lassen?
 
Der Herbst ist ja die Zeit, in der immer saisonal gegen Grippe geimpft wird. Die Stiko, die Impfkommission, empfiehlt, dass Menschen über 60 und Menschen mit Vorerkrankungen gegen Grippe geimpft werden. Es bieten aber auch viele Arbeitgeber die Impfungen für die Allgemeinbevölkerung an. Und ich als Arzt würde die Grippeschutzimpfung aus epidemiologischen Gründen – also zur Verhinderung einer Epidemie – jedem empfehlen. Wir bieten das in der Praxis auch ohne Altersbegrenzung an.
 
Mit der Corona-Impfung ist es ein bisschen anders. Da gibt es ja durchaus Hinweise auf seltene Impfnebenwirkungen. Da ist es unter einer Risiko-Nutzen-Abwägung so, dass die über 60-Jährigen oder Menschen mit Vorerkrankungen – also dieselbe Gruppe wie bei der Grippe – die Impfung gegen Covid noch einmal auffrischen sollte. Jüngeren würde ich es nicht mehr empfehlen. Da weiß man, dass es sehr harmlos verläuft. Dann gibt es noch eine neue Impfung – gegen RSV. Die wird seit ganz kurzem jetzt für alle Menschen über 75 Jahre empfohlen. Da ist da Risiko zu erkranken für alle da, der schwere Verlauf trifft aber eher die noch älteren.

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Wie stehts eigentlich mit der Wirksamkeit der Corona-Impfungen für diejenigen mittleren Alters, die sich während der Pandemie haben die empfohlenen drei Mal impfen lassen?
 
Da geht es ja mehr um die Epidemiologie – also um den Impfstatus der gesamten Bevölkerung. Da vermischt sich die Impfung mit der Krankheit, die man hatte. Man weiß, dass die Krankheit zu haben, das Immunsystem noch mehr pusht als die Impfung. Da die Mehrheit der Bevölkerung zwei bis drei Mal Corona hatte ist die Immunitätslage plus Impfungen ziemlich gut. Es gibt ja kaum jemanden, der weder geimpft ist noch Corona hatte.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
 
 
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.12.2024, 10:00 Uhr