Berlin Neuer Name: Nicht mehr "Letzte Generation", aber weiter aktiv
Neuer Name, neue Formen des Protests: Die Gruppe "Letzte Generation" will sich neu erfinden. Das hat die Sprecherin der Gruppe Carla Hinrichs in einem Interview angekündigt. Der Schritt ist auch die Folge einer gescheiterten Weiterentwicklung.
Bereitschaft zur Veränderung sei immer eine große Stärke der "Letzten Generation" gewesen, findet Carla Hinrichs. Die Aktivistin spricht mit rbb|24 über die von ihr am Donnerstag angekündigten Umstrukturierungen der Gruppe. "Wir haben noch nie gesagt, wir haben einen Plan und bleiben dabei kleben", sagt Hinrichs und muss selbst ein bisschen schmunzeln beim letzten Wort.
Am Donnerstagmorgen hatte sie mit ihrem Interview im Spiegel (externer Link) aufhorchen lassen: Der Name "Letzte Generation" hat ausgedient. Die Gruppe will sich umbenennen und neu aufstellen. Wie genau, das bleibt vorerst unklar, aber man wolle künftig nicht mehr nur vor den Folgen des Klimawandels warnen, sondern helfen, die Folgen zu bewältigen.
"Letzte Generation"-Umbenennung: Weitere Details "wahrscheinlich" im März
"Es braucht nicht mehr nur ein Alarmsignal, sondern eine Art freiwillige Feuerwehr, die hilft, die ein System schafft, was in Verbindung ist, damit wir uns in einer eskalierenden Krise nicht gegenseitig bekriegen, sondern vielleicht miteinander da durchkommen", sagt Hinrichs zur künftigen Ausrichtung. Die weiteren Details müssten noch geklärt werden. "Wahrscheinlich im März" werde man mehr bekanntgeben.
Die "Letzte Generation" hatte sich 2021 gegründet und anschließend schnell große Resonanz mit radikalen Protestformen erzielt. Die waren gewaltfrei, aber höchst konfrontativ - vor allem für Autofahrer. Mit Straßenblockaden stoppten die Klimaaktivisten auch in Berlin häufig den Verkehr. Sie sorgten damit dafür, dass Klimaprotest wieder verstärkt in die Nachrichten kam – ein kurzfristiger Erfolg der Gruppe. Der Kleber, mit dem sie sich erst am Asphalt, später auch mal an Tischen in Gerichtssälen festklebten, wurde von Protestgegnern zum Symbol gemacht. Vielleicht schmunzelt Hinrichs deshalb, wenn sie sagt, die Gruppe wolle nicht an einem Plan "kleben" bleiben.
"Letzte Generation"-Aktivisten seien zusehends "erschöpft" von radikalem Protest
Das mit dem Kleben hatte die Organisation bereits vor Monaten weitestgehend aufgegeben. Es hatte seine Wirkung verloren, die Berichterstattung darüber nahm ab, zudem wurden die Proteste psychisch und physisch immer anstrengender für die Aktivisten. Einige mussten sich vor Gericht verantworten, gegen die Gruppe wird auch immer noch wegen der möglichen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.
Hinrichs verteidigte die damaligen Protestformen, die bewusst gewählt worden seien. Sie sagte aber auch, dass sie selbst "erschöpft" sei von dem, was sie in den letzten Jahren gesehen habe und was ihr auf den Straßen an Gewalt entgegengeschlagen sei.
In diesem Jahr machte die Gruppe vor allem wegen diverser Gerichtsprozesse und -urteile von sich reden. Im August wurde etwa ein 65-jähriger Aktivist der "Letzten Generation" wegen mehrerer Blockade-Aktionen zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Zuletzt beteiligte sich die Gruppe an Protesten gegen eine Konferenz zu Flüssiggas im Berliner Hotel Adlon.
Klima-Proteste: Wechsel zu Massenprotesten gescheitert
Bereits mehrfach in den letzten anderthalb Jahren hatte die "Letzte Generation" deshalb versucht, sich weiterzuentwickeln. Mobilisierungen für Massenproteste waren das Ziel. Das misslang, die Massen kamen nicht in der gewünschten Form.
Der Berliner Konfliktforscher Vincent August, Leiter der Forschungsgruppe "Ökologische Konflikte" an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist deshalb nicht überrascht vom nun erfolgten Schritt der Umstrukturierung und Umbenennung. "Die Letzte Generation hat sich ein Image als radikale Flanke der Klimabewegung zugelegt, was sie dann nicht mehr losgeworden sind", sagt August. Man habe sich gezielt so positioniert, auch wenn die breite Öffentlichkeit auf radikale Protestformen in der Regel abweisend reagiere. "Das Image, was sie sich aufgebaut haben, schränkt die Möglichkeiten ein, die danach kommen", sagt er. Mit den Möglichkeiten sei man aber längst nicht mehr effektiv und suche seit einiger Zeit Auswege aus dieser "unfreiwilligen Deeskalation" des Konflikts, so August weiter.
Insofern sei das Ablegen des Namens eine mögliche Konsequenz und Startvoraussetzung für das, was als nächstes käme. Im Nachbarland Österreich hatte sich die "Letzte Generation" bereits im Spätsommer in ihrer bisherigen Form verabschiedet (tagesschau.de).
Die Klimabewegung steht vor der Herausforderung, dass große Massenproteste nicht zur Verfügung stehen und konfrontative Aktionen nicht das Ziel erreichen.
Klimapolitik spielt im Bundestagswahlkampf eine untergeordnete Rolle
Ihren bisherigen Namen hatte sich die Protestgruppe ursprünglich gegeben, weil sie die "letzte Generation" sei, die den Klimakollaps noch verhindern könne. Darin ist nun auch die Umbenennung begründet. Neue Erkenntnisse der Klimaforschung legen nahe, dass Kipppunkte möglicherweise schon erreicht seien, beispielsweise im Amazonas, sagt Carla Hinrichs. Möglicherweise stoße der Regenwald schon jetzt mehr CO2 aus, als er speichere. Im Februar diesen Jahres hatte ein Forscherteam eine Studie mit entsprechendem Inhalt veröffentlicht (www.nature.com).
Trotzdem steht das Thema Klimawandel derzeit ein wenig im Hintergrund. Ein Problem, was nicht nur die "Letzte Generation" betrifft. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl legen nicht mal mehr die Grünen ihren Fokus darauf. Konfliktforscher Vincent August sieht dafür mehrere Gründe. Zwar habe sich der Protest erschöpft. Aber das läge an dem enormen Aufwand und den strafrechtlichen Folgen sowie an mächtiger Gegenwehr in der öffentlichen Debatte.
Gegenwehr käme beispielsweise von bestimmten Lobbyverbänden, Politikern und Medien. Sie seien in den Konflikt eingestiegen und haben recht erfolgreich die Diskussion weg vom eigentlichen Anlass des Protests gelenkt - den unzureichenden Maßnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel. Klimaaktivisten wurden vielmehr zu "Chaoten" oder "Terroristen", Gesetzesvorhaben zu "Zwang". "Es ist dann keine Klimafrage mehr, sondern eine Frage von Sicherheit, Freiheit und Wohlstand", sagt August.
Dass die Klimapolitik nun eine untergeordnete Rolle im Wahlkampf spiele, liege nicht nur daran, dass andere Sorgen die Menschen mehr beschäftigen würden, sondern auch dass der Konflikt um die Deutungshoheit zwischen der Klimaseite und ihrem Gegenüber so verlaufen sei, so August.
Kreative Protestformen für Klimaaktivismus gesucht
Darauf könne man nun unterschiedlich reagieren. Fridays for Future etwa hätte sich bereits vor einiger Zeit dazu entschieden, mehr hinter den Kulissen zu arbeiten. Allianzen mit Gewerkschaften zu bilden etwa und langsam über Gespräche mit Entscheidern zu wirken. "Das dauert allerdings", so August. Es gebe aber auch andere Möglichkeiten, in welche Richtung sich der Protest entwickeln könnte.
"Die Klimabewegung steht vor der Herausforderung, dass große Massenproteste nicht zur Verfügung stehen und konfrontative Aktionen nicht das Ziel erreichen." Damit sei das mögliche Repertoire nicht ausgeschöpft, sagt August, es gebe kreative Protestformen, mehr künstlerisch beispielsweise. Es darf gespannt gewartet werden, welchen Weg die Protestgruppe "Letzte Generation" nun geht.
Carla Hinrichs jedenfalls gibt sich Mühe, eher Aufbruchs- als Abschiedsstimmung zu erzeugen. Einen "großen Wumms", wie sie die künftige Ausrichtung schon mal nennt, mit einem Interview vorab anzukündigen, passe zur Strategie der Aktivisten. "Das hat das Ziel, nach außen Aufmerksamkeit zu generieren und nach innen zu mobilisieren", sagt Konfliktforscher August. Der Zeitpunkt – so seine Vermutung – sei ebenfalls nicht zufällig gewählt. Es gehe der Klimabewegung darum, das Thema Klimaschutz vor der Bundestagswahl nochmal auf die Agenda zu bringen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.12.2024, 9:20 Uhr