Berlin Mediaspree: Ein versprochener Uferweg symbolisiert die Kluft zwischen Planung und Realität
Nach der Wende öffnete Berlin die Spreeufer für Investoren, die Interessen der Bürger blieben oft auf der Strecke. Der versprochene Uferweg symbolisiert die Kluft zwischen Planung und Realität – auch 20 Jahre später ist er unvollständig. Von Simon Wenzel
Hinter dem ehemaligen Club Speicher, am Fuße der Oberbaumbrücke, zeigt sich der Uferweg an der Spree in seiner vollen Pracht. Zur Rechten liegt die East-Side-Gallery, links die Spree. Dazwischen ein kleiner Park mit dem breiten einladenden Weg direkt am Wasser. Am Anleger vor der Uber-Arena hat sich eine hippe Berliner Pizzeria mit einer kleinen Bude niedergelassen. Es wimmelt von Touristen, zwischendurch schlendern aber auch Berlinerinnen und Berliner.
Der Uferweg hier ist der kleine Achtungserfolg der Bürgerinitiativen. Die Bewohner von Friedrichshain-Kreuzberg hatten 2008 den Bürgerentscheid "Spreeufer für alle" mit großer Mehrheit angenommen. Das Projekt "Mediaspree" war da längst angelaufen, viele Grundstücke verkauft und erste Bagger angerollt. 50 Meter Abstand von Neubauten zum Spreeufer forderte der Bürgerentscheid, dazu eine Begrenzung für Hochhausprojekte. Stadt und Bezirk bekannten sich anschließend zum Ziel, einen 30 Meter breiten Uferweg auf beiden Seiten zu bauen. Mindestens 20 Meter davon sollten öffentlich zugänglich sein.
2024 ist auf der Kreuzberger Spreeseite noch nichts von einem Uferweg zu sehen. In Friedrichshain gibt es ihn auf rund zwei Drittel der rund 3,2 Kilometer langen Gesamtstrecke zwischen Michaelbrücke und Elsenbrücke.
Im ehemaligen Osthafen verläuft vor den großen Büros von Coca-Cola und dem ehemaligen MTV-Sitz eine Art Promenade. Grün ist der Weg hier nicht, mehr Industrie-Optik als Parkgefühl versprüht er. Ob dies das Ziel des Bürgerentscheids war? Optisch passt es aber durchaus zu den großen, teilweise denkmalgeschützten ehemaligen Hafengebäuden.
Der Uferweg an der Spree. Rechts ist der Neubau "Pier 61/64" zu sehen, dahinter erhebt sich das "Living Levels" Hochhaus.
Der Weg endet vor einem Erdhügel
Das Prunkstück des Uferweges liegt auf der stadtnahen Seite der Oberbaumbrücke. So belebt wie am Anleger vor der Uber-Arena, ist er sonst nirgends. Die meisten Menschen gehen hier von der Straße durch die Lücke in der East-Side-Gallery ans Wasser. Sie bleiben eine Weile im Park, kehren aber dann wieder zurück an die Gallery. Es ist mehr ein Park, eines der "Spreefenster", aber ohne Lust auf mehr zu machen.
Schon bis zum ersten Gebäude am Ufer schlendern nur die wenigsten in Richtung Westen. Das "Pier 61/64" erinnert optisch an ein Kreuzfahrtschiff. Auch innendrin geht es in die gleiche Richtung: Teure Wohnungen (Kaltmiete über 20 Euro pro Quadratmeter), ein Hotel und Gastro beheimatet der Neubau. Vielleicht träumten die Architekten davon, dass die Menschen später mal den Uferweg zu seinen Füßen bevölkern, wie die Schaulustigen den Pier bei der Abfahrt eines neuen Ozeanriesen zur Hochzeit der Seefahrt.
Die Realität sieht anders aus: Das Restaurant in der ersten Etage hat geöffnet, einige Menschen sitzen darin, im Erdgeschoss gibt es ein Café, das ist schon weniger besucht. Drum herum sind leerstehende Gewerbeeinheiten hinter spiegelnden Fenstern.
Der Uferweg ist eines der größten Ärgernisse am Gesamtprojekt Mediaspree
Keine Laufkundschaft, kein Geschäft könnte die einfache Formel lauten. Einige Meter weiter mündet der Uferweg in einen zugewachsenen Erdhügel. Zumindest scheinbar. Erst auf den letzten Metern wird eine Treppe sichtbar, die den Weg nach rechts fortsetzt - zumindest für Fußgänger, eine Rampe für Radfahrer und Rollstuhlfahrer sucht man vergebens.
Stadtforscher Aljoscha Hofmann blickt auf die bodentiefen Glasfenster einer leerstehenden Gewerbeeinheit. In der Spiegelung sieht man die Spree. "Der Uferweg ist eines der größten Ärgernisse am Gesamtprojekt Mediaspree", sagt Hofmann. Er ist unter anderem Berater von "Think Berlin" und hat sich mit der Entwicklung des Spreeufers zu Forschungszwecken schon seit dem Studium beschäftigt. Als "Ärgernis" bezeichnet er den Uferweg aber nicht, weil er ihn hässlich findet. Im Gegenteil: "Wir sehen einen gut umgesetzten Weg, der ist gestalterisch schön", sagt Hofmann. Breit ist der asphaltierte Weg auch, ein Fahrrad kann bequem an Spaziergängern vorbei fahren. Die eine Seite ist mit einer Steinbank versehen, Mutige können sich auch auf die Kaimauer setzen und die Füße zur Spree hinunter baumeln lassen.
"Man kommt irgendwann an ein gefühltes oder reales Ende"
Das Wichtigste aber fehlt in regelmäßigen Abständen: der Weg selbst. "Man kommt irgendwann an ein gefühltes oder reales totes Ende", sagt Hofmann. Der Erdhügel und die Treppe sind ein gefühltes Ende. Noch aus zehn Metern Entfernung denkt man, der Weg führe hier in eine Sackgasse. Wieso sollte jemand dann da reinlaufen? "Man bräuchte eine sehr starke Nutzung an diesem Ende, die einen dort hineinzieht, sonst gibt man den Menschen keine Notwendigkeit hinzugehen", sagt Hofmann. Die leerstehende Gewerbeeinheiten sprechen für sich.
Gefühltes Ende: Rechts vom Erdhügel geht der Weg eigentlich noch weiter, aber wer soll das aus der Ferne erahnen? Die Gewerbeeinheit zur Rechten steht leer.
Der Erdhügel ist gleich im doppelten Sinne ein Symbol des Scheiterns. Weil er zwei schöne Abschnitte auf dem Uferweg trennt und, weil hier mal eine Brücke entstehen sollte, die das Friedrichshainer "Mediaspree"-Ufer mit der Kreuzberger Seite verbindet und nur für Fußgänger und Radfahrer gedacht war. Der Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Brommybrücke als Steg wurde nicht realisiert. Gegenüber am anderen Ufer hat man stattdessen eine Aussichtsplattform errichtet, die zeigt, was hätte sein können. In Friedrichshain blieb der Erdhügel übrig.
Nach ein paar Stufen geht es also weiter auf dem Uferweg. Der führt jetzt noch einmal rund 300 Meter durch einen schönen Park. Rechts liegt wieder die East-Side-Gallery, links die Spree. Danach biegt der Weg aber auch schon auf seine Zielgerade ein. Durch ein Zauntor führt er deutlich schmaler und nichtmehr asphaltiert noch einige Meter weiter auf ein Privatgelände. Danach endet der Uferweg endgültig in einer Sackgasse, an der Rückseite des Energieforums. Ein schnöder Bauzaun beendet das Erlebnis Uferweg an der Spree im Jahr 2024.
Senat will keine Prognose zum Projekt abgeben
Der Bezirk schreibt auf Anfrage, es solle hinter dem Zaun bald weiter gehen. Über zwei Drittel des Weges seien zudem "im Wesentlichen" erschlossen. Auch auf dem Gelände der Wasserbetriebe soll der Uferweg künftig noch eingerichtet werden. Lediglich das Gelände des "Yaam" wird aufgrund eines historischen Gebäudes, das bis an die Wasserkante gebaut wurde, wohl keinen Uferweg bekommen. Auch der fertige Weg wird also nicht über das Prädikat "Best I can do" hinaus kommen - ein Meme im Internet, von zwei Typen in einer Pfandhaus-Fernsehshow. Sorry Berlin, mehr war nicht drin.
Ein Blick zur anderen Spreeseite macht demütig. Denn immerhin gibt es hier in Friedrichshain einen Weg. Im Süden, auf der Kreuzberger Seite ist bislang kaum etwas passiert, und vielleicht wird es das in weiten Teilen auch nie. Denn hier stehen viele Gebäude bis an die Wasserkante. Es gibt zwar Planungen für einen vorgelagerten Weg, der um die Häuser herumführen würde. Auch Städtebaufördermittel standen zur Verfügung, schreibt ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Anfrage. Da das Vorhaben aber genauso aufwendig ist, wie es klingt, glauben nur Träumer noch an seine Umsetzung. Die Sanierung der Uferwände und die statischen Anforderungen an einen Steg auf der Bundeswasserstraße Spree verhinderten das Vorhaben bisher. Der Senat schreibt deshalb: Prognosen zum Uferweg-Projekt seien derzeit "nicht möglich".
Verglichen mit der gegenüberliegenden Seite (rechts) ist der Uferweg in Friedrichshain top, denn er existiert.
Der Uferweg, den es gibt, hat neben den offensichtlichen Problemen wie Bauzäunen und Erdhügel noch ein weiteres planerisches Manko: Er ist nicht das Highlight in seinem eigenen Kiez.
"Die Besucherströme teilen sich auf", beobachtet Aljoscha Hofmann. Einige Menschen zieht es zur Arena - für Konzerte oder Sportveranstaltungen. Die haben kaum einen Grund überhaupt hierher zu gehen. Andere sind Touristen und wollen die East-Side-Gallery sehen. Die sieht man aber von der Straße am besten. Und noch dazu ist sie nur selten unterbrochen. Man muss sich also für mehrere hundert Meter festlegen, ob man am Ufer oder an der künstlerisch bemalten Mauer entlanggehen möchte.
Viele Menschen, wenig Bürgersteig: Die East-Side-Gallery
Dabei ist auch die East-Side-Gallery selbst nicht wirklich perfekt in Szene gesetzt. Aljoscha Hofmann bleibt auf dem Gehweg vor der Mauer stehen, um das zu erklären. Während er redet, teilt er unfreiwillig die Besucherströme, die rechts und links auf dem Gehweg an ihm vorbeidrängen. Drüben, auf der anderen Straßenseite hätten sie mehr Platz. Dort ist der Gehweg fast doppelt so breit.
Ständig treten Menschen zum Fotografieren der Kunstwerke auf der Mauer zwischen die parkenden Autos in der Mühlenstraße. "Sie haben es nicht geschafft, den Raum so zu gestalten, dass Menschen, die sich die Gallery anschauen und Publikumsströme ausreichend Platz haben", sagt Hofmann. Dann zeigt er zur Straße und den Bürohäusern gegenüber. Das anders zu lösen, wäre eine große Herausforderung gewesen, sagt Hofmann, "In diesem Fall hätte es sich aber vielleicht gelohnt für die Millionen Menschen, die jährlich hierherkommen."
Gedränge vor der Mauer: Die East-Side-Gallery ist beliebt, hat aber einen verhältnismäßig kleinen Bürgersteig bekommen.
Durch die denkmalgeschützte Mauer und fast schon provokant nah an sie heran gebaute Investorenbauten entstehen außerdem groteske Räume. Hinter dem "Pier 61/64" und dem "Living Levels" können sich die Menschen an der Mauer entlang quetschen, zu einem der wenigen Durchbrüche im Monument. Das ist die alternative Route zur Treppe am Erdhügel auf dem Uferweg. Die East-Side-Gallery und der Uferweg sind an dieser Stelle nur geduldet.
Uferweg als Highlight schwer umsetzbar
Die Frage ist aber auch: War in diesem Raum überhaupt eine Planung möglich, die wie in anderen Großstädten den Uferweg zum Star macht? Die große, vielbefahrene Mühlenstraße wäre schließlich immer noch da - selbst, wenn man sie ein wenig nach hinten versetzt hätte. Auch die Bahntrasse zwei Häuserblocks (und eine Arena) weiter hinten ist eine große Barriere zum kiezigen Friedrichshain. Aljoscha Hofmann ist deshalb skeptisch, ob der Uferweg von vornherein überhaupt das Potenzial zu einem wahren Berliner Highlight gehabt hätte.
"Man müsste auch bei einer anderen Gestaltung des Raumes schauen, wie man die Leute überhaupt ans Wasser kriegt. Die Straße als Barriere zu minimieren, ist hier eine echte Herausforderung", sagt er. Trotzdem hieß es noch vor 15 Jahren in den Planungsleitlinien des Bezirks, der Uferweg werde "Ausgangspunkt für Entwicklungen in die Tiefe der angrenzenden Stadtquartier". In der Realität wurde er eher ein Beiwerk, das sich seinen Weg durch und um die Investorenprojekte bahnen muss.
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