Berlin "Replay" an der Schaubühne: Im Traumata-Hamsterrad
Yael Ronens neues Drama "Replay" verhandelt Traumata, die sich von Generation zu Generation übertragen. Der Abend hat furiose Dialoge und ein fantastisches Ensemble, bleibt aber am Ende küchenpsychologisch platt. Von Barbara Behrendt
Das Leben der Natur verläuft in Zyklen. Himmelskörper ziehen ihre Bahnen in Kreisen. Der weibliche Fruchtbarkeitsrhythmus ist zyklisch. Da liegt es nahe, auch die Geschichte der Menschheit als Kreislauf zu erzählen. Die Amerikaner William Strauss und Neil Howe haben mit ihrem pseudowissenschaftlichen Werk "The Fourth Turning", das den zyklischen Verlauf der amerikanischen Geschichte behauptet, 1997 einen Beststeller gelandet. Sie sagten den Beginn des Jahrtausens als Ballung gigantischer Krisen voraus und begeisterten damit auch den Trump-Flüsterer Steve Bannon.
Geschichte, die in Zyklen von 80 Jahren verläuft
Jetzt hat der Stoff es sogar auf die Theaterbühne geschafft: in "Replay", dem neuen Stück der isrelischen Regisseurin Yael Ronen, das am Samstagabend in der Berliner Schaubühne uraufgeführt wurde. Die Figur Lotte, gerade in der Menopause, stellt darin das Buch als Lesetipp ihres Gynäkologen vor, nachdem sie sich über das Ausbleiben ihrer Periode beschwert hat.
"Das Buch behauptet, die Geschichte sei eingeteilt in Zyklen von 80 bis 100 Jahren, die unterteilt sind in vier Jahreszeiten", sagt Lotte. "Frühling: Die Zeit des High-Seins, des Aufbruchs, der Zuversicht. Sommer: Da wird die Maske abgenommen, Ideale werden hinterfragt, kulturelle Rebellion. Herbst: Zerfall institutioneller Autoritäten und zunehmende Individualisierung. Winter: die Zeit der Krise, Zusammenbruch, Kollaps, Zeit der Transformation. Wir waren schon mal hier. Der Herbst ist vorbei. Winter is coming."
Das mag beim Blick auf den Erfolg autoritärer Herrscher 80 Jahre nach dem Ende des Faschismus im ersten Moment plausibel klingen. Doch Ronen interessiert sich in in "Replay" also "Wiederholungsspiel", dann gar nicht für die Wiederholung von Geschichte, sondern für das zwanghafte Wiedererleben familiärer Traumata.
Familiendrama in der DDR
Dafür erfindet sie eine ostdeutsche Familie 1987 in Dresden – und lässt dabei von Republikflucht bis Stasi kein DDR-Klischee aus. Die Mutter, eine exaltierte Opernsängerin, die mehr an ihrer Karriere hängt als an ihren beiden Töchtern, setzt sich bei einer Konzertreise nach Bayreuth ab. Die jüngere Tochter Lulu zieht nach dem Mauerfall mit zwölf Jahren zu ihr in den Westen, die 15-jährige Lotte bleibt beim Vater wohnen. Die Zerrissenheit der kleinen Lulu, die sich mit jeder Entscheidung schuldig fühlt und zwischen Tobsuchtsanfällen und Verzweiflungstränen feststeckt, geht einem bei Carolin Haupt durch Mark und Bein.
Was mit der schrägen Diven-Mutter und den beiden plärrenden Teenagern hin und wieder – typisch Yael Ronen – bitter komisch wirkt, verfinstert sich mit dem Erwachsenwerden der Töchter zu einem Leben im Gefängnis der Determination. Der Vater, ein Alkoholiker, nimmt sich mit 50 das Leben – also muss auch Lulu einen frühen Selbstmordversuch starten und später ein Kind mit einem trinksüchtigen Konzertpianisten bekommen.
Sich verlieren in den Geschichten der Figuren
Während das fantastische Ensemble auf einem schwarzen, runden Show-Podest seine Dramen ausspielt, wird die Musik melodramatisch – und auf weißen Stoffbahnen erscheinen Bilder von einsamen Vögeln auf kahlen Bäumen oder endlose Spiralen im Schneegestöber.
Yael Ronen schreibt perfekt pointierte Dialoge zwischen Screwball-Komödie und Seelen-Drama. Den hinreißenden Schauspieler:innen und ihrem genauen realistischen Spiel ist es zu verdanken, dass man sich über weite Strecken in den bewegenden Geschichten der einzelnen Figuren verlieren kann, zuvorderst in Carolin Haupts Protagonistin Lulu: einer warmherzigen jungen Frau, die zwischen Schwester und Mutter, zwischen Liebe, Enttäuschung und Verrat ihren Weg sucht.
Küchenpsychologische Thesen
Doch umso länger der Abend voranschreitet, umso flacher wirkt die küchenpsychologische These, die er platt tritt. Weil sich neben dem Vater auch der jüdische Großvater umgebracht hat – weil der Vater ein Stasi-Spitzel war und der Großvater sich im Krieg auch nicht ganz korrekt verhalten hat, kann aus Lulus Sohn schon mit 15 gar nichts anderes werden als ein Verräter und ein Selbstmörder.
Den Lebenskreislauf liest Yael Ronen nicht als tröstliche Abfolge von Dunkelheit und Sonnenschein, sondern als Hamsterrad der transgenerationalen Traumata, dem man nicht entrinnen kann. Das folgt viel zu konsequent der hanebüchenen Determinismus-Theorie aus "The Fourth Turning". Vom freien Willen eines Menschen keine Spur. Esoterische Geschichtsentwürfe sind womöglich nicht die besten Ideengeber für die Theaterbühne.