
Brandenburg Fachtag in Neuruppin: Was tun gegen die steigende Zahl von Femiziden?
Fast täglich wird eine Frau in Deutschland von ihrem (Ex-)Partner getötet, hunderte erleben täglich häusliche Gewalt. Auch in Brandenburg steigen die Fallzahlen. In Neuruppin wurde über besseren Schutz von Frauen beraten. Von Björn Haase-Wendt
Es sind Taten, die schockieren und fassungslos machen – wie erst vor gut einer Woche in Gera. Dort hatte ein Mann in einer Straßenbahn seine Partnerin mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Der Fall hat die Diskussion um Femizide neu entfacht und zeigt, wie drängend das Thema ist. Denn auch in Brandenburg nehmen die Fälle von häuslicher Gewalt und Übergriffe gegen Frauen zu.
"Die aktuelle Polizeikriminalitätsstatistik sagt ganz deutlich, dass wir sowohl im Zweijahres- als auch im Fünfjahresvergleich eine absolute Zunahme an Fällen von häuslicher, partnerschaftlicher und sexualisierter Gewalt gegen Frauen haben", sagt Brandenburgs Gleichstellungsbeauftragte Manuela Dörnenburg beim Fachtag "Femizid und Stalking in Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin).

Dazu eingeladen hat der "Arbeitskreis Schutz bei häuslicher Gewalt in OPR", der seit 2019 im Landkreis besteht. Insgesamt gab es im letzten Jahr 6.790 erfasste Fälle von häuslicher Gewalt im Land Brandenburg, ein Plus um 7,4 Prozent im Vergleich zu 2022. "Das kann man einfach nicht akzeptieren, da müssen wir was tun", sagt Dörnenburg.

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Femizide laufen oftmals nach gleichem Schema ab
Rund 140 Vertreter und Vertreterinnen von Behörden, Polizei, Staatsanwaltschaft, Beratungsstellen und Betroffene haben beim Fachtag zum besseren Schutz von Frauen vor Gewalt beraten. Im Zentrum stand eine Studie der britischen Forscherin Jane Monckton-Smith. Sie hatte knapp 400 Fälle von Femiziden in Großbritannien untersucht und kam zum Ergebnis, dass fast alle Morde nach einem achtstufigen System ablaufen.
Das beginnt oftmals mit Eifersucht und Besitzansprüchen durch den Partner schon früh in der Beziehung und führt dann in eine Art Kontrollzwang bis zum Stalking, erklärt Lydia Sandrock, Psychologin beim Verein Opferhilfe Land Brandenburg: "Das Herzstück ist wirklich die Kontrolle. Zum Teil haben wir erlebt, dass die Frau kritisiert wird, weil sie atmet und sie dadurch auch ihr Leben verändert."
In anderen Fällen versuchen die Partner, die Betroffenen in eine Art Isolation oder finanzielle Abhängigkeit zu bringen, stellen ihnen nach, werden gewalttätig und versuchen, das Selbstwertgefühl der Frauen zu zerstören. "Ich hatte einen Fall in der Beratung, da hat der Mann seine Frau nicht mehr mit dem Namen angesprochen, sie auch teils bespuckt", schildert Sozialarbeiterin Regina Röder von der Opferhilfe ihre Erlebnisse. Ein Problem sei, dass viele betroffene Frauen diese Handlungen oftmals nicht als missbräuchliches Verhalten erkennen und auch Außenstehende diese nur schwer feststellen können.

Trennung als Trigger
Kommt es nach den "Machtmechanismen" dann zur Trennung oder wird sie auch nur angedroht, kann das Auslöser für eine verheerende Tat sein. "Laut der Studie gibt es drei Merkmale, wenn diese kombiniert auftreten, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Mord um 900 Prozent. Das sind die Kontrolle, die Gewalt und die anschließende Trennung", erklärt Lydia Sandrock.
Wichtig sei es deshalb, schon frühzeitig die Muster zu erkennen und auch das Stalking zu unterbinden. "Das heißt auch eine frühzeitige Strafverfolgung nach dem Stalking, auch wenn immer wieder neue Dinge dazukommen. Bisher ist es oftmals so, dass es heißt: Wir können die Akte noch nicht schließen", sagt Lydia Sandrock, die in Neuruppin betroffene Frauen berät.
Auch sollte das Umfeld bei Offenbarungen reagieren, sei es, wenn die Frau sich anderen gegenüber öffnet. "Oder der Mann Dinge sagt wie: Ich würde sie am liebsten umbringen", fügt die Psychologin hinzu, die sich zur Prävention von Femiziden auch mehr Befugnisse durch die Polizei wünscht.
In Brandenburg kann diese nach einem Vorfall von häuslicher Gewalt die Beratungsstellen bisher nur informieren, wenn dazu das Einverständnis der betroffenen Frau vorliegt. "Ich denke, es wäre gut, wenn sich das ändert – wir also proaktiv auf die Frauen zugehen können. Die Frauen haben trotzdem die Möglichkeit, die Beratung abzulehnen – das ist gar kein Problem", sagt Lydia Sandrock.
Insgesamt brauche es mehr Informationen über die Beratungsangebote, dass Frauen überhaupt wissen, wo sie sich bei Hilfsbedarfen hinwenden können. Auch müsse es ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft zu den Machtmechanismen geben. "Wir erleben oftmals eine Schuldverschiebung. Also die Frau macht nicht, was ich sage, und sie macht nur Schwierigkeiten und der Mann führt sich dann als Opfer. Aber das ist ja eine Schuldumkehr. Die Frauen sind nicht schuld, wenn sich der Partner so verhält." Fachtage wie jetzt in Neuruppin würden dabei helfen.

Mehr Schutz für Frauen beschlossen
Positiv sieht die Psychologin das jüngst auf Bundesebene beschlossene Gewalthilfegesetz. Mit ihm soll es einen bundesweit einheitlichen Schutz für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen geben. Unter anderem soll ab 2030 ein Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe gelten. Auch sollen die Hilfssysteme und -Angebote wie Frauenhäuser, Beratungsstellen und Schutzwohnungen ausgebaut werden.
"Auch kann die Polizei die bisherige 14-tätige Wegweisung nochmals um 14 Tage verlängern, auch können bei Gericht Bußgelder beantragt werden, wenn sich der Täter nicht an die Kontakt- und Näherungsverbote hält. Da gibt es durchaus einige Verbesserungen", sagt Sandrock.
Zur Diskussion stehe noch der mögliche Einsatz einer Fußfessel bei schweren Fällen von Stalking. Auch Brandenburgs Gleichstellungsbeauftragte Manuela Dörnenburg begrüßt die neuen Regelungen, allerdings greifen die Maßnahmen ihrer Ansicht nach nicht schnell genug und es würde zu lange dauern, bis die neuen Schutzplätze geschaffen sind. Und auch bei der Täterarbeit sieht sie im Land Brandenburg Nachholbedarf.
Bislang gebe es landesweit drei Anlaufstellen, an die sich Männer wenden können, wenn sie etwa zu Gewalt gegen Frauen neigen. "Das ist absolut zu wenig. Wir brauchen dringend mehr präventive Arbeit, gerade dort wo Männer sagen 'mit mir stimmt etwas nicht und ich kann nur gewalttägig auf eine Krise reagieren, ich möchte aber etwas dagegen tun'", sagt die Landesgleichstellungsbeauftragte.
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