Menschen gehen im Sednaya-Gefängnis umher, während syrische Rettungskräfte am 9. Dezember 2024 in der Einrichtung in Damaskus nach möglichen versteckten Kellern suchen. Syrische Rettungskräfte durchsuchten das Sednaya-Gefängnis, das als Synonym für die schlimmsten Gräueltaten der Herrschaft des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad gilt. (Quelle: dpa/Ugur Yildirim/DIA Images/ABACAPRESS.COM)

Brandenburg Berlin Berliner Menschenrechtler drängt auf Sicherung von Akten und Tatorten in Syrien

Stand: 12.12.2024 13:26 Uhr

Nach dem Umsturz in Syrien stürmen Menschen Gefängnisse auf der Suche nach Vermissten, während Ermittler Beweise für die Greueltaten des Assad-Regimes sichern. An der Aufarbeitung der Verbrechen beteiligt sich eine Organisation in Berlin.

Tausende Kilometer von Berlin entfernt haben Geheimdienste des Assad-Regimes jahrelang systematisch Menschen entführt, gefoltert und ermordet. Während der Verbleib vieler Täter ungewiss ist, haben zahlreiche Opfer und deren Angehörige in Deutschland Zuflucht gefunden.
 
Weil das Völkerrecht die Ahndung von Kriegsverbrechen, Folter und Massenmord auf der ganzen Welt ermöglicht, könnten Ermittler in Deutschland künftig eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der Verbrechen spielen.
 
Die Berliner Menschenrechtsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) unterstützt seit Jahren die Ermittlungen zu Diktaturverbrechen in Syrien. Im Gespräch mit rbb|24 spricht ECCHR-Jurist Patrick Kroker über die Suche nach Beweismitteln in einem Syrien nach Assad - und über die Chancen, die Täter vor Gericht zu stellen.

rbb|24: Herr Kroker, nach dem Sturz Assads sind Videos aus syrischen Foltergefängnissen um die Welt gegangen - von Gebäuden, die Ermittler auf der ganzen Welt vorher nie von innen gesehen haben. Was bedeutet der Umsturz in Syrien für die Ermittlung der Straftaten des Assad-Regimes?
 
Patrick Kroker: Massenhaft Beweise, die an Orten wie dem Sadnaya Gefängnis, militärischen Einrichtungen oder dem Geheimdienstarchiv liegen, werden jetzt zugänglich. Diese Beweise sind aus historischer, gesellschaftlicher und aus juristischer Sicht extrem wichtig für die Aufarbeitung von Jahrzehnten der Diktaturverbrechen.
 
Wir haben mit ECCHR in Deutschland schon einige Strafverfahren wegen Staatsfolter in Syrien unterstützt und begleitet, darunter das Koblenzer Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Al-Khatib-Gefängnis in Damaskus. Niemand hatte Zugang zu den syrischen Tatorten, wir hatten nur Satellitenbilder des Gebäudes. Auch wenn die bisherigen Verfahren erfolgreich waren, hat das unsere Arbeit erschwert, weil die Zeugenaussagen nicht abgeglichen werden konnten. Davon abgesehen müssen jetzt alle wichtigen Gegenstände, Folterinstrumente, Dokumente und anderen Spuren gesichert werden, damit sich irgendwann eine syrische Justiz mit diesen Dingen beschäftigen kann.
 
Worauf hoffen die Ermittler in Assads Geheimdienstzentralen zu stoßen?
 
Das Assad-Regime ist bekannt dafür, alle Aktionen akribisch zu dokumentieren. Die Geheimdienstzentralen werden unzählige Dokumente enthalten, insbesondere wurde über Hunderttausende, die in den Folterkellern eingesperrt waren und verschwunden sind, mit großer Sicherheit Buch geführt.
 
Angehörige, die noch einen Funken Hoffnung haben, stürmen jetzt in die Gefängnisse, um diese Menschen zu suchen. Wahrscheinlich werden die Wenigsten dort ihre Angehörigen vorfinden. Aber auch vom möglichen Tod ihrer Angehörigen müssen sie erfahren. Wenn in den nächsten Wochen und Monaten Massengräber entdeckt werden: Auch diese sind für die juristische Aufarbeitung und für die Suche der Menschen nach verschwundenen Angehörigen extrem wichtig.

Kurz nach dem Umsturz ist die Lage in Syrien unübersichtlich. Wer bekommt Zugang zu den Tatorten?
 
Das wird die alles entscheidende Frage der nächsten Wochen und Monate sein. Meines Erachtens sollte die UN voranschreiten, sich mit den neuen Machthabern abstimmen und von Regierungen so ausgestattet werden, dass sie anbieten kann, durch ihren bereits 2017 geschaffenen, unabhängigen Untersuchungsmechanismus die Beweise zu sichern.
 
Wenn das jetzt private Initiativen oder Einzelpersonen übernehmen, dann könnte sich das ganze verlaufen und in zu viele verschiedene Hände geraten. Vielleicht sogar in Hände, die diese Beweismittel verkaufen wollen. Es wird nämlich sicher Geheimdienstinformationen des Assad-Regimes geben, die für andere Geheimdienste interessant sind. Deswegen sollte es eine Institution machen, die über das nötige Know-How und über Legitimität verfügt. Wenn jetzt jeder losstürmt, dann kann man viel kaputtmachen.

Gibt es in Syrien Gruppen, die die Ermittlungen und die Sicherung von Beweismitteln stören könnten?
 
Das ist eine unserer Sorgen. Es wird eine große Gruppe an Leuten geben, die nicht wollen, dass die Tatorte richtig gesichert werden, weil sie eine Aufarbeitung verhindern wollen.
 
Möglicherweise sind das auch die Geheimdienste in der Region und darüber hinaus. Syrien ist seit Jahrzehnten in der Region Dreh- und Angelpunkt, ist sicherheitspolitisch in mehrfacher Hinsicht relevant: in Bezug auf die Hisbollah, den israelisch-palestinensischen Konflikt, den sogenannten 'War on Terror' der USA. Da gibt es mit Sicherheit viele, die auch ein Interesse daran haben, dass manche Dinge unter Verschluss bleiben.

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Geht ECCHR davon aus, dass in den nächsten Tagen Geheimgefängnisse gefunden werden?
 
Davon ist auf jeden Fall auszugehen, und es sollte jetzt eine besondere Priorität darauf gelegt werden, diese Orte zu finden. Die Weißhelme der UN haben Belohnungen für Hinweise ausgesetzt, die zu den Geheimgefängnissen führen, weil die Inhaftierten dort jetzt möglicherweise dabei sind zu verdursten und zu verhungern. Weil die Wärter vielleicht schon geflohen sind und niemand von diesen Orten weiß.
 
Die Orte, an denen am meisten zu finden sein wird, was juristisch und später auch historisch bedeutsam sein wird, sind auf jeden Fall die Geheimdienstzentralen. Die waren das Rückgrat des Regimes und haben die Staatsfolter maßgeblich in die Tat umgesetzt.
 
Vor einiger Zeit sind bereits Beweismittel an die Weltöffentlichkeit gedrungen durch die sogenannten Cäsar-Fotos. Da hatte jemand mehrere Zehntausend Bilder von zu Tode gefolterten Menschen und deren Leichnamen aus Syrien herausgeschmuggelt.
 
An diesem Material hat man Verschiedenes ablesen können, das Ausmaß an Brutalität, das zahlenmäßige Ausmaß und auch wie sehr dokumentiert worden ist.
 
Viele dieser fotografierten Leichname werden in Massengräbern verscharrt worden sein. Einige solcher Orte sind bekannt. Wir haben auch in deutschen Verfahren Aussagen über die Existenz von Massengräbern in Syrien erfahren. Es gibt auch Satellitenbilder, auf denen Erdhügel zu sehen sind, die kurz vor der Aufnahme dieser Bilder noch nicht da waren. Es gibt höchstwahrscheinlich Tausende von Leichen, die in diesen Massengräbern vergraben wurden, in und um Damaskus, wahrscheinlich auch in anderen Landesteilen. Für die Suche nach den Verschwundenen aber auch für die juristische Aufarbeitung sind das ganz wichtige Orte.

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Sie beteiligen sich mit ECCHR schon seit Jahren an der Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Clans in Syrien - allerdings von Berlin aus. Wie funktioniert das?
 
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat als eine der ersten Staatsanwaltschaften weltweit angefangen, auf Grundlage des Weltrechtsprinzips Beweise zu diesen Verbrechen in Syrien zu sammeln. In dem Bereich ist sie noch immer eine der aktivsten Staatsanwaltschaften weltweit. Mit dem ECCHR haben wir in Deutschland aber auch in Frankreich und Schweden Zeugen vermittelt und Ermittlungen unterstützt, indem wir Beweise geliefert haben.
 
Bis vor wenigen Tagen war es noch so, dass wir ausschließlich mit Betroffenen und mit Zeuginnen und Zeugen zusammengearbeitet haben, die in Deutschland oder in Europa waren, die sich an uns gewandt haben über Aktivisten oder Anwälte, mit denen wir zusammenarbeiten. Jetzt können wir auch Menschen und NGOs in der Türkei, Jordanien oder Syrien selbst einbeziehen.
 
Gleichzeitig fordern wir die Ermittlungsbehörden auch auf, nicht nur einfach Beweise zu sammeln, sondern auch Täter im Ausland zu ermitteln, wenn die nicht greifbar sind. So etwas kann sich ändern. Deswegen haben wir auch Haftbefehle gefordert gegen die Führungsriege in Syrien, damit genau ermittelt wird, wer die Hauptverantwortlichen sind.

Ein Blick ins Innere des Hama-Gefängnisses, nachdem bewaffnete Gruppen, die sich dem Regime von Baschar al-Assad widersetzen und von Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) angeführt werden, am 7. Dezember die Kontrolle über das Stadtzentrum von Hama in Syrien übernommen haben. Diese Gruppen kämpfen seit dem 27. November gegen die Regimekräfte. (Quelle: dpa/Kasim Rammah / Anadolu)

hama

Auf welche Täter wird jetzt der Fokus gelegt - geht es da um Assad selbst und dessen engsten Kreis - oder auch um einzelne Personen, die sich als Handlanger des Regimes in verschiedenen Regionen an den Gräueltaten beteiligt haben?
 
Die Liste ist sehr lang, weil einfach unfassbar viele Verbrechen begangen worden sind. Die Geheimdienste sind sicherlich ganz oben, weil sie für dieses Foltersystem stehen wie keine andere Entität des syrischen Staates.
 
Grundsätzlich muss man entscheiden, ob man sich jetzt die Haupttäter herauspickt, dann würde man sicherlich mit Assad anfangen. Oder ob man strategisch schaut, wer vielleicht greifbar ist, wer vielleicht in ein Land geflohen ist, wo die Möglichkeit besteht, dass er ausgeliefert wird. Ich glaube, das ist vielleicht der bessere Weg. Neben der politischen Führung und den Geheimdiensten steht auch die Armee im Fokus, weil ja zum Beispiel auch der Einsatz von Chemiewaffen und Fassbomben Verbrechen sind, für die es irgendwann Aufarbeitung geben muss.
 
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in Syrien jetzt hochrangige Vertreter des Assad-Regimes findet, die sich noch nicht ins Ausland abgesetzt haben?
 
Am Dienstag gab es einen Bericht über ein Flugzeug voll mit Tätern aus Syrien, das nach Bengasi aufgebrochen sein soll. Entweder um dort zu bleiben oder um sich weiter durchzuschlagen nach Russland oder nach Europa oder anderswohin. Eine unserer Quellen sagte, dass einige Täter vorgesorgt haben könnten, indem sie sich in kleineren lateinamerikanischen oder karibischen Staaten eine Staatsbürgerschaft besorgt haben, die nicht mit internationalen Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Aber es wird mit Sicherheit auch genügend Täter geben, die den letzten Flug nach Moskau verpasst haben. Deshalb ist es neben der Sicherung von Beweismaterial wichtig, Täter auf dem Radar zu haben und sie zu ergreifen.

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Wie wahrscheinlich ist das Szenario, dass flüchtige Täter über eine Interpol-Fahndung an Flughäfen außerhalb Syriens gefasst und verhaftet werden? Selbst, wenn manche nach Lateinamerika wollen, müssen sie vorher irgendwo umsteigen.
 
Das stimmt, diese Möglichkeit besteht, allerdings ist Interpol erstmal nur eine Art Meldesystem, in dem sich die Sicherheitsbehörden vieler Staaten vernetzen. Die Entscheidung, was dann passiert, ob ein Verdächtiger ausgeliefert wird oder nicht, ist dann oft von zwischenstaatlichen Verträgen abhängig und deshalb oft politischer Natur. Denkbar ist aber auch, dass wenn es etwa nach Ermittlungen der deutschen Bundesanwaltschaft zu Haftbefehlen gegen syrische Verdächtige kommt - wie es zum Beispiel beim Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes der Fall ist -, ob man nicht dann sogar auf klassische Interpol-Kanäle verzichtet. Denn in dem Moment, in dem man die Täter auf diese Fahndungsliste setzt, bekommen alle Interpol Mitgliedstaaten Kenntnis davon - und damit könnten die Verdächtigen möglicherweise vorgewarnt werden.
 
Herr Kroker, vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Gespräch führte Roberto Jurkschat

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