Brandenburg Berlin Was bedeutet das neue Wahlrecht für Berlin und Brandenburg?
Bei der kommenden Bundestagswahl gilt ein neues Wahlrecht. Das Parlament wird kleiner, die Erststimmen unwichtiger. Eine Partei dürfte am Wahlabend deshalb wohl zittern. Und: In der Region könnten mehrere Wahlkreis-Sieger leer ausgehen.
Rund 4,5 Millionen Menschen in Berlin und Brandenburg sind am 23. Februar bei der kommenden Bundestagswahl wahlberechtigt. Für sie bleibt am Wahltag alles beim Alten: Ein Kreuz für die Erststimme, eines für die Zweitstimme, fertig. Doch ihre Stimmen könnten die Zusammensetzung des Parlaments anders als bisher beeinflussen, denn die Bundesrepublik hat ein neues Wahlrecht.
22 Abgeordnete aus Berlin, 21 aus Brandenburg
Eines steht vor der Wahl bereits fest: Im neuen Bundestag werden exakt 630 Abgeordnete sitzen – 22 davon aus Berlin, 21 aus Brandenburg. Das neue Bundeswahlgesetz, das der Bundestag 2023 verabschiedete, sieht eine faktische Verkleinerung des Parlaments vor und legt eine feste Anzahl an Abgeordneten fest. Denn in der Vergangenheit hatte sich der Bundestag durch sogenannte Überhangs- und Ausgleichsmandate immer wieder vergrößert – zuletzt auf 733 Abgeordnete und damit mehr als in Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt.
Die Wahlreform hat die Erst- und Zweitstimme beibehalten. Mit ihrer Erststimme wählen Bürgerinnen und Bürger einen Direktkandidaten oder eine Direktkandidatin in ihrem Wahlkreis, die Zweitstimme geht an eine Partei. Im neuen Wahlrecht ist die allein die Zweitstimme maßgeblich für die Zusammensetzung des Bundestages. Überhang- und Ausgleichsmandate wurden nämlich abgeschafft. Diese entstanden, wenn eine Partei durch gewonnene Direktmandate mehr Abgeordnete erhielt, als ihr entsprechend dem Zweitstimmenergebnis zustand.
Ein Wahlkreissieger kann leer ausgehen
"Zweitstimmendeckungsverfahren" ist das Wortgeschöpf, das eine zentrale Änderung des Bundeswahlgesetzes [bundeswahlleiterin.de] beschreibt. Demnach werden künftig Direktmandate aus den 298 Wahlkreisen nur zugeteilt, wenn sie durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sind. Das bedeutet: Ein Wahlkreissieger oder eine Wahlkreissiegerin zieht nicht zwingend in den Bundestag ein.
Konkret sieht der Ablauf so aus: Die 630 Abgeordneten werden proportional nach dem Zweitstimmenanteil auf die Parteien verteilt. In einem zweiten Schritt werden die Sitze der jeweiligen Partei auf ihre Landeslisten verteilt – basierend auf den Wahlergebnissen in den einzelnen Bundesländern. So wird die Zahl der Sitze ermittelt, die einer Partei in einem Bundesland zustehen.
Bevor die Kandidaten auf der Landesliste dran sind, werden diese Sitze zunächst den Wahlkreissieger – also den Direktkandidaten mit den meisten Erststimmen – der Partei zugeteilt. Dabei werden die Sieger nach dem höchsten Erststimmenanteil gereiht. Ist die Zahl der Wahlkreissieger einer Partei größer als Zahl der Abgeordneten, die der Partei nach dem Zweitstimmenanteil zustehen, erhalten die Letztplatzierten dieser Reihung kein Direktmandat. Ein Wahlkreissieger kann also leer ausgehen.
SPD hätte in Brandenburg drei Direktmandate verloren
Genau das könnte in Brandenburg passieren: Laut einer Musterberechnung der Bundeswahlleiterin [bundeswahlleiterin.de] hätten bei der Bundestagswahl 2021 drei Wahlkreissieger der SPD kein Direktmandat erhalten, wenn damals das neue Wahlrecht gegolten hätte. Denn die Partei gewann in allen zehn Brandenburger Wahlkreisen, ihr wären aber nach dem Zweitstimmenergebnis nur sieben Sitze zugestanden. Betroffen wären die Wahlkreise Oberhavel – Havelland II, Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II und Märkisch-Oderland – Barnim II gewesen. Dort erhielten die drei siegenden Direktkandidaten der SPD die niedrigsten Erststimmenanteile im Bundesland.
Außerdem wären mehrere Ausgleichsmandate entfallen. In Berlin wäre das nicht der Fall gewesen, da es dort wie bereits bei der Wahl im Jahr 2017 keine Überhangs- und Ausgleichsmandate gab.
Grundmandatsklausel für die Linke wohl entscheidend
Das vom Bundestag beschlossene Wahlrecht sah zudem die Abschaffung der Grundmandatsklausel vor. Diese Regelung ermöglicht es Parteien, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, dennoch in den Bundestag einzuziehen – wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. In diesem Fall entsendet die Partei so viele Abgeordnete, wie es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Ausnahmen gelten weiterhin für Parteien nationaler Minderheiten. Da das Bundesverfassungsgericht diesen Teil der Wahlrechtsreform im Juli als verfassungswidrig erklärte, bleibt die Grundmandatsklausel auch bei der Wahl im Februar bestehen.
In der Region hat diese Ausnahme besondere Bedeutung: Die Linke hofft, trotz schlechter Umfrage-Ergebnisse ins Parlament einzuziehen, indem sie wie 2021 deutschlandweit mindestens drei Direktmandate gewinnt. Bei der vergangenen Bundestagswahl sicherte sich die Linke zwei Direktmandate in Berlin (Lichtenberg und Treptow-Köpenick). Um zumindest ein Direktmandat in Berlin zu gewinnen, tritt der mittlerweile 76 Jahre alte Gregor Gysi als Teil der "Mission Silberlocke" erneut in Treptow-Köpenick an.
Ein Wahlkreis wird größer, ein anderer kleiner
Nichts mit dem neuen Wahlrecht zu tun hat eine weitere Neuerung, die zwei Brandenburger Wahlkreise betrifft. Diese werden aufgrund der Bevölkerungsentwicklung angepasst – der eine wird kleiner, der andere größer. Aus "Dahme-Spreewald – Teltow-Fläming III – Oberspreewald-Lausitz I" wird "Dahme-Spreewald – Teltow Fläming III". Der Wahlkreis "Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II" wird vergrößert und heißt fortan "Elbe Elster – Oberspreewald-Lausitz". Insgesamt gibt es in Brandenburg weiterhin zehn Wahlkreise, in Berlin sind es zwölf.
Ob all die Neuerungen im Wahlrecht auch bei der übernächsten Bundestagswahl gelten werden, ist ungewiss. Die Union hat bereits angekündigt, die von der Ampelparteien durchgesetzte Wahlrechtsreform zurückzunehmen zu wollen. Die Unionsparteien CDU/CSU und die Linke waren große Kritiker der Reform. Da die Grundmandatsklausel am Ende bestehen bleibt, hat die bayerische CSU am Wahlabend voraussichtlich wenig zu befürchten. Die Linke hingegen wird wohl mit Spannung auf das Ergebnis in Treptow-Köpenick blicken.