Bremen Vor 50 Jahren: Wer legte die Bombe am Bremer Hauptbahnhof?
Am 7. Dezember 1974 explodierte ein Sprengsatz in der Eingangshalle des Hauptbahnhofs. Sechs Menschen wurden verletzt. Bis heute konnte der Fall nicht aufgeklärt werden.
Die Bremer Innenstadt ist voller Menschen am diesem Samstagnachmittag im Dezember 1974. Und so herrscht auch in der Haupthalle des Hauptbahnhofs ein geschäftiges Treiben. Viele Menschen haben den verkaufsoffenen Samstag genutzt, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Andere kommen unverrichteter Dinge vom Weser-Stadion zurück. Das geplante Nordderby zwischen Werder und dem HSV an diesem Nachmittag ist wegen starker Regenfälle kurzfristig abgesagt worden.
Um 16.14 Uhr durchzieht ein ohrenbetäubender Knall die Halle. Die "Bremer Nachrichten" beschreiben in ihrem Bericht einen "Feuerball", der sich durch das Bahnhofsgebäude wälzt. Wie durch ein Wunder kommt niemand ums Leben. Sechs Menschen werden verletzt, darunter ein 17 Jahre altes Mädchen. Sie wird in einer Telefonzelle von einem Gegenstand am Kopf getroffen – und das immerhin 30 Meter von der Detonation entfernt.
Sprengsatz im Autofeuerlöscher
Die Wucht der Bombe muss also enorm gewesen sein. Schon am Montag darauf berichten die Zeitungen über weitere Details. Der Sprengsatz war im Schließfach mit der Nummer 66 versteckt, eingebaut in die Hülle eines Autofeuerlöschers. Verantwortlich gemacht wird ziemlich schnell die "Baader-Meinhof-Bande", wie die "Rote Armee Fraktion", kurz RAF, damals noch in der Öffentlichkeit bezeichnet wird.
Doch die RAF will mit dem Bremer Anschlag nichts zu tun haben. Ebenfalls am Montag nach der Tat veröffentlicht die in Stuttgart-Stammheim inhaftierte Führung der RAF eine Erklärung. Darin schreiben Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe: "Aktionen der RAF richten sich niemals gegen das Volk."
Anschlag passte nicht in RAF-Logik
Tatsächlich wäre ein Anschlag auf einen Bahnhof voller Passanten in der Logik der RAF-Terroristen von 1974 ungewöhnlich. Ihre Anschläge richteten sich damals etwa gegen US-amerikanische Kasernen, Repräsentanten des Staates wie Richter und Politiker oder den Springer-Verlag. Die RAF hoffte auf Sympathie im Volk. Ein Anschlag, der gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger treffen würde, passte nicht in dieses Konzept.
Der Sprengsatz war in einem Schließfach versteckt.
Wer also legte die Bombe am Bremer Hauptbahnhof? Das Bundeskriminalamt (BKA) ermittelte, konnte aber nie einen Täter präsentieren. Der Auflösung des Rätsels am nächsten gekommen sind vermutlich die beiden Radio-Bremen-Journalisten Susanne Brahms und Rainer Krause. Für einen Film im Jahr 2014 suchten sie zwei Jahre lang in Archiven nach Akten zu dem Fall und befragten Zeitzeugen.
Spur in die Bremer Szene
Das Ergebnis ihrer Recherche: Die Spur führt zwar nicht zur RAF, aber in die linksterroristische Szene in Bremen. Möglicher Drahtzieher des Attentats ist ihren Recherchen zufolge ein Mann namens Reiner Hochstein.
Die Zeichnung zeigt den Ort, an dem die Bombe explodierte.
Zwei Monate vor dem Anschlag im Hauptbahnhof fliegt eine Terrorzelle in der Bremer Neustadt auf. Ein Mann wird verletzt. Er war gerade dabei, eine Bombe aus Unkrautvernichtungsmittel und Puderzucker zu basteln. Als er ein Loch für eine Lunte bohren will, explodiert das Gemisch. In der Wohnung in der Pappelstraße findet die Polizei eine enorme Menge Waffen, falsche Ausweise und selbst geschriebene Handbücher für Terroristen, darunter eine "Anschlagsstrategie für Norddeutschland".
Baugleicher Sprengsatz in Hamburg verwendet
Einer der Mitglieder der Gruppe ist Rainer Hochstein. Die Bremer Zelle wird bald verdächtigt, im Jahr 1974 mehrere Anschläge in Hamburg verübt zu haben – unter anderem auf den Justizsenator Ulrich Klug. Der verwendete Sprengsatz ist der gleiche wie beim Anschlag auf den Bremer Hauptbahnhof.
Steckte er, Rainer Hochstein, hinter dem Anschlag im Bremer Hauptbahnhof?
Bei der Hamburger Staatsanwaltschaft machen die Radio-Bremen-Journalisten die Ermittlungsakten im Fall Hochstein ausfindig und finden eine interessante Zeugenaussage. Ein Mann will Hochstein kurz vor der Tat am 7. Dezember 1974 vor den Schließfächern im Hauptbahnhof gesehen haben. Anhand von Fotos habe er ihn damals bei der Kripo identifiziert.
"In Fachkreisen galt das als sicher"
Die Radio-Bremen-Journalisten Rainer Krause und Susanne Brahms recherchierten den Fall für einen Film aus dem Jahr 2014.
Der finale Beweis ist das nicht. Der Zeuge kann sich geirrt haben. Für die Journalisten aber ist es ein weiterer Baustein für ihre These, die auch der ehemalige Verfassungsschützer Lothar Jachmann in ihrem Film für plausibel hält.
Es sei zwar nie gerichtsfest festgestellt worden, dass die Zelle aus der Bremer Pappelstraße um Hochstein mit dem Anschlag im Hauptbahnhof etwas zu tun hatte. "Aber in Fachkreisen galt das als sicher", so Jachmann.
"Es waren sozusagen Bewerbungsschreiben"
Ein mögliches Motiv könnte laut Jachmann sein, dass die Gruppe um Hochstein sich in der Szene einen Namen machen wollte: "Dazu mussten sozusagen Bewerbungsschreiben abgegeben werden. Es waren Bewerbungsschreiben von Möchtegern-Anarcho-Terroristen."
Doch warum hat das BKA die Spur damals nicht weiterverfolgt? Die Radio-Bremen-Journalisten Brahms und Krause haben eine Vermutung, die mit einem Mordfall in Berlin zusammenhängt.
Verdächtiger wird zum Kronzeugen
Hochstein und die Bremer Gruppe haben enge Verbindungen zu einer weiteren linksextremistischen Terrorzelle in Berlin, der "Bewegung 2. Juni". Sie versucht im November 1974, den Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann in dessen Haus zu entführen. Doch das geht schief. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem von Drenkmann erschossen wird.
Reiner Hochstein wird wenig später zum Kronzeugen der Anklage. Er sagt gegen seine ehemaligen Genossen aus. Hat das BKA die Spur in Bremen also bewusst fallengelassen, um Hochstein als Kronzeugen nicht zu verlieren?
Der Mann, der diese Frage hätte beantworten können, lebt nicht mehr. Rainer Hochstein ist im Jahr 2007 gestorben. Er kann zur Aufklärung des Falls nicht mehr beitragen. Auch 50 Jahre nach der Tat bleibt der Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof einer der großen ungelösten Kriminalfälle in Bremen.
Dieses Thema im Programm:
buten un binnen, 7. Dezember 2024, 19:30 Uhr