Im Vordergrund ist das Ende eines Hubschraubers zu sehen auf dem Bundespolizei steht. Im Hintergrund wird eine Frau von zwei Polizisten abgeführt. Die drei Personen sind nur von hinten zu sehen und die Frau hat eine Kapuze über ihren Kopf gezogen.
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Bremen Warum ein Überfall in Stuhr für den Klette-Prozess so wichtig ist

Stand: 25.03.2025 05:51 Uhr

Heute beginnt in Celle der Prozess gegen die Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr versuchten Mord sowie die Beteiligung an mehreren Raubüberfällen vor.

Von Steffen Hudemann

Wenn man sich heute gemeinsam mit einem Kameramann im Gewerbegebiet von Groß Mackenstedt, Gemeinde Stuhr, umschaut, erntet man viele fragende Blicke. Was bitte soll denn hier Spannendes zu finden sein zwischen Tankstelle und Supermarkt, zwischen Autobahn und Acker? Dass die Polizei hier an der Landesgrenze zwischen Bremen und Niedersachsen vor knapp zehn Jahren dem wohl meistgesuchten Verbrecher-Trio Deutschlands auf die Spur kam, daran erinnert hier nichts mehr.

Der Campingfachhandel feiert mit blauen und weißen Luftballons Frühlingsanfang und Saisonstart. "Hier beginnt Ihr Urlaub", verspricht der Verkäufer. An den Raubüberfall 2015 kann er sich nicht mehr erinnern. "Wir sind erst seit drei Jahren hier." Auch gegenüber beim Stahlbauer und der Autolackiererei ist man sehr freundlich. Aber die RAF? Hier? In Groß-Mackenstedt? Nein, dazu könne man nichts sagen.

Überall Polizei und Hubschrauber

Schließlich werden wir im A1-Hotel an der Rezeption doch fündig. Yvonne Stöcker hatte an jenem 6. Juni 2015 Dienst. Vom Haupteingang aus schaut sie direkt auf den Supermarkt, heute Kaufland, damals Real. "Ich war nach der Schicht noch schnell einkaufen und bin dann zu meinen Eltern an den Steller See", erinnert sie sich. "Auf einmal war überall Polizei, Hubschrauber in der Luft und was nicht alles." Später habe sie dann erfahren, dass es eine Schießerei gegeben habe – und die RAF mit der Sache in Verbindung stehen soll.

Schon seit 1999 hatte es in Norddeutschland zahlreiche Überfälle auf Kassenbüros von Supermärkten und Geldtransporte gegeben. Die Ermittler hatten aber weder die Fälle miteinander in Verbindung gebracht, noch sie konkreten Verdächtigen zuordnen können. Das ändert sich nach dem Überfall in Groß Mackenstedt.

Geldtransport hatte eine Million Euro geladen

Am frühen Nachmittag des 6. Juni 2015 sind die beiden Fahrer schon fast mit ihrer Tour durch, haben bereits in mehreren Supermärkten die Tageseinnahmen abgeholt. Nun halten sie an einem Seiteneingang des Real-Markts. Laut Anklage befinden sich im Laderaum des Transporters zu dieser Zeit rund eine Million Euro.

Auf dieses Geld haben es die Täter abgesehen. Mit einem weißen VW-Bus blockieren sie die Ausfahrt. Der Geldtransporter sitzt in der Falle. Zusammen mit ihrem Komplizen Burkhard Garweg soll Daniela Klette aus dem VW-Bus gesprungen sein. Garweg trug laut Staatsanwaltschaft ein Schnellfeuergewehr, Klette eine Maschinenpistole sowie eine – nicht funktionsfähige – Panzerfaust des Typs RPG 7.

Fahrer mit Panzerfaust bedroht

Die Männer im Geldtransporter müssen in dieser Situation Todesangst gehabt haben. Der Rechtsanwalt Steffen Hörning vertritt einen der beiden Fahrer als Nebenkläger im nun beginnenden Prozess. Die Tat sei für seinen Mandanten sehr traumatisierend gewesen. "In der direkten Zeit nach dem Überfall ging es ihm sehr, sehr schlecht", erzählt Hörning. "Er war mehrere Monate in psychotherapeutischer Behandlung, hat sich einer Reha-Maßnahme unterziehen müssen."

Denn die Fahrer werden von den Tätern nicht nur mit Gewehr und Panzerfaust bedroht, sondern geraten auch konkret in Lebensgefahr. Als die Fahrer die Türen, die sich automatisch verriegelt haben, nicht öffnen, schießt Garweg laut Anklage in die gepanzerte Scheibe des Fahrzeugs, aus gerade mal 65 Zentimetern Entfernung. Eine Kugel dringt ins Innere des Wagens, bleibt in der Rückenlehne des Fahrersitzes stecken. Wegen dieses Schusses lautet die Anklage auch auf versuchten Mord.

Ermittler finden DNA-Spuren

"Allein diese Tatsache zeigt, dass es lediglich dem Zufall überlassen war, ob man ihn direkt trifft oder ihn verfehlt", sagt der Opferanwalt Steffen Hörning. Schließlich fliehen die Täter ohne Beute. Den weißen VW-Bus lassen sie zurück, rasen stattdessen in einem silbergrauen Ford Focus davon. Das Auto wird wenig später in einem Waldstück in der Nähe gefunden.

Doch anders als offenbar von den Tätern geplant, brennt der Wagen nicht vollständig aus. So finden die Ermittler des niedersächsischen Landeskriminalamts DNA-Spuren, die sie den seit Jahrzehnten untergetauchten ehemaligen RAF-Terroristen Daniela Klette, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub zuordnen können.

Klette wird der dritten RAF-Generation zugerechnet

Anfang der 80er-Jahre sollen die drei in den Untergrund gegangen sein. Sie werden der dritten Generation der "Rote Armee Fraktion", kurz RAF, zugerechnet. Diese wird mit mehreren Attentaten in Verbindung gebracht, etwa der Ermordung des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen 1989 oder dem Mord an Detlev Karsten Rohwedder 1991, dem Präsidenten der Treuhand-Anstalt.

Daniela Klette soll konkret an einem Bombenanschlag auf einen Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt 1993 beteiligt gewesen sein. Ihre DNA wird jedenfalls am Tatort gefunden. Es ist der letzte Anschlag der RAF. 1998 löst sich die Gruppe auf.

Wohnung in Bremen gemietet

Nach Jahrzehnten im Untergrund wird Daniela Klette am 26. Februar 2024 in Berlin-Kreuzberg festgenommen. Hier lebte sie jahrelang als Claudia, engagierte sich in der brasilianischen Community, besuchte Capoeira-Kurse. Ihren Freunden sagte sie, dass sie in der Pflege arbeite und deshalb immer mal wieder nach Süddeutschland reisen müsse.

Stattdessen bereitete sie in dieser Zeit vermutlich die Raubüberfälle vor. Auch in Bremen mietete Daniela Klette offenbar unter falschem Namen eine Wohnung im Bremer Steintorviertel, nach buten un binnen-Informationen mehr als ein Jahr lang.

Geld für das Leben im Untergrund

Akribisch kundschafteten die mutmaßlichen Täter ihre Ziele aus. Immer wieder erbeuteten sie bei Ihren insgesamt 13 Überfällen hohe Summen. Geld, dass das Trio für sein Leben im Untergrund verwendet haben soll.

Um diese Raubüberfälle geht es im Prozess, der zunächst in einem Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle beginnt und dann im Sommer nach Verden umziehen soll. Worum es ausdrücklich nicht gehen soll, ist die RAF-Vergangenheit von Klette, Garweg und Staub. Denn zu den Terrorismus-Vorwürfen ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Sie könnten in einem späteren Prozess verhandelt werden.

Komplexe juristische Fragen

Doch auch die Fragen, mit denen sich nun das Landgericht Verden auseinandersetzen muss, sind umfangreich und im Detail schwierig. Zum Beispiel: Gab es einen gemeinsamen Tatplan und sind alle 13 Taten allen drei Angeklagten gleichermaßen zuzurechnen?

Ist Daniela Klette damit auch für den Schuss in Groß Mackenstedt verantwortlich? Wollten die Räuber die Fahrer des Geldtransporters überhaupt töten? Oder haben Sie den Versuch womöglich freiwillig abgebrochen? Dann wären sie nämlich von der Tat straffrei zurückgetreten, wie Juristen sagen.

Es sind komplexe Fragen, die das Landgericht Verden mindestens bis ins nächste Jahr, womöglich sogar bis 2027 beschäftigen werden. Schon jetzt hat die Kammer allein für dieses Jahr 56 Verhandlungstermine angesetzt.

Dieses Thema im Programm:
buten un binnen, 24. März 2025, 19:30 Uhr