Nordrhein-Westfalen AOK-Pflegereport: Pflegebedürftigkeit in NRW steigt drastisch
Der neue AOK-Pflegereport 2024 zeigt: In manchen Regionen und Bundesländern ist die Zahl der Pflegebedürftigen stark gestiegen. NRW ist in besonderem Maße betroffen.
Wie entwickelt sich die Zahl der Menschen, die in Deutschland Pflege brauchen? Der AOK-Pflegereport 2024 betrachtet zu dieser Frage zwei wichtige Kennzahlen: den Anteil der Pflegebedürftigen an allen Versicherten der Sozialen Pflegeversicherung und wie stark dieser seit 2017 gestiegen ist.
Die Entwicklung überrascht in beiden Kategorien: Der Anteil der Pflegebedürftigen ist regional sehr unterschiedlich. Er liegt bundesweit bei sieben Prozent, erreicht aber in einigen Regionen bis zu 17,1 Prozent - vor allem in Ostdeutschland, NRW, Hessen und dem Saarland.
In NRW wurde in Viersen mit 11,3 Prozent der landesweit höchste Anteil an Pflegebedürftigen festgestellt, gefolgt von Heinsberg mit 10,5 Prozent und Düren mit 9,9 Prozent.
Mönchengladbach, Köln und Leverkusen besonders betroffen
Auch die Steigerungsraten seit 2017 sind hoch: Experten hatten mit 21 Prozent mehr Pflegebedürftigen gerechnet, weil die Bevölkerung altert. Tatsächlich stieg die Zahl im Jahr 2023 mancherorts um bis zu 144 Prozent. Die höchsten Steigerungsraten gab es laut Bericht in NRW - in Mönchengladbach (124), Köln (144) und Leverkusen (144). Im Bundesdurchschnitt betrug der Anstieg 57 Prozent.
Die Gründe sind laut AOK größtenteils noch nicht genauer geklärt. Experten diskutieren demnach über ein ganzes Bündel möglicher Faktoren - von der Zunahme von Demenzerkrankungen bis hin zu ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Demnach könnten etwa sinkende Einkommen und eine wachsende Zahl von Singlehaushalten mit dazu beitragen, dass mehr Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen.
Die Entwicklung kommt nicht ganz überraschend: Schon im Mai 2024 hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erklärt, die Zahl der Pflegebedürftigen sei wesentlich stärker gestiegen, als bislang angenommen. Statt der erwarteten 50.000 kamen 2023 nach seiner Aussage 360.000 Pflegebedürftige hinzu.
Laut einer Berechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) aus dem Jahr 2023 wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland allein durch die zunehmende Alterung bis 2055 um 37 Prozent zunehmen - ihre Zahl soll von etwa 5,0 Millionen Ende 2021 auf etwa 6,8 Millionen im Jahr 2055 ansteigen.
Wer ist pflegebedürftig nach dem Gesetz? Welche Leistungen deckt die Pflegeversicherung ab? Wer kann Hilfe leisten? Lohnt sich eine Zusatzversicherung? Antworten auf diese Fragen gibt es hier:
Nachbarschaftsnetzwerke und Pflegekräfte als Ausweg aus der Pflegekrise?
Mit noch mehr zu pflegenden Menschen sind auch Sorgen verbunden. Schon heute fehlen viele Pflegekräfte, in der Politik ist von einer Pflegekrise die Rede. Als eine mögliche Lösung sieht die AOK "Caring Communities" - Nachbarschaftsnetzwerke, in denen professionelle Pflegekräfte, Angehörige und Ehrenamtliche zusammenarbeiten, um Pflegebedürftige in ihrer gewohnten Umgebung zu unterstützen.
Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK macht Hoffnung, dass so etwas funktionieren könnte: 64 Prozent der sogenannten Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1950er und 1960er Jahren, gaben demnach an, sich grundsätzlich vorstellen zu können, ehrenamtliche Tätigkeiten zur Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen in organisierten Netzwerken zu übernehmen. 43 Prozent der Babyboomer engagieren sich bereits ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen, jeder Fünfte davon (22 Prozent) unterstützt heute schon alte, kranke, pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung im Alltag.
Lösungen dringend gesucht
Allerdings werden auch die Babyboomer älter. Während sie in den nächsten Jahren möglicherweise noch helfen können, brauchen sie perspektivisch selbst Unterstützung. Deshalb werden in Deutschland dringend neue Pflegekonzepte benötigt. Die WDR-Wirtschaftsredakteurin Anne Schneider erklärt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigen werde, wenn viele Babyboomer in den nächsten zwei Jahrzehnten ein Alter erreichten, in dem sie nicht mehr allein zurechtkämen. "Diese Menschen alle in stationären Pflegeheimen zu betreuen, können wir uns schlicht nicht leisten."
Außerdem wollten die meisten Menschen nicht freiwillig in ein Pflegeheim. "Sie kommen dorthin, weil es einfach nicht anders geht: Sie können sich nicht mehr selbst versorgen, die Kinder sind berufstätig und/oder müssen sich um die eigenen Kinder kümmern. Oft wohnen sie auch weiter weg."
"Caring Communities machen doppelt Sinn"
Caring Communities, wie die AOK sie jetzt ins Spiel bringt und es sie in der Schweiz schon gibt, machten deshalb doppelt Sinn: "Sie ermöglichen es Menschen, die sich nicht mehr richtig selbst versorgen können, so lange wie möglich in einer gewohnten Umgebung zu bleiben. Außerdem sind sie auf jeden Fall günstiger, als alle Pflegebedürftigen 24/7 in einem Pflegeheim versorgen zu lassen", sagt Schneider. Ein weiterer Vorteil: Wenn wirklich eine Mischung von Alt und Jung in den Communities gelinge, könnten die Generationen voneinander profitieren. "Studien belegen, dass Ältere kognitiv leistungsfähiger bleiben, wenn sie viel mit Jüngeren zu tun haben."
Problematischer Einsatz von Beruhigungsmitteln
Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) untersucht im Pflegereport jährlich Entwicklungen in der Pflege in Deutschland, mit besonderem Fokus auf regionale Unterschiede. Die Grundlage der Auswertung sind anonymisierte Daten von AOK-Versicherten, die so standardisiert werden, dass Aussagen zu allen Versicherten in der Sozialen Pflegeversicherung getroffen werden können. Der Pflegereport 2023 hatte den problematischen Einsatz von Beruhigungsmitteln in der stationären Pflege thematisiert.
Unsere Quellen:
Über dieses Thema berichten wir am 10.12.2024 im WDR auch im Hörfunk.