Nordrhein-Westfalen "Stahl ist Zukunft" - Demo gegen die Schließungspläne bei Thyssenkrupp
Straßensperrungen, Schulen und Kindergärten schließen am Mittwoch frühzeitig: Die Demo in Kreuztal gegen die Schließung des Thyssenkrupp-Werks im Stadtteil Eichen setzt ein Zeichen der Solidarität. Tausende Menschen sind gekommen und sie alle hoffen auf einen Kurswechsel.
Zwischen dem Stadtteil Eichen und der Kreuztaler Innenstadt geht an diesem Nachmittag nichts mehr: Hunderte Menschen marschieren von den Toren des Thyssenkrupp-Werks in die Stadt.
Schulen und Kindergärten haben für die Demo am Mittwoch extra früher geschlossen, Vereine haben Kurse gestrichen. Es würde ohnehin niemand hin- oder zurückkommen. Die Hauptstraße ist dicht.
Wir sind hier. Wir sind laut. Weil man uns die Zukunft klaut.
Sprechchor während des Protestmarschs
600 Arbeitsplätze wären direkt betroffen
Die von der geplanten Schließung Betroffenen erfahren viel Solidarität.
Es schrillen Trillerpfeifen in der Dämmerung, Fackeln brennen, Banner und laute Rufe demonstrieren den Unmut. Vor etwa zwei Wochen kam die Schocknachricht aus dem Ruhrgebiet: Das Thyssenkrupp-Werk in Eichen soll geschlossen werden. Direkt hängen daran 600 Arbeitsplätze.
Hinzu kommen viele Unternehmen und Menschen, die indirekt durch Schließung des Werks in die Ungewissheit gerissen würden. Die Region würde es hart treffen. Noch immer ist die Geschäftsleitung den Betroffenen einige Antworten schuldig: Wann soll das Werk geschlossen werden und warum überhaupt? Denn soweit bekannt, schreibt das Werk keine roten Zahlen.
Auch dabei: Kollegen aus dem Ruhrgebiet
Auf der Strecke von vier Kilometern laufen Hunderte beim Protestmarsch mit. Nach Angaben der Polizei sind es rund 2.000 Menschen, die an der Demo teilnehmen. Auch eine Delegation aus dem Ruhrgebiet ist angereist, solidarisiert sich mit den Kollegen des Standorts Eichen.
Einer davon ist Ayan Toku. Er kommt aus Bochum, ist dort Schichtkoordinator. Er erzählt, dass auch sein Job wackelt - und das nach 36 Jahren bei Thyssenkrupp.
Wut auf die Konzernleitung
Auch Anja Maria Klimas-Kühn gehört zu den Demonstrierenden. Sie möchte hier ihrem Ärger und ihrer Enttäuschung gegenüber der Konzernführung Luft machen, gleichzeitig aber Entschlossenheit demonstrieren.
"Es ist traurig, dass sich Menschen in solchen Positionen, mit solcher Ausbildung so aus der sozialen Verantwortung ziehen können und keine Antwort auf drängende Fragen haben", sagt sie Richtung Konzernleitung. Klimas-Kühn arbeitet in der Logistik des Werks in Eichen und ahnt, was eine Schließung auch für Speditionen im Umfeld bedeuten würde.
Ich hoffe jetzt auf viel Aufmerksamkeit und Druck, damit die Entscheidung noch anders gelenkt werden kann.
Anja Maria Klimas-Kühn, Mitarbeiterin von Thyssenkrupp Steel in Eichen
Von der Unternehmensführung ist an diesem Abend niemand vor Ort: Drängende Fragen bleiben offen.
Kundgebung mitten in Kreuztal
In kleinen, aber bestimmten Schritten geht es weiter zum Platz der Kundgebung. Immer wieder hallen Sprechchöre in den Himmel: "Stahl ist Zukunft."
Die Demonstrierenden tragen ein Thyssenkrupp-Trikot.
17.15 Uhr. Die Kundgebung auf dem Roten Platz in Kreuztal wird von Helmut Renk eröffnet. Er ist Betriebsratsvorsitzender von Thyssenkrupp in Eichen und reckt die Faust in den Himmel.
"Solidarität ist unsere Superkraft"
"Rückt zusammen" kommt die Bitte von der Bühne. Denn der Rote Platz in Kreuztal ist voll. Aber auch im übertragenen Sinn passt dieser Satz zur Kundgebung.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist gekommen. "Ich bin hier, weil ich an eurer Seite stehe." Auch wenn er sich in keine Verhandlungen einmischen dürfe, habe er eine klare Erwartung und eine staatliche Verantwortung, die Wirtschaft in Deutschland zu schützen . "Stahl ist Zukunft", zitiert Heil die Sprechchöre.
Ohne Stahl gibt es keine Mobilität, keine Bauprojekte, keine Haushaltsgeräte.
Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister
Immer wenn Sprecher sich das Mikrofon übergeben, wird getrommelt, gepfiffen, getrötet und applaudiert.
Mona Neubaur: "NRW ist Stahlstandort"
"Es geht hier nicht um einen kleinen Standort, sondern - wenn man diese vielen Menschen sieht - um eine ganze Region. Gut, dass alle gemeinsam aufstehen", schließt sich Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall, an.
Auch Wirtschaftsministerin Mona Neubaur gehört zu den Sprechenden. "Wir lassen nicht los. Auch nicht von unseren Forderungen. NRW ist Stahlstandort. Darum geht es um mehr als um Thyssenkrupp Eichen."
Siegerland ist Stahlregion - und darauf sind wir stolz.
Andreas Müller, Landrat Kreis Siegen-Wittgenstein
Die Demonstranten warten auf Antworten von der Konzernleitung.
Die Worte von Landrat Andreas Müller feuern deutlich gegen den Vorstand von Thyssenkrupp Steel in den dunklen Abendhimmel, und er stellt die rhetorische Frage, ob Eichen ein Bauernopfer werden sollen.
"Ein gesundes Werk im Siegerland soll geopfert werden. Wer Eichen schließen will, greift die Identität des Siegerlandes an." Die montane Geschichte des Siegerlandes sei 2.000 Jahre alt und solle noch nicht zu Ende geschrieben sein.
Zusammen singt das Menschenmeer an diesem Abend "You’ll never walk alone". Ein Gänsehautmoment, der symbolischer nicht sein könnte.
Unsere Quellen:
- Reporterin vor Ort
- IG Metall
- Betriebratsleitung Thyssenkrupp Eichen
- Interviews mit Demonstranten