Bundesparteiobmann Herbert Hickl bei FPÖ-Event am Rednerpult

Nordrhein-Westfalen Wahl in Österreich: Brechen jetzt auch in Deutschland die Brandmauern?

Stand: 06.01.2025 19:53 Uhr

Österreichs demokratische Parteien hatten es bislang abgelehnt, mit der rechtsnationalen FPÖ zu koalieren. Jetzt soll deren Chef Kanzler werden. Was bedeutet das zum Umgang mit der AfD?

Das Ergebnis der Nationalratswahl in Österreich im vergangenen September war für viele - nicht nur in Österreich - ein Erdrutsch: Erstmals wurde dort die in Teilen rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit 28,8 Prozent der Wählerstimmen stärkste Partei. Monatelang rangen die demokratischen Parteien in Österreich anschließend darum, dennoch eine Regierung ohne die FPÖ zu bilden.

Krise in Österreich: Was macht das mit uns?

Immer wieder hatten Vertreter von SPÖ, Grünen, Neos und auch der rechtskonservativen ÖVP beteuert, dass es keine Zusammenarbeit mit der FPÖ geben werde. Am Wochenende dann die Kehrtwende bei der ÖVP: Seine Partei sei nun auch zu Koalitionsgesprächen mit der FPÖ bereit, erklärte ÖVP-Chef Christian Stocker.

Am Montag erteilte der österreichische Bundespräsident Van der Bellen der rechtsnationalen FPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung. 

"Brandmauer gegen AfD hat Risse"

In Deutschland blickt man angesichts der bevorstehende Bundestagswahl mit sehr gemischten Gefühlen auf das südliche Nachbarland: Während der Sinneswandel in Österreich der AfD hierzulande Hoffnung gibt, fürchten Demokraten, dass jetzt auch in Deutschland die sogenannten Brandmauern gegen die AfD bröckeln könnten.

"Die Brandmauer hat bereits Risse", sagt Arne Semsrott, Politikwissenschaftler, Aktivist und Leiter des Projekts "Frag den Staat". Erkennbar sei das daran, dass es besonders auf kommunaler Ebene längst viele Beispiele der Zusammenarbeit demokratischer Parteien mit der AfD gibt.

Journalist und Aktivist Arne Semsrott bei der Bundespressekonferenz 2022

"Ausnahme Deutschland": Arne Semsrott

Auf Bundesebene ist das bislang nicht passiert - anders als in vielen anderen EU-Ländern, wo die Schwesterparteien der Christdemokraten vielerorts mit rechtsextremen, antidemokratischen Parteien koalieren, sagt Semsrott. Deutschland stelle da bislang "glücklicherweise" eine Ausnahme in Europa dar.

"Aber auch hierzulande gibt es Strömungen innerhalb der Christdemokraten, die das ändern wollen und sich die antidemokratischen Rechten als Koalitionspartner erschließen wollen." Das zu verhindern, sei "vor allem ein Kampf innerhalb der Union".

Was unterscheidet die AfD von der FPÖ?

Gleichzeitig sieht Semsrott aber noch weitere Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland: Als deutlich jüngere Partei sei die AfD längst nicht so etabliert wie die FPÖ. In Österreich habe es außerdem eine Brandmauer gegen die FPÖ ohnehin nie richtig gegeben. "Schon seit den 1980er Jahren gab es in Österreich Koalitionen mit der ÖVP und sogar der sozialdemokratischen SPÖ."

In Deutschland dagegen halte die Brandmauer gegen die AfD "im Großen und Ganzen" bislang noch. Man könne "nur darauf hoffen und vertrauen, dass die Kräfte innerhalb der Union, die notfalls auch schwierige Kompromisse mit anderen demokratischen Kräften einer vermeintlich einfacheren Koalition mit der AfD vorziehen, weiter gestärkt werden".

Politikwissenschaftler Lembcke: Brandmauer stabil

Auch für Oliver Lembcke, Politikwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum, ist die Brandmauer der Union in Deutschland zur AfD stabil. Das liege auch an der bayrischen Volkspartei CSU, für die es in der Historie rechts neben sich bislang keine andere Partei gegeben habe.

"Deswegen waren die Freien Wähler ja fast schon eine kleine Katastrophe für sie." Im Moment könne aber kaum eine andere Partei CSU-Chef Söder überbieten in der Anti-AfD-Rhetorik.

Die Ergebnisse in Österreich seien jedoch ein "gewisses Warnzeichen". Dort sei - anders als in Deutschland - die Große Koalition seit Jahrzehnten eine Art Dauereinstellung gewesen. Dagegen habe sich die FPÖ entwickelt, allerdings auch schon vor Jahrzehnten. "Das kennen wir so in Deutschland noch nicht."

"Fatales Signal" an Europa

Arne Semsrott sagt, dass es für die EU "ein fatales Signal" sei, wenn jetzt, wie es sich am Montag andeutete, der FPÖ-Chef Herbert Kickel, dem immer wieder Nazi-Vokabular vorgeworfen wurde, österreichischer Kanzler werden sollte. Das Band der Länder in Europa, die antidemokratische, autoritäre Züge zeigen - wie Ungarn oder die Slowakei - würde damit gefestigt. Es wäre "Aufwind für antidemokratische Parteien in anderen Ländern".

Quellen:

  • WDR-Gespräch mit Arne Semsrott, Politikwissenschaftler und Aktivist
  • WDR-Gespräch mit Oliver Lembcke, Politikwissenschaftler Ruhr-Uni Bochum
  • Deutsche Presseagentur