Kanzler bei G20-Gipfel Scholz wirbt für "Kurs der Besonnenheit"
Am Rande des G20-Gipfels äußerte sich Bundeskanzler Scholz nicht nur zu Waffenlieferungen in die Ukraine. Es ging auch um seine erneute Kanzlerkandidatur für die SPD und das Ampel-Aus. Scholz warb für einen "Kurs der Besonnenheit".
ARD: Herr Bundeskanzler, wir sind in Rio de Janeiro, 10.000 Kilometer von Deutschland entfernt. Dort gibt es heute Abend ein Treffen der SPD-Spitze. Ist es für Sie vorstellbar, dass Sie in Deutschland ankommen und nicht mehr der Kanzlerkandidat der SPD sind?
Scholz: Das ist ein Routinetreffen, das verabredet ist und dazu gehört, die Wahl vorzubereiten. Ich habe den Bundesminister der Finanzen entlassen. Ich habe angekündigt, dass ich im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage stellen werde, um Wahlen Ende Februar möglich zu machen. Und darauf muss sich vorbereitet werden. Und genau dazu dient dieser Termin und nicht zu dem, was irgendwie da so herbeispekuliert wird.
ARD: Das heißt, Sie wollen auch weiter der Kanzlerkandidat der SPD sein? Die letzten Tage und Diskussionen haben Sie da nicht nachdenklich gemacht?
Scholz: Die SPD und ich wollen gemeinsam gewinnen. Und wir haben ja schon gezeigt, dass wir das können - auch aus einer Ausgangslage, wo die Umfragen das nicht hergeben. Aber jetzt wird ja auch klar, worum es für die Zukunft Deutschlands geht und ob wir uns tatsächlich auf ein "entweder oder" einlassen.
Wir müssen mehr tun für Sicherheit: Wir haben zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, die wir für Verteidigung ausgeben. Wir müssen was für die innere Sicherheit tun. Wir unterstützen die Ukraine. Bei der Wahl wird die Frage zu entscheiden sein, ob das auf Kosten der Perspektiven der normalen Leute, ob das auf Kosten von Rente, Gesundheit, Pflege, der Modernisierung unserer Infrastruktur geht. Ich sage nein.
"Die SPD und ich haben eine gute gemeinsame Zeit gehabt"
ARD: Die inhaltlichen Punkte verstehe ich komplett. Aber es müssen ja Leute für Sie auch Wahlkampf machen in Ortsvereinen, die Plakate kleben, die hinter Ihnen stehen müssen. Sie sagen selber "Wir müssen einen riesigen Rückstand aufholen". Hat die SPD die Zeit, die eigene Partei erst mal vom Kandidaten zu überzeugen?
Scholz: Die SPD und ich haben eine gute gemeinsame Zeit miteinander gehabt und Erfolge erzielt. Und da ist was zusammengewachsen, auf das man immer aufbauen kann. Ich glaube, dass Vertrauen und Kooperation in Parteien solidarisch funktionieren. Vor allem dann, wenn man das nicht plötzlich macht, sondern miteinander entwickelt hat. Und wir werden erfolgreich in diese Wahl und aus dieser Wahl hervorgehen. Das ist unsere gemeinsame Perspektive.
ARD: Wenn Sie gemeinsam gewinnen wollen, müssen Sie auch viele Menschen an der Basis der SPD überzeugen, die offenbar Zweifel haben - und die Boris Pistorius vielleicht für besser halten. Was sagen Sie denen heute Abend? Warum ist Olaf Scholz besser als Boris Pistorius für diesen Wahlkampf?
Scholz: Ich sage ganz ausdrücklich, dass wir antreten, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft voranzubringen und die Dinge anzusprechen, die ich eben gesagt habe. Und natürlich geht es auch um Sicherheit und Frieden in Europa. Das ist ja ein gefährlicher Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat. Deutschland ist der stärkste Unterstützer der Ukraine. Wir sind das Land, das am meisten tut in Europa. Nur die USA haben bisher mehr getan weltweit. Und deshalb ist es richtig, dass man diesen Kurs auch fortsetzt. Der bedeutet, dass man viel tut zur Unterstützung - aber gleichzeitig besonnen handelt und dafür sorgt, dass es nicht zu einer Eskalation des Krieges kommt zwischen Russland und der NATO.
Scholz: Habe als Kanzler die Nerven behalten
ARD: Und diesen Kurs könnte Boris Pistorius nicht umsetzen - den kann nur Olaf Scholz?
Scholz: Das ist der Kurs, den ich eingeschlagen habe und wo alle wissen, dass sie sich in dieser gefährlichen Zeit auf den Kanzler verlassen konnten. Dass er trotz vieler lauter Rufe überall die Nerven behalten hat und das getan hat, was für Frieden und Sicherheit wichtig ist.
ARD: Aber wenn man das komplett so nimmt und Boris Pistorius bessere Umfragewerte hat, würden Sie sagen, der würde vielleicht die Nerven verlieren?
Scholz: Meine Überzeugung ist, dass wir als SPD zusammenstehen werden. Und wir stehen zusammen. Wir haben das gezeigt. Das ist vielleicht für einige sehr überraschend gewesen in den letzten Jahren, aber das hat jetzt schon sehr lange angehalten. Und deshalb sind wir jetzt in der Phase, wo wir natürlich nach meiner Entscheidung diskutieren. Also: Wie bereiten wir die Wahl vor? Das muss auch so sein, da darf auch alles gesagt werden und dann geht es geschlossen weiter.
Scholz: Am Ende war klar, es geht nicht mehr miteinander
ARD: Viele Leute in Deutschland teilen die Einschätzung nicht, dass es sehr erfolgreich war, dass es ein guter Kurs ist, sondern sie sehen eine Regierung, die zerbrochen ist, die in Trümmern liegt. Warum sehen Sie das nicht?
Scholz: Ich sehe, dass es richtig war, den Bundesminister der Finanzen zu entlassen. Das war ja schon schwierig, die Regierung zustande zu kriegen. Sie erinnern sich noch, dass es seinerzeit nicht mal gelungen ist, als ein ähnlicher Versuch gemacht wurde, eine Regierung aus CDU, CSU, Grünen und FDP zu schmieden. Das ist diesmal gelungen.
Aber es hat natürlich gezeigt, wie viel Aufwand das braucht, um da Entscheidungen möglich zu machen. Die sind zustande gekommen, aber auf eine Art und Weise, die man sich nicht so vorstellt als Bürger. Ich als Bürger übrigens auch nicht. Und ich will ausdrücklich dazu sagen, dass es dann natürlich am Ende auch sehr klar war, dass es gar nicht mehr weiter miteinander vorangehen sollte, sondern tatsächlich hat ja die FDP politische Vorschläge gemacht, die sich gegen die Rentner in Deutschland richten und gegen die Gemeinden, die Geld entzogen bekommen hätten. Und viele andere, die was für eine bessere Zukunft tun wollen, hätten diese Möglichkeiten dann auch nicht mehr.
Scholz: Im Wahlkampf geht es um ein starkes Mandat für sich
ARD: Können Sie erklären, mit wem Sie nach der Bundestagswahl, wenn Sie als Kanzlerkandidat antreten und vielleicht auch in der Opposition sind, überhaupt regieren wollen? Mit der Ampel wahrscheinlich nicht mehr. Ich gehe auch mal davon aus, nicht mit der AfD. Wo sehen Sie die Wähler für Sie, die Sie gewinnen wollen, jetzt?
Scholz: Das Schöne an Wahlen ist, dass die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Und das bedeutet, dass es in einem Wahlkampf darum geht, ein starkes Mandat für sich selber und die eigene Partei zu bekommen. Das ist, wie man antritt.
ARD: Aber wo sind die Wählerinnen und Wähler?
Scholz: Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die zu entscheiden haben und nicht die Leute mit dem Taschenrechner.
ARD: Sie haben mehrfach, auch jetzt hier bei G20-Treffen in Rio de Janeiro, wo es um die Lieferung der "Taurus"-Marschflugkörper ging, die sie ablehnen, auch denen sozusagen die Hand ausgestreckt, die Sorgen haben, dass sich der Krieg ausbreiten könnte und dass es eine Eskalation gibt. Suchen Sie mit dieser Debatte auch Wählerinnen und Wähler zum Beispiel im Spektrum des BSW?
Scholz: Ich finde die Frage erlaubt, bin aber trotzdem empört. Das will ich gar nicht verhehlen, weil es ja so ist, dass der Kurs, den ich verfolge, nicht plötzlich jetzt von mir erzählt wird, sondern ich habe mich sehr klar geäußert die ganze Zeit zu dieser Frage und ich habe gute Gründe, warum ich wiederholt gesagt habe: "Wir liefern sehr viele Waffen". Die allermeiste Unterstützung aus Europa kommt von uns.
Darunter sind sehr wirkmächtige Waffen und viel Munition. Alles, was zur Luftverteidigung notwendig ist, in einem Ausmaß, wie das sonst keiner getan hat. Und trotzdem ist es dann richtig zu sagen, dass man bestimmte Dinge nicht macht, weil sie zu einer Eskalation beitragen können. Und deshalb habe ich diese Position immer, und zwar aus der Sache, vertreten. Ich finde, wer in der Frage von Krieg und Frieden und von Sicherheit in einer so gefährlichen Situation irgendetwas macht aus Umfragegründen oder weil er die nächste Talk Show zu bestehen hat oder eine Pressekonferenz machen muss, der hat nicht die Verantwortungskraft, die man braucht, um in einer so schwierigen Zeit zu handeln.
ARD: Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, Sie haben das die ganze Zeit sehr klar gesagt. Es ist nur jetzt auch ein Alleinstellungsmerkmal - in gewisser Weise. Denn der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck würde liefern, Friedrich Merz von der CDU hat das schon gesagt. Also sozusagen ist das ein Wahlkampfelement für Sie - auch weil es de facto so ist, dass Sie derjenige sind, der das nicht tun würde?
Scholz: Es ist kein Wahlkampfelement, aber es ist eine Frage, über die bei der Wahl entschieden wird, ob ein Kurs der Besonnenheit fortgesetzt wird. Und ich empfehle, in solchen Zeiten das zu wollen.
Scholz: Hätte Lindner vorher entlassen sollen
ARD: Viele Bürger sind, glaube ich, empört derzeit, wenn sie sehen, wie Politiker miteinander sprechen. Sie haben auch sehr deutlich mit Christian Lindner abgerechnet. Jetzt sind Sie ein Politiker, der häufig sagt, man muss sich unterhaken. Wie erklären Sie den Bürgern, dass sich in Deutschland überhaupt noch wer unterhaken kann, wenn die politische Diskussion in Berlin so läuft wie gerade?
Scholz: Für mich ist eine Sache ganz klar und offenbar jetzt ja auch für fast alle anderen: Die FDP hat tatsächlich seit langer Zeit den Ausstieg aus der Regierung geplant, dazu ein Papier geschrieben und sich so inszeniert. Das ist etwas, was ich nicht bewerten muss, warum die das wohl gemacht haben, sondern ich muss nur meine Verantwortung wahrnehmen, die ich habe als Kanzler.
Wer überhaupt nicht mehr dazu beitragen will, dass Parteien mit unterschiedlichen Positionen zusammenkommen, sondern eine Maximalposition vertritt, die nur wenig Unterstützung unter den Bürgerinnen und Bürgern hat, der muss auch akzeptieren, dass ich sage "so geht es nicht". Das habe ich gesagt. Wenn ich mir was vorzuwerfen habe, dann vielleicht, dass ich diesen Satz nicht vorher gesprochen habe. Und dass ich die Konsequenz, die ich jetzt gezogen habe mit der Entlassung in diesem Fall des Finanzministers, nicht vielleicht auch vorher schon gezogen habe.
ARD: Würden Sie auch als Minister versuchen, den Kurs, den Sie jetzt eingeschlagen haben, weiter zu setzen, um für Deutschland zu arbeiten, wie Sie es gesagt haben?
Scholz: Das ist eine Frage, die ich mit einem klaren Nein beantworten kann. Darum geht es wirklich nicht. Ich habe hier Verantwortung für das Land wahrgenommen und das ist etwas, worüber ja mit bei dieser Wahl entschieden wird. Ob wir wollen, dass unser Land zusammen bleibt oder ob es um das "entweder oder" geht. Entweder Sicherheit oder Zusammenhalt und Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Und die andere Frage ist Krieg und Frieden. Und da gibt es unterschiedliche Positionen, die sind so klar, dass es darüber kein Zweifel geben kann. Sie haben es eben angesprochen: Wer will, dass ein Kurs der Besonnenheit fortgeführt wird, der kann das sicher bekommen mit der SPD.
Das Gespräch führte Markus Preiß, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin. Für die schriftliche Version wurde es redigiert.