Interview zur Schweinegrippe "Keiner muss auf Urlaub verzichten"
Die Schweinegrippe breitet sich in Deutschland rasch aus. Binnen eines Tages kamen 389 neue Fälle hinzu. Das sei eine Folge der Ferienreisen zur Sommerzeit, sagt der Virologe Hofmann im tagesschau.de-Interview. Er warnt vor übertriebener Angst und dem falschen Gebrauch von Tamiflu.
tagesschau.de: Die Zahl der Schweinegrippe-Fälle in Deutschland ist in dieser Woche drastisch gestiegen. Ist die Bedrohung gewachsen?
Hofmann: Nein. Ängste sind nicht berechtigt, weil die Entwicklung zu erwarten war. Es ist Reisezeit und die Leute sind überall auf der Welt unterwegs. Wenn man wiederkommt, kann man das Virus mitbringen und es zu Hause in seiner Umgebung verbreiten. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass ein Viertel der Infektionen innerhalb von Deutschland erworben wurden und drei Viertel außerhalb Deutschlands.
tagesschau.de: Wie ungewöhnlich ist es, dass sich die Schweinegrippe gerade im Sommer schnell ausbreitet?
Hofmann: Es ist verwunderlich, weil normalerweise der Höhepunkt der Influenzasaison im Winter liegt. Dass wir jetzt diesen Gipfel im Sommer haben, ist unerwartet. Es weiß noch niemand richtig, woran das liegt.
tagesschau.de: Wie kann man sich in dieser Situation vor einer Infektion schützen?
Hofmann: An erster Stelle steht die Hygiene. Man sollte sich häufiger das Gesicht und die Hände waschen als man das üblicherweise tut. Außerdem sollte man auf seine Nachbarn achten: Wenn dort Leute sind, die viel niesen oder husten, sollte man versuchen, einen zu engen Kontakt zu vermeiden.
tageschau.de: Halten Sie es für besser, sicherheitshalber auf Urlaubsreisen zu verzichten?
Hofmann: Auf gar keinen Fall. Die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass es in Deutschland inzwischen mehr Infektionen gibt als in Spanien. Übertroffen wird Deutschland in Europa nur noch von England. Man kann sich also überall infizieren - auch zu Hause.
"Impfstoffe ab September oder Oktober"
tagesschau.de: Es wird bereits viel über Impfungen gegen Schweinegrippe geredet. Wie weit ist die Entwicklung der Impfstoffe?
Hofmann: Vier Impfstoffe sind bereits zugelassen und befinden sich jetzt in der Erprobung. Das sind sogenannte Musterimpfstoffe. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie im September oder Oktober zur Verfügung stehen.
tagesschau.de: Basieren die vier Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip?
Hofmann: Nicht ganz. Die vier Stoffe sind auf unterschiedlichen Wegen hergestellt worden. Welcher von der Effizienz her besser ist und welcher etwas schlechter, lässt sich noch nicht sagen. Aber man geht davon aus, dass alle vier gleichermaßen eine Immunität erzeugen.
tageschau.de: Handelt es sich bei diesen Impfstoffen um Tot-Impfstoffe mit abgetöteten Erregern, auf die das Immunsystem dann reagiert und Antikörper bildet?
Hofmann: Influenza-Impfstoffe sind generell Tot-Impfstoffe. Man kann sich also keine Influenza durch eine Impfung zuziehen. Diese Impfstoffe beinhalten zusätzlich sogenannte Adjuvanzien, die eine immunverstärkende Wirkung haben. Das macht man vor allem deswegen, weil dieses Virus sich im Laufe der Zeit noch verändern kann. Durch die Zugabe der Adjuvanzien erreicht man auch einen Schutz gegen ähnlich aussehende Viren, die sich schon ein wenig verändert haben.
"Influenza-Viren mutieren sehr, sehr stark"
tageschau.de: Wie groß ist die Gefahr, dass das Virus mutiert?
Hofmann: Influenza mutiert sehr, sehr stark. Das ist der Grund, warum wir jedes Jahr für die saisonale Influenza neue Impfstoffe brauchen. Man muss unterscheiden, ob sich das Virus lediglich in einzelnen Positionen verändert, in den Oberflächenproteinen. Das kann dazu führen, dass der Impfstoff der letzten Saison keine Immunität mehr bietet.
Und dann gibt es eine zweite Möglichkeit: Das ist der Antigenshift. Hier treffen zwei oder mehr Viren in einer Wirtszelle aufeinander und tauschen ihr genetisches Material aus. Das Virus, das dabei entsteht, könnte eine komplett andere Genstruktur haben. Sollte das passieren, sind wir trotzdem geschützt, wenn wir eine Impfung gegen das Pandemievirus und gegen das saisonale Influenzavirus bekommen haben.
tagesschau.de: Die Sorge, dass sich bis zum Herbst Mutationen gebildet haben, die die neuen Impfstoffe wirkungslos machen, ist also unbegründet?
Hofmann: Ja.
tageschau.de: Inzwischen gibt es Berichte über Mutationen des Schweinegrippevirus', bei denen das Medikament Tamiflu nicht mehr wirkt. Dabei wurde Tamiflu jeweils vorbeugend genommen. Welche Gefahren birgt dieses Vorgehen?
Hofmann: Es gab bereits drei Fälle, bei denen die Patienten ein Tamiflu-resistentes neues Influenzavirus hatten. Die Ursache dieser Resistenz liegt darin, dass Tamiflu wahrscheinlich nicht sachgemäß eingenommen wurde. Wenn man Tamiflu nimmt, bevor man infiziert ist, könnten sich dann aufgrund des Selektionsdruckes resistente Viren durchsetzen, wenn man in Kontakt mit dem Virus kommt. Das sollte also auf jeden Fall vermieden werden. Tamiflu sollte nur eingenommen werden, wenn es der Arzt verschrieben hat - und der soll es nur verschreiben, wenn es diagnostisch eindeutig gesichert ist, dass es sich um eine Influenza A handelt. Auf keinen Fall sollte man mit Husten, Schnupfen, Fieber einfach ein oder zwei Pillen nehmen und es dann wieder absetzen. Das ist grundverkehrt.
Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.