Debatte über kürzere Sommerferien "Geboten" oder "unnötig"?
Bundestagspräsident Schäubles Vorschlag, die Sommerferien zu verkürzen, schlägt hohe Wellen. Während einige Experten und Parteikollegen ihn unterstützen, lehnen Tourismusbranche und Lehrerverband den Vorstoß ab.
Die Tourismusbranche lehnt Überlegungen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die Sommerferien zu verkürzen, entschieden ab. "Unternehmen wie Bürger brauchen Verlässlichkeit und Planbarkeit, statt weiterer Verunsicherung durch eine völlig unnötige und unverantwortliche Diskussion, die der Bundestagspräsident heraufbeschwört", kritisierte der Generalsekretär des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), Michael Rabe.
Schäuble hatte angesichts der andauernden Schulschließungen durch die Corona-Pandemie die Länge der Sommerferien zur Debatte gestellt. Der "Augsburger Allgemeinen" sagte er:
Bis auf Ausnahmen bleiben die Schulen noch einige Zeit geschlossen. Daher frage ich mich, ob die Verantwortlichen in den Ländern darüber nachdenken, die Schulferien in der Sommerzeit etwas zu verkürzen.
Ein solcher Schritt böte Schülern die Gelegenheit, den durch die Corona-Pandemie versäumten Unterrichtsstoff nachzuholen, außerdem sei ohnehin noch unklar, wann und wie man im Sommer verreisen könne.
Existenzangst in der Tourismusbranche
BTW-Generalsekretär Rabe wies Schäubles Überlegungen scharf zurück. Man hoffe, dass im Sommer Reisen und Ausflüge zumindest in Teilen und unter Auflagen wieder möglich sein werden. Der Vorschlag sei daher sowohl aus wirtschaftlicher wie auch aus gesundheitlicher Sicht "unverständlich und unverantwortlich".
Für die Tourismuswirtschaft würden eingeschränkte Ferienzeiten zusätzlich zu den schon erfolgten massiven Schäden weitere kaum verkraftbare Umsatzverluste bedeuten. "Es herrscht blanke Existenzangst und wir brauchen endlich mehr politisches Verständnis für die Schäden, die die bislang fraglos notwendigen Corona-Maßnahmen in unserer Branche anrichten", sagte BTW-Chef Rabe.
Sorge um die Tourismuswirtschaft hatte gestern auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geäußert. Er empfahl daher, den diesjährigen Sommerurlaub innerhalb Deutschlands zu planen, weil Auslandsreisen im Sommer "eher unwahrscheinlich" seien. Einige derzeitige Verluste der Tourismusbranche seien dadurch "vielleicht aufholbar".
Lehrerverband skeptisch
Auch der Deutsche Lehrerverband ist gegen eine Debatte über die Verkürzung von Schulferien zum gegenwärtigen Zeitpunkt - wenn auch aus anderen Gründen. Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger äußerte im Deutschlandfunk Zweifel am Effekt von gekürzten Ferien. Man brauche vielmehr ein gutes Gesamtkonzept, um den Lernstoff bestmöglich zu vermitteln.
Der Lehrbetrieb könne derzeit nicht funktionieren, wenn sich alle Schüler gleichzeitig in der Schule befänden, fügte er hinzu. Es wären doppelt so viele Klassenräume und Lehrkräfte nötig, um die Hygienemaßnahmen einzuhalten. Das sei nicht realistisch. Stattdessen werde man verstärkt auf das Lernen zu Hause setzen müssen.
Lerndefizite aufholen und Nachteile ausgleichen
Die Kultusminister von Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen lehnen den Vorschlag von Schäuble ab. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hingegen zeigte sich dem gegenüber offen. Es gebe gute Argumente, die dafür sprächen, sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". Derzeit könne er zwar nicht vorhersagen, was passiere, ausschließen könne er eine Verkürzung der Ferien jedoch nicht. Er halte diese für "in Teilen geboten", so Haseloff.
Auch der Wissenschaftliche Beirat für Familienangelegenheiten befürwortet kürzere Sommerferien in diesem Jahr. Er berät das Bundesfamilienministerium in Fragen der Familienforschung und -politik. Gremienmitglied Birgit Leyendecker bekräftigte Schäubles Hinweis, dass Lerndefizite in dieser Zeit aufgeholt werden könnten. Die Psychologieprofessorin leitet die Arbeitsgruppe Familienforschung an der Ruhr-Universität Bochum.
"Die Pandemie verstärkt sehr wahrscheinlich bestehende soziale Ungleichheiten in Deutschland und belastet Familien höchst unterschiedlich", erklärte Leyendecker. "Darum brauchen Kinder und Jugendliche in diesem Sommer vielfältige Angebote, damit sie gut in das neue Schuljahr starten können." Nach den Sommerferien zeige sich die Bildungsschere stets besonders drastisch. Dieser Effekt könne durch die Corona-Krise verschärft werden.
Ein Drittel hat den Urlaub schon storniert
Ein Drittel aller Deutschen hat den Sommerurlaub aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin bereits verschoben oder ganz storniert. Das geht aus dem ARD-Deutschlandtrend hervor. 28 Prozent der Menschen wollen vorerst an ihren Urlaubsplänen festhalten.
Maas: Keine Prognose möglich
Momentan sind die Bürger noch aufgefordert, generell auf Reisen zu verzichten. Weltweit besteht eine Reisewarnung. Bundesaußenminister Heiko Maas sagte in Berlin, zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne man noch keine Prognose darüber treffen, wie lange die Reisewarnung aufrechterhalten werde. Man werde von Woche zu Woche entscheiden. Am 30. April wollen Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten über weitere Regelungen beraten.
Bereits am 22. Juni beginnen dieses Jahr in Mecklenburg-Vorpommern die Sommerferien. Danach folgen am 25. Juni Berlin, Brandenburg und Hamburg sowie am 29. Juni Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Als letztes Bundesland startet Baden-Württemberg am 30. Juli in die Ferien.