Tiergartenmord-Prozess Eine kaltblütige Tat
Beim Tiergartenmord-Prozess stellt sich heraus, dass der Angeklagte aus Russland mehrfach ohne Anwalt befragt wurde und dabei wichtige Aussagen machte. Zeugen beschreiben den Mord als kaltblütig.
Bislang galt der Angeklagte im Prozess um den Mord an einem Georgier im Kleinen Berliner Tiergarten als schweigsam. Während der Verhandlungstage im Gericht lässt er seine drei Anwälte für sich sprechen. Von der Möglichkeit, selbst Stellung zu nehmen oder auch die Beweisstücke wie einen Revolver mit Schalldämpfer selbst anzuschauen, macht er keinen Gebrauch. Meist verfolgt er die Verhandlung reglos hinter der Panzerglasscheibe, die Angeklagte im Saal 700 des Berliner Landgerichts schützen soll.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, den Georgier tschetschenischer Herkunft am 23. August getötet zu haben. Staatliche Stellen in Russland gaben ihm demnach den Auftrag dazu. Angeklagt ist er unter dem Namen Vadim Krasikov. Er selbst nennt sich Sokolov - der Name in dem russischen Pass, den er bei der Festnahme bei sich trug.
Während der Befragung durch Berliner Polizeibeamte zeigte sich der Angeklagte allerdings gesprächiger als bisher bekannt. Das sagten nun zwei Polizisten vor Gericht aus. Sie suchten ihn mit Kollegen und Dolmetschern am Tag nach seiner Festnahme und an drei weiteren Terminen auf.
Während der Belehrung über seine Rechte, die ihm ins Russische übersetzt wurden, bestand der Verdächtige auf einen Anwalt der russischen Botschaft. Die Beamten sandten ein Fax dorthin, allerdings mit der Bitte um einen Dolmetscher. Wenige Tage später besuchten zwei russische Konsularbeamte den Verdächtigen. Dabei soll es nicht um den gewünschten Anwalt gegangen sein, wie Wahlverteidiger Robert Unger mitteilte, der seit Prozessbeginn für ihn tätig ist. Zwei Polizeibeamte brachten zudem eine Passkopie in die russische Botschaft - auf deren Bitte hin.
Zwei Pflichtverteidiger und Wahlverteidiger Unger vertreten den Angeklagten.
Den "Terroristen" habe er "nicht vernichtet"
Warum die Ermittlungsbeamten nach einem Dolmetscher fragten und auch nicht mit den Vernehmungen warteten, bis ein Anwalt bereit stand, konnten sie nicht plausibel erklären. Wahlverteidiger Unger stellte daraufhin einen Antrag, dass die Ermittlungsbeamten nicht zu den Gesprächen mit dem Verdächtigen befragt werden dürfen, die vor der Beiordnung eines Pflichtverteidigers durch den Generalbundesanwalt im Dezember 2019 geführt wurden. Unger betonte, dass der Beschuldigte der deutschen Sprache nicht mächtig sei und das deutsche Polizei- und Gerichtssystem nicht kenne. Er sprach von ihm als einem verängstigten Gefangenen, der sich geradezu devot gegenüber den Polizisten verhalten habe.
Eine Kriminaloberkommissarin beschrieb den Verdächtigen hingegen als ruhig, kooperativ und freundlich. Er forderte nicht nur einen Anwalt der russischen Botschaft, sondern habe auch um einen Haftprüfungstermin gebeten. Er habe sich überrascht gezeigt, dass Kommissare der Mordkommission mit ihm sprachen, er sei doch als Tourist in der Stadt gewesen und festgenommen worden, weil er in einem Gebüsch pinkeln wollte.
Laut einem Vermerk äußerte der Verdächtige selbstbewusst die Worte, "Russland weiß ja, dass ich hier bin und würde nicht auf mich verzichten." Als er am 18. November 2019 mit dem Mordvorwurf und dem Namen Vadim Krasikov konfrontiert wurde, soll er gesagt haben: "Den Terroristen, der sich hier befunden hat, habe ich nicht vernichtet", so ein Zitat aus den Ermittlungsakten, aus denen die Nebenanklage am Mittwoch in einer Stellungnahme zitierte. Vom Opfer als einem "Terroristen" sprach auch Russlands Präsident Wladimir Putin wenig später.
Die Nebenanklage stimmte angesichts der beschriebenen Umstände Verteidiger Unger zu, dass Aussagen der Vernehmungsbeamten zu den Angaben des Angeklagten gerichtlich nicht verwertbar sind - "sofern es sich um Angaben zur Sache handelt und nicht um Sponantäußerungen". Darunter fielen auch die Worte des Beschuldigten zum "Terroristen".
Ein kaltblütiger Täter
Die Anwälte des Angeklagten stellen infrage, dass es sich beim Angeklagten um den Mann handelt, der gegen zwölf Uhr am 23. August 2019 Schüsse in den Rücken und den Kopf des Georgiers abgab. Mehrere Zeugen beschrieben das Vorgehen des Täters als ruhig und kaltblütig, als er nach dem ersten Schuss von seinem Fahrrad stieg und auf das am Boden liegende Opfer zuging, um zwei Schüsse in dessen Kopf abzugeben. Danach habe er ohne Hast die Pistole mit dem Schalldämpfer in eine Tasche gesteckt und sei mit seinem Fahrrad davon gefahren.
Kurz darauf meldeten sich zwei junge Männer vom nicht weit entfernten Holsteiner Ufer bei der Polizei. Sie hatten einen Mann gesehen, der sich erst umgezogen und dann ein Fahrrad und weitere Gegenstände in die Spree geworfen habe. Als die Polizei eintraf, befand sich der Mann in einem Gebüsch, neben ihm ein Elektro-Roller. Fünf Kollegen, zwei mit Maschinenpistolen, hätten ihn mit Worten und Gesten aufgefordert, sich auf den Boden zu legen, so die Aussage zweier Polizeibeamter. Sie gaben ihre Verwunderung zum Ausdruck, dass sich der Mann nicht beeindruckt zeigte, sondern geradezu kaltblütig die Beamten fixiert und die Lage abgecheckt habe. Erst danach habe er sich auf den Boden gelegt.
Spuren verschleiert
Aus der nahe gelegenen Spree holten ein Polizist und später Taucher das Fahrrad, mit Steinen beschwerte Wäschesäcke und die Pistole mit dem Schalldämpfer. Als auffällig beschrieben die befragten Kriminalkommissare, dass die Herkunft des Fahrrads, des E-Rollers, der Pistole vom Typ Glock mit dem Schalldämpfer, der Taschen und der Kleidung so gut wie nicht nachvollziehbar sei. Die meisten Gegenstände seien alt, es fehlten Etiketten und sonstige Herstellungshinweise.
Nicht erklären können die Ermittlungsbeamten bisher auch, wie der Täter nach Berlin kam. Den letzten Nachweis über seinen Aufenthaltsort vor der Tat gibt es aus Warschau. Dort verließ er am Vortag um kurz nach 8 Uhr sein Hotel, wie eine Videoaufzeichnung belegen soll. Laut Aussage der Vernehmungsbeamten sagte der Verdächtige am Tag nach seiner Festnahme aus, dass er schnell nach Warschau müsse, weil von dort sein Flug zurück nach Moskau gehe.
Um Nachweise, dass es sich beim Angeklagten, der sich als Sokolov ausgibt, und Krasikov um eine Person handelt, wird es in den nächsten Verhandlungstagen gehen. So wird eine Sachverständige zu Gesichtsvergleichen befragt. Auch wird ein Zeuge über seine Recherchen in Russland aussagen, das Umfeld und der Hintergrund des Opfers werden weiter thematisiert. Der Prozess ist bis Ende März terminiert.