Hochwasser in Deutschland Hat der Katastrophenschutz versagt?
Es sei zu spät und zu wenig gewarnt worden, der Katastrophenschutz sei für künftige Ereignisse schlecht aufgestellt, lauten die Vorwürfe. Der Bund hält das bestehende System zwar für verbesserungswürdig, nicht aber für grundsätzlich schlecht.
Durch die Unwetterkatastrophe in Deutschland hat eine Debatte über die Rolle des Katastrophenschutzes begonnen. Zahlreiche Politiker sprachen von Versagen und Fehlern. "Beim Katastrophenschutz sind wir genauso schlecht vorbereitet wie beim Pandemie-Schutz", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach der "Rheinischen Post". Deutschland müsse sich "darauf einstellen und vorbereiten, dass es in Zukunft mehr Naturkatastrophen geben wird und auch regelmäßig Pandemien".
"Bund muss stärkere, koordinierende Rolle spielen"
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sprach sich dafür aus, dem Bund bei Fragen der Vorsorge gegen Extremwetterereignisse mehr Kompetenzen zu geben. Es sei nötig, die Risikovorsorge "massiv" zu verstärken. "Hier muss aus meiner Sicht auch der Bund eine viel stärkere, koordinierende Rolle spielen", sagte Baerbock im ARD-Morgenmagazin. Bei überregionalen Ereignissen müsse die Bundesebene mehr tun können, sagte die Grünen-Vorsitzende. Dies habe auch die Corona-Pandemie gezeigt.
Insgesamt forderte Baerbock als Lehre aus den jüngsten Überschwemmungen eine "dreifache nationale Kraftanstrengung": Neben besserer Risikovorsorge müssten mehr "Klimaanpassungsmaßnahmen" getroffen werden. Dazu gehöre etwa, Städte umzubauen und Flüssen "mehr Raum" zu geben. Schließlich müsse beim Klimaschutz mehr getan werden, verlangte die Grünen-Vorsitzende.
System nicht grundlegend infrage stellen
Der Deutsche Landkreistag warnte unterdessen davor, das System "grundlegend infrage zu stellen". Präsident Reinhard Sager sprach sich gegen eine Zentralisierung des Katastrophenschutzes aus. "Gegen derart blitzschnell hereinbrechende Naturgewalten ist der Mensch ab einem gewissen Punkt einfach machtlos", erklärte er. "Das sollten wir uns bewusst machen und es akzeptieren", sagte er der "Rheinischen Post". Allerdings sprach sich Sager für eine Verbesserung der Warnmöglichkeiten per Handy aus. "Die bestehenden technischen Möglichkeiten werden derzeit noch zu wenig genutzt", erklärte er.
Auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) wandte sich gegen eine Zentralisierung. Reul räumte in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen" zwar ein, es könne nicht alles hundertprozentig funktioniert haben, denn dann hätte es keine Todesopfer gegeben. Doch nach seinem heutigen Kenntnisstand habe es "keine großen grundsätzlichen Probleme" gegeben. Auch Reul plädierte für eine Verbesserung der Warnsysteme. So stelle sich die Frage, wie jene Menschen erreicht werden können, die keine Warn-App haben.
Warnungen nicht ausreichend weitergegeben
Schärfere Vorwürfe kamen von der FDP. Der Fraktionsvize Michael Theurer sieht schwere Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz. "Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden", sagte Theurer der Deutschen Presse-Agentur. "Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt."
Auch aus dem Ausland wurde Kritik am deutschen Katastrophenschutz laut. Die britische Hydrologie-Professorin und Mitentwicklerin des europäischen Hochwasser-Warnsystems Efas, Hannah Cloke, sprach in der "Sunday Times" von "monumentalem Systemversagen", das für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich sei. Bereits Tage vorher hätten Satelliten Vorzeichen für die Katastrophe festgestellt und die deutschen Behörden seien vorgewarnt worden.
Katastrophen-Warnungen sollen besser werden
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will nicht an der föderalen Struktur des Katastrophenschutzes rütteln. Diese sei richtig, und zwar seit Jahrzehnten", sagt Seehofer bei einem Besuch an der Steinbachtalsperre im nordrhein-westfälischen Kreis Euskirchen. "Zentralismus verbessert hier gar nichts." NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der Seehofer begleitete, sagte, es müsse analysiert werden, wie Katastrophen-Meldungen besser gemacht werden könnten.
Der nächste bundesweite Warntag soll nach den Plänen des Bundesinnenministeriums erst im kommenden Jahr durchgeführt werden. Man sei derzeit dabei, das im März vorgestellte Konzept für den Katastrophenschutz abzuarbeiten und etwa die Standorte für Sirenen auszubauen, sagt ein Sprecher. Im Jahr 2020 habe der Warntag nicht funktioniert. "Wir arbeiten daran, dass dieses System funktioniert", sagt der Sprecher.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte eine Aufarbeitung möglicher Fehler beim Katastrophenschutz. In der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen" sagte er, es müsse geklärt werden, ob ausreichend Vorsorge getroffen wurde. "Es geht nicht um Schuldzuweisungen, es geht um Verbesserungen für die Zukunft."
Bundesregierung hält Kritik für verfrüht
Eine Regierungssprecherin bezeichnete die Suche nach Fehlern als verfrüht, weil man sich immer noch um die Rettung von Menschen kümmere. Danach werde man schauen, "ob weitere Schlussfolgerungen zu ziehen sind". Sie verwies auf die gemeinsame Zuständigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden.
Eine Sprecherin des Verkehrsministerin konnte zunächst nicht sagen, wann vergangene Woche Warnungen vor kommenden Hochwasser bei dem nachgeordneten Deutschen Wetterdienst eingegangen waren.
"Warninfrastruktur hat geklappt"
Der Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, verteidigte den Katastrophenschutz gegen die Kritik. "Unsere Warninfrastruktur hat geklappt im Bund", sagte Schuster im ZDF. Der Deutsche Wetterdienst habe relativ gut gewarnt. "Wir haben 150 Warnmeldungen über unsere Apps, über die Medien ausgesendet." Das Problem sei, dass man oft eine halbe Stunde vorher noch nicht sagen könne, welchen Ort es mit welcher Regenmenge treffen werde. Wo die Menschen in den Hochwassergebieten durch Sirenen gewarnt worden seien und wo nicht, könne er im Moment nicht sagen.
Schuster: "Gute alte Sirene"
Im Deutschlandfunk sprach sich Schuster aber deutlich für die Wiedernutzung der Sirenen aus. Es brauche einen Warnmittel-Mix aus verschiedenen Methoden, rein digitale Warnungen seien nicht der richtige Weg. "Und deswegen wollen wir auch die gute alte Sirene zurückhaben."
Mit einem Förderprogramm in Höhe von 90 Millionen Euro sollen gemeinsam mit den Bundesländern "an den richtigen Stellen" wieder Sirenen installiert werden. "Die 90 Millionen werden dafür aber nicht reichen. Wir werden mehr Geld brauchen", sagte Schuster. Schnell werde es nicht gehen. "Das ist ein Projekt für mehrere Jahre."