Katastrophenschutz "Unser Warnsystem hat funktioniert"
Mehr als 160 Menschen sind tot, es gibt verheerende Sachschäden. Hätte das verhindert werden können, wenn besser gewarnt worden wäre? Experten sprechen von Versäumnissen, der Chef der zuständigen Behörde weist die Kritik zurück.
Nach der Hochwasserkatastrophe mit mehr als 160 Toten und verheerenden Sachschäden steht der Katastrophenschutz in Deutschland in der Kritik. Zahlreiche Politiker sprachen von Versagen und Fehlern.
Bei einem Besuch der Flutgebiete in Bad Neuenahr-Ahrweiler mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verteidigte der Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, seine Behörde. Deren Aufgabe sei es, ein Warnsystem für den Verteidigungsfall bereitzustellen. Vor Ort seien Kommunen und Landkreise zuständig.
"Geschmack von Wahlkampf"
Zwischen Mittwochmorgen und Samstagmittag seien 150 Warnmeldungen über das BBK-System geschickt worden. "Unser Warnsystem hat funktioniert in jedem einzelnen Fall", sagte Schuster. Er habe aber keinen Einfluss darauf, wie vor Ort mit den Warnungen seiner Behörde umgegangen werde. Durchgriffsrechte bis in die Kommunen habe er nicht. Er sei nicht der oberste Katastrophenschützer Deutschlands. "Wer das BBK gerne in größerer Verantwortung sähe, der muss mit dem Gesetzgeber reden", sagte Schuster mit Blick auf die Kompetenzverteilung beim Katastrophenschutz.
Bundesinnenminister Seehofer sagte, er glaube, der Katastrophenschutz sei gut aufgestellt. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmanagement zu ziehen seien. Man dürfe nicht in der Arroganz verharren, dass nichts verbessert werden kann, so Seehofer.
An der föderalen Struktur des Katastrophenschutzes will er jedoch nicht rütteln. Diese sei richtig, "und zwar seit Jahrzehnten", sagte Seehofer bei einem Besuch an der Steinbachtalsperre im nordrhein-westfälischen Kreis Euskirchen. "Zentralismus verbessert hier gar nichts." Die Kritik am Katastrophenschutz wies er mit den Worten zurück, sie habe für ihn "den Geschmack von Wahlkampf".
Opposition sieht Katastrophenschutz schlecht vorbereitet
Zuvor hatten Teile der Opposition im Bundestag den für Katastrophenschutz zuständigen Seehofer scharf kritisiert. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sieht schwere Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz. "Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden", sagte Theurer der Nachrichtenagentur dpa. "Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt."
Die FDP-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Innenausschusses. Seehofer müsse darlegen, was die Bundesregierung wann genau wusste - und was unternommen wurde, um den Katastrophenschutz sicherzustellen.
Die Linkspartei-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow brachte sogar eine Rücktrittsforderung ins Spiel. "Seehofer trägt die politische Verantwortung für das desaströse Versagen der Bundesregierung", erklärte sie.
"Bund muss stärkere, koordinierende Rolle spielen"
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sprach sich dafür aus, dem Bund bei Fragen der Vorsorge gegen Extremwetterereignisse mehr Kompetenzen zu geben. Es sei nötig, die Risikovorsorge "massiv" zu verstärken. "Hier muss aus meiner Sicht auch der Bund eine viel stärkere, koordinierende Rolle spielen", sagte Baerbock im ARD-Morgenmagazin. Bei überregionalen Ereignissen müsse die Bundesebene mehr tun können, sagte die Grünen-Vorsitzende. Dies habe auch die Corona-Pandemie gezeigt.
Insgesamt forderte Baerbock als Lehre aus den jüngsten Überschwemmungen eine "dreifache nationale Kraftanstrengung": Neben besserer Risikovorsorge müssten mehr "Klimaanpassungsmaßnahmen" getroffen werden. Dazu gehöre etwa, Städte umzubauen und Flüssen "mehr Raum" zu geben. Schließlich müsse beim Klimaschutz mehr getan werden.
Warnungen nicht bei der Bevölkerung angekommen?
Auch aus dem Ausland wurde Kritik am deutschen Katastrophenschutz laut. Die britische Hydrologie-Professorin und Mitentwicklerin des europäischen Hochwasser-Warnsystems Efas, Hannah Cloke, sprach in der "Sunday Times" von "monumentalem Systemversagen", das für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich sei. Bereits Tage vorher hätten Satelliten Vorzeichen für die Katastrophe festgestellt, die deutschen Behörden seien vorgewarnt worden.
Bundesregierung hält Kritik für verfrüht
Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums konnte zunächst nicht sagen, wann in der vergangenen Woche Warnungen vor kommendem Hochwasser bei dem nachgeordneten Deutschen Wetterdienst eingegangen waren.
Eine Regierungssprecherin bezeichnete die Suche nach Fehlern allerdings als verfrüht. Man kümmere sich immer noch um die Rettung von Menschen. Danach werde man schauen, "ob weitere Schlussfolgerungen zu ziehen sind". Sie verwies auf die gemeinsame Zuständigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden.
"System nicht grundlegend infrage stellen"
Der Deutsche Landkreistag warnte unterdessen davor, das System "grundlegend infrage zu stellen". Präsident Reinhard Sager sprach sich gegen eine Zentralisierung des Katastrophenschutzes aus. "Gegen derart blitzschnell hereinbrechende Naturgewalten ist der Mensch ab einem gewissen Punkt einfach machtlos", erklärte er. "Das sollten wir uns bewusst machen und es akzeptieren", sagte er der "Rheinischen Post". Allerdings sprach sich Sager für eine Verbesserung der Warnmöglichkeiten per Handy aus. "Die bestehenden technischen Möglichkeiten werden derzeit noch zu wenig genutzt", erklärte er.
Auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) plädierte für eine Verbesserung der Warnsysteme. So stelle sich die Frage, wie jene Menschen erreicht werden können, die keine Warn-App haben. NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet kündigte an, man werde untersuchen, wo die Meldewege noch besser werden können.
"Gute alte Sirene"
Eine Verbesserung ist bereits im Gespräch: BBK-Chef Schuster plädierte im Deutschlandfunk für die Wiedernutzung von Sirenen im Katastrophenfall. Es brauche einen Warnmittel-Mix aus verschiedenen Methoden, rein digitale Warnungen seien nicht der richtige Weg. "Und deswegen wollen wir auch die gute alte Sirene zurückhaben."
Mit einem Förderprogramm in Höhe von 90 Millionen Euro sollten gemeinsam mit den Bundesländern "an den richtigen Stellen" wieder Sirenen installiert werden. "Die 90 Millionen werden dafür aber nicht reichen. Wir werden mehr Geld brauchen", sagte Schuster. Schnell werde es nicht gehen. "Das ist ein Projekt für mehrere Jahre."