Bundesverfassungsgericht Zwangsbehandlung muss nicht immer in Klinik stattfinden
Zwangsbehandlungen sind nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Ein Gericht muss zustimmen und sie dürfen bisher nur in Kliniken vorgenommen werden. Letzteres ist jedoch verfassungswidrig, urteilte Karlsruhe.
Ärztliche Zwangsmaßnahmen nur im Krankenhaus und nicht auch zum Beispiel zu Hause - diese strenge Regel im Gesetz verletzt Grundrechte von Patienten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden.
Damit antwortet das Gericht auf die wichtige Frage, ob es für manche Patienten besser wäre, wenn ärztliche Zwangsbehandlungen in ihrem persönlichen Umfeld durchgeführt werden, also zu Hause oder im Pflegeheim. Und ob der Staat eine Schutzpflicht hat, diese Behandlung auch außerhalb von Kliniken in Ausnahmefällen möglich zu machen.
Zwangsmaßnahmen müssen die Ausnahme sein
Zwangsbehandlungen sind grundsätzlich nur in Ausnahmefällen möglich. Wenn ein Patient psychisch krank ist oder unter Demenz leidet, kann er oft nicht richtig einordnen, ob er eine medizinische Behandlung braucht.
Wenn die Einsichtsfähigkeit eingeschränkt ist, jemand sich gegen die Behandlung sträubt und ohne Behandlung ein schwerer Schaden droht, dürfen unter Zwang von einem Arzt Medikamente gegeben werden. Ein Betreuungsgericht muss das immer absegnen. Und bisher galt: Zwangsbehandlungen dürfen nur in der Klinik vorgenommen werden.
Behandlung in gewohnter Umgebung
Ausgangspunkt der heutigen Entscheidung war der Fall einer Frau, die regelmäßig in einer Klinik mit Medikamenten zwangsbehandelt wurde. Ihr Betreuer meinte, dass sie der Transport in die Klinik jedes Mal zusätzlich traumatisiere. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) war der Ansicht, dass es Grundrechte von Patienten verletzt, wenn die Zwangsbehandlung nur in Kliniken möglich ist. Die Behandlung in gewohnter Umgebung sei oft weniger belastend.
Der BGH legte den Fall dem Verfassungsgericht vor, und das hat heute entschieden: Die strenge Regel - Zwangsbehandlungen nur im Krankenhaus - ist demnach nicht verfassungsgemäß. Denn es kann im Einzelfall sein, dass eine Zwangsbehandlung im Krankenhaus für den Patienten schlecht ist.
Es muss eine Ausnahme für Behandlungen zu Hause geben
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Ersten Senats, Stephan Harbarth, betonte bei der Urteilsverkündung, dass die bisherige Regelung nicht verhältnismäßig sei.
Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit seien nicht gewahrt, so Harbarth, "soweit Betreuten aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe eines stationären Krankenhausaufenthalts erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit drohen und zu erwarten ist, dass diese Beeinträchtigungen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind, vermieden werden könnten".
Mögliches Leid durch Umgebungswechsel
Wenn der Patient durch den Transport ins Krankenhaus erheblich leidet und das bei einer Zwangsbehandlung zu Hause oder im Pflegeheim vermieden werden kann, ist die Pflicht zur Behandlung ausschließlich in einer Klinik nicht in Ordnung, so Karlsruhe.
Der Staat habe die Pflicht, Patienten vor zu starken Belastungen zu schützen, wenn sie zwangsbehandelt werden. Beispielsweise bei Demenzkranken, die in eine Klinik gebracht werden und allein durch den Umgebungswechsel besonders leiden können.
Richterinnen und Richter waren sich nicht einig
Der Gesetzgeber muss die Regeln zur Zwangsbehandlung jetzt ändern. Er kann Zwangsbehandlungen zu Hause zulassen. Voraussetzung: Die Behandlung muss für den Patienten weniger belastend sein als in der Klinik und die medizinische Versorgung zu Hause oder im Heim muss den Krankenhausstandard nahezu erreichen. Für eine solche Neuregelung ist jetzt bis Ende 2026 Zeit.
Interessant an der Entscheidung ist, dass sie mit fünf zu drei Stimmen ergangen ist, also mit drei Stimmen gegen das Urteil. Verfassungsrichter Heinrich Amadeus Wolff hat eine abweichende Meinung formuliert. Er betont, dass durch Zwangsbehandlungen auch zu Hause oder im Heim die Schutzstandards für Patienten sinken könnten. Der Gesetzgeber dürfe also streng vorgeben, dass Zwangsbehandlungen nur in der Klinik möglich sein sollen. Die Mehrheit der Richterinnen und Richter sieht das aber in ihrem heutigen Urteil anders.