Absturz von CDU und SPD in Hessen Wie wichtig war der GroKo-Gegenwind?
Politiker von CDU und SPD in Hessen werden nicht müde zu betonen: Der Absturz lag am Gegenwind aus Berlin. Aber stimmt das? Zahlen von infratest dimap liefern hier interessante Erkenntnisse.
Die Stimmung in Hessen ist gut. 60 Prozent der Wähler hier sind mit der Arbeit ihrer bisherigen Landesregierung zufrieden. Ministerpräsident Volker Bouffier bekommt - für hessische Verhältnisse - gute Zustimmungswerte. Und trotzdem wurde seine CDU vom Wähler abgestraft. Warum?
Die Landtagswahl als "Denkzettel" für die GroKo
Es liegt wohl tatsächlich vor allem an der Bundespolitik. Die hat in Hessen diesmal eine noch größere Rolle gespielt, als sie das für gewöhnlich bei Landtagswahlen in Flächenländern tut. Eine Zahl zeigt das besonders deutlich: 50 Prozent der wahlberechtigten Hessen sagen, die Landtagswahl sei eine gute Gelegenheit, den Regierungsparteien in Berlin "einen Denkzettel" zu verpassen.
Ob sie das bei der Wahl tatsächlich getan haben, ist eine andere Frage, aber die Tendenz dazu ist deutlich. Am stärksten ausgeprägt ist sie erwartungsgemäß bei AfD-Anhängern. Aber selbst von den CDU-Anhängern sagen das noch 35 Prozent.
Und besonders deutlich wird es, wenn man diejenigen fragt, die früher in Hessen CDU oder SPD wählten, das diesmal aber nicht mehr tun. 53 Prozent der abgewanderten SPD-Wähler und sogar 73 Prozent der abgewanderten CDU-Wähler halten den "Denkzettel" für eine gute Idee.
In Hessen änderte sich wenig, in Berlin viel
Ein weiteres, auffälliges Indiz für den Einfluss aus Berlin: die Bewertung der Arbeit der beiden hessischen Regierungsparteien. Hier schnitt die CDU bis Anfang des Jahres stets besser ab als die Grünen. In den vergangenen Monaten hat sich das gedreht. An der Arbeit der hessischen Landesregierung hat sich in dieser Zeit aber nichts großartig verändert - sie arbeitete ähnlich reibungslos wie zuvor.
Ganz anders im Bund, wo seit März das Kabinett Merkel IV im Amt ist. Der Streit um den Flüchtlings-"Masterplan" von Innenminister Horst Seehofer, dessen gleich wieder zurückgezogene Rücktrittsandrohung, der Zick-Zack-Kurs bei der Personalie Maaßen - all das fiel in die betreffende Zeitspanne und überlagerte völlig die Sachpolitik, zu der die Große Koalition in Berlin durchaus auch imstande war. Und es färbte eben auch auf die Parteien in Hessen ab.
Schwer, sich dem Negativ-Image zu entziehen
Die Wähler sind auch in Hessen genervt vom Dauerstreit in der Bundesregierung - und sie sagen das auch deutlich. 86 Prozent meinen, die Große Koalition in Berlin sei zu zerstritten, um gemeinsame Politik zu machen. 79 Prozent sagen, sie kümmere sich eher um sich selbst als um die Probleme der Menschen.
Das war bei der Landtagswahl in Bayern schon ähnlich. Dort gab es mit der CSU allerdings auch eine Partei, deren Spitzenpersonal maßgeblich für den Streit in der Berliner GroKo verantwortlich war. Ganz anders in Hessen: Hier wurde das Verbindende betont, nicht das Trennende. Und aus dem Berliner Streit haben sich die Spitzen der Landes-CDU weitgehend herausgehalten.
Warum wird die CDU in Hessen dann ebenso abgestraft wie die CSU in Bayern? Offenbar ist das Image der GroKo in Berlin inzwischen so schlecht, dass es auch für Landespolitiker der beteiligten Parteien schwer ist, sich dem zu entziehen.
Diesel-Skandal wohl noch wichtiger als andere Streitpunkte
Das gilt für die CDU genauso wie für die SPD. Und neben den oben bereits zitierten GroKo-Streitpunkten kam in Hessen noch ein weiterer hinzu, der hier eine besonders große Rolle gespielt haben dürfte: der Umgang mit dem Diesel-Skandal.
In Hessen drohen rund um die Pendlerhochburg Frankfurt Fahrverbote, weil die gesetzlichen Grenzwerte von Schadstoffen in der Luft nicht eingehalten werden. Die Bundesregierung hatte für dieses Problem ein "Lösungspaket" präsentiert, das zwei Hauptbausteine enthält: Umtauschprämie und Nachrüstung. Doch die Umtauschprämie für schmutzige Diesel ist nach Ansicht von Kritikern eher eine Konjunkturprogramm für die Autoindustrie denn eine Lösung des Abgasproblems. Die Nachrüstung von Diesel-Pkw - die auch viele Unionspolitiker nicht wirklich wollen - will der Großteil der Autokonzerne schlichtweg nicht mitmachen.
"CDU zu sehr an Interessen der Wirtschaft orientiert"
Das fliegt sowohl der CDU als auch der SPD um die Ohren: 85 Prozent der Hessen sind unzufrieden mit dem Diesel-Paket der Bundesregierung. Und in diesem Zusammenhang ist wohl auch eine Aussage im Bezug auf die CDU zu sehen: Fast drei Viertel der Hessen sagen, die Partei sei zu nah an den Interessen der Wirtschaft. Selbst 57 Prozent der CDU-Anhänger sehen das so.
Grüne gelten als ehrlich und der Zukunft zugewandt
Und wem trauen die Hessen am ehesten zu, das Diesel-Problem zu lösen? Den GroKo-Parteien eher nicht. Gut ein Drittel sagt, keine Partei bekommt das in den Griff. Etwa genau so viele sagen aber: Es sind die Grünen.
Sie profitieren in Hessen, ähnlich wie schon in Bayern, von ihrem klaren Profil. Denn während bei der CDU 47 und bei der SPD sogar 64 Prozent der Hessen nicht mehr wissen, wofür die Parteien inhaltlich eigentlich stehen, ist das bei den Grünen völlig klar. Und viele Hessen - auch solche, die die Grünen gar nicht wählen - finden das auch gut: 81 Prozent sagen, es sei gut, dass sich die Grünen für eine offene und tolerante Gesellschaft einsetzten, 69 Prozent loben ihren Einsatz für "eine humane Asylpolitik".
Und noch in zwei anderen Punkten schneiden die Grünen in den Wählerbefragungen auffallend gut ab, die infratest dimap im Auftrag der ARD am Wahlabend und in der Woche vor der Wahl durchführt: Ihnen wird am ehesten zugetraut, Antworten auf Zukunftsfragen zu geben. Und sie sind die einzige Partei, der eine Mehrheit glaubt, dass sie vor der Wahl ehrlich sage, was sie danach umsetzen wolle.
AfD bleibt eine Protestpartei
Die SPD verlor vor allem an die Grünen Wähler, die CDU etwa im gleichen Maße an Grüne und AfD. Kam den Rechtspopulisten auch die Bundespolitik zugute? Grundsätzlich ja, denn die AfD ist weiterhin in erster Linie eine Protestpartei - und dieser Protest richtet sich in erster Linie gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
61 Prozent der AfD-Wähler in Hessen haben die Partei nicht deshalb gewählt, weil sie von ihr überzeugt wären - sondern, weil sie von anderen Parteien enttäuscht waren. Und mehr als die Hälfte der AfD-Wähler hat ihre Wahlentscheidung auch schon vor längerer Zeit getroffen. Beides sind Werte, bei denen sich AfD-Wähler deutlich von denen anderer Parteien abhebt.
GroKo-Parteien haben vergleichsweise wenig junge Wähler
Bei CDU und SPD lohnt sich auch ein Blick auf die Altersstruktur ihrer Wähler - und der lässt für die Zukunft der "Volksparteien" nichts Gutes erahnen. Denn einen großen Anteil ihrer Wähler holen sie in der Altersgruppe der Über-60-Jährigen, wohingegen Grüne, Linke und FDP überproportional gut bei jungen Wählergruppen abschneiden.
Gelingt es CDU und SPD nicht, auch die nachwachsenden Generationen wieder mehr von sich zu überzeugen, dürfte ihre Talfahrt weitergehen - auch ganz unabhängig vom aktuellen GroKo-Streits.