Wiederholungswahl in Berlin Korrektur einer Panne
Keine Stimmzettel, lange Schlangen: In Berlin herrschten bei der Bundestagswahl 2021 teilweise chaotische Zustände. Deshalb wird die Wahl heute in 455 Wahlbezirken wiederholt. Eindrücke aus einem Wahlkampf mit vielen Merkwürdigkeiten.
Kevin Kühnert steht im Hausflur eines 1960er-Jahre-Baus in Berlin-Tempelhof und drückt die erste Klingel. Haustürwahlkampf steht auf dem Programm, darin macht ihm keiner so schnell etwas vor. "Der Bezirk hat knapp 20.000 Wahlberechtigte bei dieser Wiederholungswahl, und wir haben sicherlich bei knapp der Hälfte davon geklingelt", sagt er.
Die Haustür öffnet sich. Der SPD-Generalsekretär legt los: "Guten Tag, Kühnert ist mein Name, ich bin hier der Bundestagsabgeordnete im Bezirk...". "Na, ich kenne Sie doch!", unterbricht ihn der Bewohner. Schnell werden ein paar Nettigkeiten ausgetauscht, Kühnert drückt dem Mann eine Broschüre in die Hand und der Mieter verspricht, am Sonntag wählen zu gehen. Das ist nicht selbstverständlich.
Verschiebungen im Endergebnis werden nicht erwartet
Die Frage, warum die Berliner heute überhaupt wählen gehen sollten, ist nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn nur in 455 von 2.256 Wahlbezirken wird neu gewählt. Im Rest gilt weiterhin das Ergebnis von 2021. Die Folge: Große Verschiebungen im Endergebnis werden nicht erwartet, Auswirkungen auf die Bundespolitik so gut wie gar keine. Kühnert kümmert das wenig, sagt er. Er wolle das bestmögliche Ergebnis für sich und seine Partei.
"Guten Tag, Kühnert mein Name" - die nächste Tür, der nächste Small Talk. Viele Bewohner hier sind im Rentenalter und reagieren freundlich auf den Besucher aus der Bundespolitik. Eine Bewohnerin bittet Kühnert sogar herein, zeigt ihm ihre Wohnung, in der sie seit mehr als 60 Jahren lebt, erzählt von damals. Um Politik geht es nicht einmal am Rande.
Tempelhof ist das, was man früher wohl einen "Arbeiterbezirk" nannte. Viele zweckmäßige Mehrfamilienhäuser, kein Großstadtglamour. Ein paar Straßen weiter steht Kühnerts Parteikollegin Franziska Giffey an einem SPD-Stand. Es ist ein nasskalter Februartag. Die ehemalige Regierende Bürgermeisterin hofft, dass "ein Signal" vom Wahlergebnis am Sonntag ausgeht. Nur welches?
Berliner Politiker hoffen auf hohe Wahlbeteiligung
Hier oder dort könnte eventuell ein Direktmandat verloren gehen oder sich der Zweitstimmenanteil etwas ändern. Auswirkungen auf die Ampelkoalition oder die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag: Fehlanzeige. Eine Gefahr aber haben Politiker aller Parteien in Berlin für sich ausgemacht: Fällt die Wahlbeteiligung sehr niedrig aus, könnten Zweitstimmenmandate an andere Bundesländer gehen - und Berliner Abgeordneten somit Sitze im Parlament abhanden kommen.
Auf den Plätzen säßen dann Politiker aus anderen Bundesländern, Berlin wäre weniger stark repräsentiert. Das scheint noch die wahrscheinlichste Auswirkung der Berliner Wiederholungswahl zu sein.
"Die Leute haben so viele andere Probleme"
Glaubt Giffey, dass die Berliner sich davon motivieren lassen, wählen zu gehen? "Nein", antwortet sie sofort und lacht. "Wissen Sie, die Leute haben so viele andere Probleme." Stattdessen träfe sie auf sehr viel Unverständnis, was diese Wahl eigentlich soll. Viele fragten sich: Was mache es für einen Sinn, jetzt noch einmal zu wählen, wenn doch im nächsten Jahr schon wieder Bundestagswahl sei. Giffey lächelt, geht auf die nächsten Passanten zu und verteilt weiter Flyer.
Kaum beachteter Wahlkampf
Der Wahlkampfabschluss der Berliner CDU findet an einer Bushaltestelle statt. Kai Wegner, der Regierende Bürgermeister, wird von circa 50 Parteianhängern empfangen, Passanten bleiben nur vereinzelt stehen. Es ist kalt, der Himmel ist grau und so richtig interessiert der Termin auf der Straße niemanden, so scheint es. Die ganz große Politprominenz fehlt - statt Parteichef Friedrich Merz sind CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor gekommen.
"Großveranstaltungen machen in diesem Wahlkampf keinen Sinn. Dafür ist die Wahl nicht groß genug. Machen die anderen Parteien ja auch nicht", sagt Linnemann. Es gibt noch ein paar gemeinsame Fotos, ein paar markige Worte Wegners gegen die Ampelkoalition im Bund und dann ist der Wahlkampf auch schon vorbei. "Gespenstisch" sei dieser teilweise gewesen, fasst CDU-Kandidatin Monika Grütters zusammen. Stimmenfang fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
In Berlin unterstützten Kai Wegner, Carsten Linnemann und Philipp Amthor den Wahlkampf.
Absurditäten auf dem Wahlzettel
Tatsächlich sorgt die Wahl für einige Absurditäten. Der Grund ist, dass es eine echte Wiederholungswahl ist. Das bedeutet, dass der "Vorgang Bundestagswahl" möglichst identisch zum ersten Versuch noch einmal durchgeführt werden muss. Eine reine Korrektur also. Daher herrscht auf den Wahlzetteln noch immer das Jahr 2021. Hier ist zum Beispiel der SPD-Kandidat Michael Müller von Beruf noch Regierender Bürgermeister von Berlin - und noch nicht Mitglied des Bundestages. Zur Wahl steht auf den Zetteln auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Sie sitzt allerdings in Untersuchungshaft, nachdem sie Ende 2022 festgenommen wurde. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor.
Und Menschen, die nach dem Wahltag 2021 erst in einen der betroffenen Wahlbezirke gezogen sind, dürfen noch einmal ihr Kreuz machen - obwohl sie womöglich vor zweieinhalb Jahren bereits gewählt haben. Neuwähler, die damals noch nicht wahlberechtigt waren, dürfen nun abstimmen.
Plakate gegen die Ampel
Währenddessen plakatiert die Linke gegen "die Ampel" - eine Bundesregierung also, die es 2021 noch gar nicht gab. Die Liste der kleineren und größeren Merkwürdigkeiten ließe sich fortsetzen, doch ändern könne man an all dem ja nichts, sind sich Politiker aller Parteien einig. Noch etwas vereint die Kandidaten: die Hoffnung, dass dieses Mal keine Pannen auftreten. Kühnert lacht, wenn er darauf angesprochen wird. Er zeigt sich zuversichtlich:
Wir haben dieses Mal mehr Stimmzettel als Wahlberechtigte da, die Wahllokale sind gut besetzt. Ich setze darauf, dass das gut funktioniert.
Die nächste Klingel, dieselbe Begrüßung, wieder der Hinweis von Kühnert, dass am Sonntag Wahltag ist. "Ja, danke, wissen wir. Wir gehen hin", sagt der Bewohner, nimmt die Broschüre und verabschiedet sich. Kühnert nickt zufrieden und drückt die nächste Klingel.
Mit Material von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio