Interview

Interview zur Arzneimittelordnung "Das Gesetz steht im Schatten des Lobbyismus"

Stand: 22.10.2015 13:55 Uhr

Neun Milliarden Defizit im Gesundheitshaushalt muss Minister Rösler ausgleichen. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes will er das Preismonopol der Pharmaindustrie brechen. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen diagnostiziert im Interview mit tagesschau.de zwar Ansätze, jedoch keine langfristigen Erfolge.

tagesschau.de: Ist das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes das richtige Rezept, um das Milliardenloch im Gesundheitshaushalt zu stopfen?

Gerd Glaeske: Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimarktes hat unterschiedliche Facetten. Es gibt erstens das Kostendämpfungspaket, also die Erhöhung der Herstellerrabatte von sechs auf 16 Prozent, und ein Preismoratorium. Das alles kann innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre knapp 1,5 Milliarden Euro einsparen. Diese Kostendämpfungsmaßnahme kann man nachvollziehen. Das Zweite ist die Nutzenbewertung, die jetzt neu in das AMNOG aufgenommen ist und möglicherweise für die Kassen ein Einsparpotenzial von zwei Milliarden Euro bringen könnte. Da habe ich schon Bedenken, ob das so sein wird.

Zur Person

Gerd Glaeske lehrt als Professor an der Universität Bremen. Sein Fachgebiet ist die Versorgungsforschung im Bereich Arzneimittel. Von 2003 bis 2009 war er Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

tagesschau.de: Aber gerade dieser Teil der Strukturreform gilt doch als Röslers Meisterstück?

Glaeske: Es ist richtig frühzeitig zu bewerten, ob bestimmte Arzneimittel einen sinnvollen Beitrag zur Therapie liefern können. Ich habe jedoch erhebliche Zweifel, ob das mit dieser Art von Nutzenbewertung innerhalb der ersten drei Monate nach der Zulassung funktioniert.

Zulassungsstudien reichen nicht aus

tagesschau.de: Bei dieser erstmaligen Nutzenbewertung muss der Hersteller ein Dossier über die Zulassungsstudien abgeben. Ist das kein Fortschritt?

Glaeske: In diesen Zulassungsstudien werden die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität typischerweise gegen Placebo untersucht. Das ist das große Problem, denn die Nutzenbewertung kann immer nur im Vergleich zu anderen Maßnahmen, Therapien und anderen Arzneimitteln stattfinden. Der Nutzen muss dabei definiert werden als eine Verringerung der Belastung durch die Krankheit und als eine Verbesserung der Lebensqualität.

tagesschau.de: Welche Gefahren sehen Sie im Preisaushandeln?

Glaeske: Der Hersteller hat intern ausgerechnet, dass er 1000 Euro für das Arzneimittel braucht. In die Verhandlungen aber, geht er mit 2000 Euro. Der gemeinsame Bundesausschuss muss aufgrund des Dossiers ermitteln, was der Preis sein könnte, den er bereit ist, zu zahlen. Der setzt vielleicht bei 1500 Euro an, und der Hersteller ist damit zufrieden. Dieses Verfahren ist nicht rational, weil es in Wirklichkeit keine Kosten-Nutzen-Bewertung ist, sondern eine vorgezogene, auf der Basis von unsicheren Daten entwickelte Kostenschätzung.

tageschau.de: Im Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes ist vorgesehen, dass bei einem zweifelhaften Nutzen eines Medikaments der gemeinsame Bundesausschuss dem Pharmaunternehmen eine Unzweckmäßigkeit nachweisen muss. Ist das eine gelungene Lösung?

Glaeske: Diese Unzweckmäßigkeit lässt sich überhaupt nicht beweisen. Der Hersteller soll die Zweckmäßigkeit belegen. Tut er das nicht vernünftig, muss der G-BU die Unzweckmäßigkeit nachweisen. Da das nicht funktioniert, wird jetzt der Bundessauschuss ermächtigt, mit einer Kann-Vorschrift weitere Studien abzufordern, die die Zweckmäßigkeit belegen. Wenn der Hersteller das nicht macht, kann der gemeinsame Bundesausschuss schon aufgrund dieser Weigerung mit dem Ausschluss eines Arzneimittels drohen. Da hat sich etwas bewegt, wohl auch wegen der öffentlichen Kritik.

Diskussionen fehlen im Gesetzgebungsverfahren

tagesschau.de: Wie sieht das ideale Verfahren aus?

Gläske: Nach einer frühen Nutzenbewertung müssen klare Regelungen für die danach folgenden Schritte feststehen. Versorgungsrelevante Studien müssen erstellt werden, die nach drei bis fünf Jahren erneut die Diskussion über dieses Arzneimittel zulassen. Der letztendliche Preis muss dann festgelegt werden. Wenn man merkt, dass der Preis überhöht war, muss der Hersteller auch zurückzahlen. Es kann aber auch sein, dass der Nutzen größer war, dann muss man dem Hersteller einen finanziellen Ausgleich bieten. Die Basis für eine begründete Entscheidung und einen vernünftigen Vergleich muss verbessert werden.

tagesschau.de: Wie schätzen Sie insgesamt das Gesetzgebungsverfahren zum AMNOG ein?

Gläske: Es wurde viel zu wenig Diskussion zugelassen. Es hat zwar eine Anhörung gegeben. Die hat aber auch gezeigt, dass es einen erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt. Offenbar muss dieses Gesetzesvorhaben nun in kürzester Zeit durchgedrückt werden. Darum muss man auch Zweifel haben, ob Vieles so überdacht ist, wie man sich das bei einem Gesetz vorstellt oder ob nicht Vieles von dem, was im Gesetz steht, der Text von Lobbyisten ist, insbesondere vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller, die natürlich eine möglichst ungestörte Vermarktung ihrer Arzneimittel wünschen.Vieles in dem Gesetz, kommt den pharmazeutischen Herstellern zu Gute.

Im Schatten des Lobbyismus

tagesschau.de: Ihr Fazit zum Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes?

Glaeske: Die kostendämpfenden Maßnahmen tun der pharmazeutischen Industrie sicher weh. Aber über allen anderen Regelungen im AMNOG sehe ich den großen Schatten des Lobbyismus der pharmazeutischen Hersteller.

Das Interview führte Maxi Schmeißer für tagesschau.de