Mitglieder einer Yoga-Klasse trainieren an der Cayton Bay in Scarborough (Großbritannien) während die Sonne aufgeht.
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Vorwürfe gegen Yoga-Guru Menschenhandel, Manipulation, Machtmissbrauch

Stand: 24.04.2024 06:08 Uhr

Über Jahre wurden Schülerinnen der Yogabewegung Atman offenbar zur "sexuellen Initiation" zu ihrem Guru gebracht. BR-Recherchen geben Einblick in Manipulation und Machtmissbrauch. Zur Bewegung gehören auch deutsche Schulen.

Von Christiane Hawranek und Katja Paysen-Petersen, BR

Als Nathalie, eine junge Frau aus Deutschland, 2021 zum ersten Mal vor ihrem Guru stand, da hatte er nur einen Bademantel übergestreift. Gregorian Bivolaru war zu diesem Zeitpunkt rund siebzig Jahre alt und wurde von Interpol gesucht - wegen des Verdachts auf Menschenhandel. In Nathalies Yogabewegung hieß es, er werde politisch verfolgt. 

Nathalie besuchte erst Yoga-, dann auch Tantra-Kurse in einer Mitgliedsschule. "Das wird jetzt ein mega Event, das wird dein Leben verändern", so in etwa sei ihr der Besuch bei Bivolaru irgendwo bei Paris angepriesen worden. Sie werde bei einer "Tantra-Initiation" in die Geheimnisse der Liebe eingeweiht. Nathalie und andere Frauen beschreiben das als stundenlangen Sex. Im Nachhinein fühlt Nathalie sich mental missbraucht: von ihrem Guru und von der Yogabewegung, über die sie zu ihm gebracht wurde.

Yoga-Bewegung in 30 Ländern aktiv

Bivolaru gründete die erste Schule der Yogabewegung vor mehr als 30 Jahren in Rumänien unter dem Namen MISA. Heute gehört die Schule zum Dachverband Atman, der derzeit Mitgliedsschulen in 30 Ländern hat, auch in Deutschland. Die Schulen sind eigenständig organisiert und heißen fast überall anders, hierzulande "Deutsche Akademie für traditionelles Yoga".

Für den BR-Podcast "Seelenfänger - Toxic Tantra" sprachen Reporterinnen mit ehemaligen Anhängerinnen und Anhängern von Atman. Acht Frauen berichten, ebenfalls zur "Initiation" in Paris gewesen zu sein. Andere erhielten eine Einladung für dieses Treffen am geheimen Aufenthaltsort ihres Yoga-Gurus, fuhren aber nicht hin. Die Schilderungen der Frauen ähneln sich, sogar in Details, obwohl sie bis zu 15 Jahre auseinander liegen.

Offenbar systematisches Vorgehen

Nathalie und andere Frauen erzählen beispielsweise, dass sie, als sie mit dem Auto zu Bivolaru gebracht wurden, von innen verklebte Sonnenbrillen und Hüte mit breiter Krempe tragen sollten, um nicht zu sehen, wo genau ihr Guru sich aufhält. Sie erinnern sich, Geldbeutel und Handys abgegeben zu haben. Sie berichten von engen Wohnungen, in denen sie zusammen mit anderen Frauen auf das Treffen mit Bivolaru warteten und sich stundenlang erotische Filme ansahen: eine Art Indoktrinierung, mit dem Ziel, die perfekte "Shakti" zu werden, das Idealbild der Frau im Sinne der Yogabewegung. Auch das Treffen mit Bivolaru selbst und den Ablauf der anschließenden "Initiation" beschreiben die Frauen ähnlich.

Ermittlungen auf Deutschland ausgeweitet

Während der Recherche im November 2023 wurde Bivolaru bei einer groß angelegten Razzia in der Nähe von Paris festgenommen. Die französischen Behörden hatten zuvor Anzeigen von mehreren Frauen erhalten. Seitdem sitzen Bivolaru und fünf weitere Personen aus seinem Umfeld in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe: Menschenhandel, Vergewaltigung, Entführung in einer organisierten Bande, Vertrauensmissbrauch. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Auf Anfrage bei seinem Anwalt äußert sich Bivolaru nicht. Nach BR-Informationen wurden bei der Razzia in mehreren Gebäuden in Frankreich 58 Frauen vorgefunden, darunter eine Deutsche. Sie seien in beengten und unhygienischen Verhältnissen untergebracht gewesen.

Die Ermittlungen wurden auch auf Deutschland ausgeweitet, wie BR-Recherchen ergaben. Auf Anfrage teilt die Staatsanwaltschaft Berlin mit, dass es Ermittlungen nach einem Rechtshilfeersuchen aus Frankreich gab. Man sei "unterstützend tätig" geworden. Die französischen Behörden geben dem BR dazu keine Details bekannt, da diese dem "Untersuchungsgeheimnis" unterliegen würden.

Yoga-Schule: "Null Zweifel" an der Unschuld

Der Verband Atman äußert sich auf BR-Anfrage nicht zu den Vorwürfen, verweist aber auf seine Webseite. Dort finden sich Pressemitteilungen der ältesten Mitgliedsschule MISA aus Rumänien, bei der auch Nathalie Kurse belegt hat. Pressesprecherin Cosmina Oprea sagt, sie habe "null Zweifel", dass Bivolaru unschuldig sei. Falls etwas Schlechtes in der Schule passieren würde, erklärt sie, dann würden nicht Tausende von Menschen über Jahre dort bleiben. Auf die Frage, ob Yogaschülerinnen bei Bivolaru zur tantrischen "Initiation" waren, sagt sie: "Ich kann diese Frage nicht beantworten." Den Missbrauchsvorwürfen von Yogaschülerinnen entgegnet sie, das sollten die Frauen erst einmal beweisen.

Die "Deutsche Akademie für traditionelles Yoga" (DAtY) schreibt auf Anfrage: In Aktivitäten, die die Ermittler Bivolaru vorwerfen, sei der Verein nicht involviert. Auf der Webseite des Vereins steht, dass einige Kursleiter und Teilnehmer Bivolaru als spirituellen Lehrer gewählt haben. Dies sei jedoch eine freie Entscheidung, daher sei die DAtY auch keine sektenhafte Organisation.

Experten sehen Sektenmerkmale

Die Vorwürfe von Aussteigerinnen beschränken sich nicht auf Manipulation zu Sex. Mehr als 20 Frauen und Männern, die bei Atman mitgemacht haben, berichten den BR-Reporterinnen von einem Geflecht aus Machtmissbrauch und Manipulation.

Sie erzählen davon, erst einfach nur Yoga gemacht zu haben. Dann fühlten sie sich immer tiefer hineingezogen in eine Welt, in der sie Engel anbeten und sich vor Dämonen in Acht nehmen sollten - vor angeblich satanischen Medien zum Beispiel. Sie berichten von spirituellen Tests, von bedenklichen Fastenritualen, von Entfremdung von ihrem alten Leben und Manipulation. Die Folge ist, dass Betroffene ihrer Intuition nicht mehr vertrauen. Experten sehen hierin Sektenmerkmale.

Machtmissbrauch kein Straftatbestand

Die Juristin Anja Gollan von der Sekteninfo NRW hatte bereits mit ehemaligen Anhängern dieser Yogabewegung zu tun. Sie schätzt die rechtliche Lage in Frankreich anders ein als in Deutschland. Beispielsweise gibt es den dort bestehenden Straftatbestand des Vertrauensmissbrauchs beziehungsweise Missbrauchs psychischer Schwäche hierzulande so nicht. Sie erklärt: "Manipulation oder Machtmissbrauch sind keine Straftatbestände."

Dennoch werden ihrer Meinung nach die rechtlichen Möglichkeiten oft nicht ausgeschöpft. Der Missbrauch in einer Therapie ist bislang unter den Voraussetzungen des § 174 c Absatz 2 des Strafgesetzbuchs strafbar. Die Rechtsprechung wendet ihn aktuell bei Psychotherapeuten an, er könnte aber nach Ansicht einiger Juristen auch auf "alternative Therapeuten" wie zum Beispiel spirituelle Meister angewandt werden. Nach BR-Recherchen haben jetzt auch Frauen in Deutschland Anzeige erstattet.

Mehr zum Thema gibt es zu hören im Podcast "Seelenfänger" des Bayerischen Rundfunks, der sich mit Sekten und neureligiösen Kulten beschäftigt.

Christiane Hawranek, BR, tagesschau, 24.04.2024 06:54 Uhr