Bundeswehr Kostenexplosion bei Spionageschiffen
Trotz Warnungen des Bundesrechnungshofs vergab der Bund einen umstrittenen Auftrag für drei Schiffe an eine Bremer Werft. Nach Recherchen von WDR, NDR und "SZ" soll sich der Bau nun um fast 800 Millionen Euro verteuern.
Als das Gas der Pipelines Nord-Stream 1 und 2 in die Ostsee sprudelte, gab die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ein Pressestatement ab: Die Beschädigung der Pipelines zeige, wie wichtig eine starke Marine für die Sicherheit des Landes sei. In diesem Sinne treibe die Bundeswehr die Modernisierung der Marine voran, unter anderem mit dem Bau von Flottendienstbooten - quasi ein anderes Wort für Spionageschiffe.
Tatsächlich hat das Verteidigungsministerium im vergangenen Sommer den Bau solcher Aufklärungsschiffe in Auftrag gegeben. Die Kriegsschiffe sollen mit modernster Spionagetechnik, Abhöranlagen, Radaren und weiteren Sensoren ausgestattet sein, das erste soll ab 2026 in See stechen - um dort etwa erfassen zu können, welche fremden U-Boote sich in den Tiefen der Gewässer bewegen und Kommunikation abzufangen.
Chaotische Umsetzung
Doch so militärisch sinnvoll die neuen Spionageschiffe sein mögen, so chaotisch läuft bislang die Umsetzung des Milliardenauftrags, der im vergangenen Sommer an die Bremer Werft "Naval-Vessels-Lürssen" (NVL) ging. Kurz vor der Bundestagswahl 2021 hatte das Parlament den Auftrag mit einem Volumen von rund zwei Milliarden Euro noch recht pauschal vergeben und dabei weitgehend darauf verzichtet, spezifische Vorgaben zu machen, was genau eigentlich vom Leistungsumfang gedeckt sein sollte.
Auf eine konkrete Bauspezifikation etwa wurde zunächst verzichtet. Den Abgeordneten war damals wichtig, dass das gigantische Rüstungsprojekt in Gang kommt. Seither soll es hinter den Kulissen Streit geben um die Ausgestaltung des Vertrages.
680 Millionen Euro Mehrkosten - netto
Nach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" liegt jetzt eine Neuberechnung mit einer massiven Kostenexplosion vor: War das Rüstungsprojekt mit einem Auftragsvolumen von rund zwei Milliarden Euro ohnehin bereits stattlich ausgestattet, so gehen die Hersteller inzwischen von weiteren Mehrkosten in Höhe von etwa 680 Millionen Euro aus - plus Mehrwertsteuer. Insgesamt könnten damit weitere Kosten in Höhe von fast 800 Millionen Euro auf die Steuerkasse zukommen. Grund dafür sollen allgemeine Kostensteigerungen aufgrund der Inflation sein, aber auch Anpassungen an den Auftrag.
Eine Kostensteigerung von 800 Millionen Euro? Bei einem Vertrag, der eigentlich einen Festpreis vorsah? Das Bundesverteidigungsministerium, inzwischen unter der Führung von Boris Pistorius (SPD), möchte dies auf Anfrage nicht erklären und verweist an das Koblenzer Bundesamt für Beschaffung (BAAINBw). Von dort heißt es: "Das laufende Verfahren wird erst mit erneuter parlamentarischer Befassung abgeschlossen werden können." Fragen zu den Mehrkosten könne man deshalb nicht beantworten. Die NVL-Werft ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Bundesrechnungshof warnte früh
Dabei kommt die Kostenexplosion nicht unerwartet. Bereits im Januar berichteten WDR, NDR und "SZ" erstmals, dass der Bundesrechnungshof "erhebliche" Bedenken bei der Vergabe des Milliardendeals geltend gemacht hatte. Die unabhängigen Prüfer kontrollieren bei derartigen Milliardenaufträgen des Bundes regelmäßig auf Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit.
Im Fall der Spionageschiff-Vergabe störten sich die Kontrolleure vor allem an der Vertragskonstruktion. Der Deal mit "Naval-Vessels-Lürssen" sei so aufgesetzt, dass erst nach Vertragsschluss eine "Bauspezifikation" erarbeitet werden solle. Mit anderen Worten: Erst nachdem der Auftrag schon erteilt war, wollte der Bund gemeinsam mit der Werft erarbeiten, wie genau die Schiffe gebaut werden sollen. Eine Milliardenvergabe quasi im Blindflug. Der Bundesrechnungshof befürchtete "mittelfristig zusätzliche Ausgaben".
Experte kritisiert Kostenentwicklung
Um die noch ausstehende Bauspezifikation erarbeiten zu lassen, engagierte der Bund zwischenzeitlich Professor Stefan Krüger von der TU Hamburg. Der zeigt sich auf Anfrage verwundert über die explodierenden Kosten: "Wir sind vom Bund damit beauftragt worden, einen neuen Entwurf für die Flottendienstboote zu machen. Wir haben daraufhin den ursprünglichen Entwurf gemeinsam mit dem BAAINBw und der Werft deutlich überarbeitet. Meiner Meinung nach können die Boote im Bereich Schiffbau durch diese Änderungen keinesfalls teurer werden, denn die Boote erfüllen jetzt alle technischen Forderungen mit deutlich geringerem Aufwand, zum Beispiel durch die Reduktion der Antriebsleistung und weniger Abteilungen. Eigentlich müssten die Boote jetzt aus technischer Sicht billiger geworden sein."
Haushaltsausschuss muss nun erneut zustimmen
In welchen konkreten Bereichen die nun vom Hersteller berechneten Mehrkosten entstanden sind, erklärten Verteidigungsministerium und das Koblenzer Beschaffungsamt auf Nachfrage nicht. Üblicherweise müssen Nachforderungen vom Beschaffungsamt geprüft und dann vom Haushaltsausschuss des Bundestages freigegeben werden.
Die Parlamentarier könnten noch die Reißleine ziehen: Aufgrund der massiven Kostensteigerungen könnten sie die Zustimmung auch verweigern. Kein einfaches Unterfangen, denn es besteht aus Sicht der Militärs Zeitdruck. Außerdem kriselt es zwischen dem Bundesverteidigungsministerium und dem Haushaltsausschuss bereits seit Längerem. Einzelne Abgeordnete fühlen sich auch bei anderen Projekten nicht hinreichend informiert und hatten zuletzt auch Haushaltssperren oder sogenannte Maßgabenbeschlüsse formuliert. In solchen Fällen muss dann die Bundesregierung ganz genau erklären, wie es um die Entwicklung bestimmter Rüstungsprojekte steht.
Um dem zuvorzukommen, sollen die beteiligten Abgeordneten der Koalitionsfraktionen nach Informationen von WDR, NDR und "SZ" am Mittwoch zunächst in vertraulicher Runde informiert werden.