Drohungen Im Internet Die Täter hinter den Hassnachrichten
Nicht nur Politiker, auch gesellschaftlich engagierte Menschen werden immer wieder verunglimpft und häufig auch bedroht. MDR Investigativ hat Täter aufgesucht und sie mit ihren Aussagen konfrontiert.
Seit Jahren schlägt Jürgen Resch im Netz Hass und Hetze entgegen. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wird unter anderem angefeindet, weil sein Verband in einigen Städten Fahrverbote für Dieselkraftfahrzeuge mit zu hohen Abgaswerten gerichtlich durchgesetzt hatte.
Vor allem in einer Facebook-Gruppe, die sich vor einigen Jahren gegründet und die mittlerweile mehr als 50.000 Mitglieder hat, werden Gewaltfantasien und sogar Todesdrohungen verbreitet.
Engagierte Menschen, Journalisten, Politiker - Hassnachrichten können jeden treffen. Reporter von MDR-Investigativ haben sich auf die Suche gemacht nach denjenigen, die andere in Netz beleidigen und bedrohen und diese, wo möglich, konfrontiert.
Ermittlungsverfahren gegen Stefan H.
Im Fall von Resch ging es um einen Facebook-Post von Anfang vergangenen Jahres. Darauf zu sehen sind Patronen mit dem Text: "Geht ins Ohr und bleibt im Kopf - Heckler und Koch." Das Foto der Patronen kommentiert einen Artikel, in dem Resch die Regierung warnt, gegen das eigene Klimaschutzgesetz zu verstoßen. Veröffentlicht wurde das Foto auf dem Account eines Stefan H. Er soll in Boppard wohnen, einer idyllischen Kleinstadt am Rhein.
DUH-Geschäftsführer Resch ist seit Jahren Hass im Netz ausgesetzt.
Auf Facebook zeigt er sich mit einem Foto, gibt sonst aber kaum Informationen preis. MDR Investigativ macht ihn ausfindig und will Anfang Juli bei einem Besuch mit ihm sprechen. Offenbar ist er an diesem Tag auch zu Hause. Hinter der Tür sind Geräusche zu hören. Doch er macht nicht auf. Eine Nachbarin erklärt, auch gegenüber offiziellen Stellen reagiere Stefan H. nicht. Die Polizei teilt später auf Nachfrage mit, dass aktuell gegen Stefan H. ein Ermittlungsverfahren laufe.
Bedauern im Gespräch
Ein anderer Mann, dessen Kommentar in der Liste folgte, schreibt: "Der Klimadiktator!". Michael W. meint in diesem Fall Resch. W. hat unter seinem Namen gepostet und soll in Hildesheim wohnen. Reporter von MDR Investigativ finden ihn. Er will er sich zunächst nicht erinnern.
Ob das Zitat mit Heckler und Koch nicht eine Gewaltandrohung sei? W. sagt: "Das ist ja nicht auf eine bestimmte Person bezogen." Er erklärt, auf der Plattform könne er seinem Ärger Luft machen, manchmal seine Wut loswerden. "Wut gegen die vielen Vorschriften und die allgemeine Gängelung in unserer Gesellschaft". Dafür mache er Menschen wie Resch oder die DUH verantwortlich. Er habe das Gefühl, diese versuchten immer einen Weg zu finden, andere Menschen einzuschränken.
Im Laufe des Gesprächs vollzieht sich bei W. ein Sinneswandel und er bedauert, Resch als "Klimadiktator" bezeichnet zu haben. "Ich schimpfe mal und ich sage auch mal, ins Arbeitslager nach Sibirien. Was ja eh' nicht geht. Oder in den Steinbruch zum Arbeiten. Im Mittelalter waren das ja durchaus Rechtsmittel, die es gab und damit auch nichts - so gesehen - Schlimmes. Aber dass man jemanden verletzt oder tötet, da bin ich absolut dagegen."
Täter selten identifiziert
Auch die Mobilitätsberaterin Katja Diehl wird immer wieder angefeindet. Doch die Strafverfolgung dauere lang und sei oft ohne Ergebnis, so ihre Erfahrung. Nur in zwei Fällen identifizierten die Behörden bislang jeweils einen Täter. Bei dem einen handelt es sich um Marc B., der vor zwei Jahren begann, Diehl und auch andere zu belästigen.
MDR Investigativ findet ihn in Bremerhaven. Als er vom Reporter angesprochen wird, reagiert er ausfällig. Tatsächlich öffnet er nach einer Weile die Tür, streitet aber anfangs ab, etwas mit den Hasspostings zu tun zu haben. "Das weiß ich nicht, ich weiß nicht, wovon Sie reden", antwortet Marc B. auf die Frage, ob er Menschen beleidigt habe.
Eine Zeugin der damaligen Vorgänge ist Nella Allami. Ihr fiel auf, dass Marc B. extreme Hassbotschaften verfasste. "Sein Tenor war sehr sexistisch. Er hat […] sich über [Katja Diehls] Arbeit lustig gemacht, betont, dass er sie beobachten wird und dass sie bald ihr blaues Wunder erleben wird."
Hochschwangere fühlte sich bedroht
Die IT-Spezialistin Nella Allami hilft ehrenamtlich Menschen, die im Netz Opfer von Hass und Hetze werden. Ihre Spurensuche begann, nachdem sich eine Hochschwangere mit einem Notruf an sie gewendet hatte. Die junge Frau hatte Angst, weil sie sich von Marc B. bedroht fühlte. Und es meldeten sich noch mehr.
Innerhalb einer Woche habe sie bereits fünf Fälle zu seiner Person gehabt, sagte Allami. Den Recherchen zufolge beleidigte und bedrohte er mehr als zwölf Personen und Organisationen. Darunter sind Politiker der SPD, der Linkspartei, aber auch von der CDU. Vornehmliches Ziel sind aber die Grünen.
Dem gesundheitspolitischen Sprecher der Partei, Janosch Dahmen, schrieb Marc B. unter anderem Folgendes: "Ich würde mich gar nicht so weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich nicht wüsste, dass du in diesem Sommer so krachend auf deinem Arsch landen wirst und die Nachwehen noch Jahre für dich spürbar sein werden. Du ekelerregendes Subjekt."
"Bedrohung für die Demokratie"
Dahmen findet es bedrohlich, dass Menschen Politikern auf allen Ebenen und Menschen aus der Zivilgesellschaft Bedrohungsschreiben schicken, ihnen nachstellen, sie terrorisieren. Den Tätern gehe es darum, "sie zum Schweigen zu bringen, ihre Arbeitsfähigkeit zu sabotieren und letztlich die dem Gemeinwohl dienliche Arbeit für die Gesellschaft, für die Demokratie lahmzulegen. Die sind eine Bedrohung für die Demokratie."
Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelte gegen B., da er mehrere Politiker beleidigt hatte. Inzwischen ist das Verfahren abgeschlossen. "Das Verfahren endete letztlich mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft Bremen auf Erlass eines Strafbefehls", erklärt Silke Noltensmeier-von Osten von der Staatsanwaltschaft Bremen. Dieser "sah eine Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen vor. Das Amtsgericht hat den Strafbefehl auch antragsgemäß erlassen und inzwischen ist das Urteil rechtskräftig."
Opfer empfinden Strafen für zu milde
Diehls Fall ist in dem Strafbefehl nicht enthalten. Sie und andere Opfer halten das Strafmaß von Marc B. für zu milde. In den Strafbefehl gegen Marc B. flossen lediglich vier Fälle ein - zwei Drittel der MDR Investigativ bekannten Beleidigungen und Bedrohungen nicht. Bei den Betroffenen breitet sich Frustration aus. Sie fühlen sich nicht ausreichend geschützt.
Opfer von Attacken können sich wehren, indem sie die Hassposts bei der Plattform melden - in Reschs Fall beim Besitzer von Facebook, dem Konzern Meta. Dann kann man nur hoffen, dass die Hasstexte entfernt werden. Die Plattformen könnten Hater auch sperren.
Wer einzelne Täter identifiziert, kann zivilrechtlich gegen sie vorgehen. Doch das sind aus Sicht der Rechtsanwältin mühsame Verfahren mit ungewissem Ausgang. Reschs Rechtsanwältin Juliane Schütt fordert für ihren Mandanten von Meta die Schließung der Gruppen.
Die offiziellen Zahlen des BKA aus dem Mai zeigen das wachsende Problem. Danach wurden im vergangenen Jahr 8.000 Hasspostings registriert. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Das bedeutet eine Steigerung um mehr als 130 Prozent im Vergleich zu 2022. Der größte Anstieg wird demnach rechten Straftätern zugerechnet.
Welche Rolle spielen Moderatoren?
Ein Problem ist auch die Moderation in diesen Gruppen auf Facebook. Die Administratoren könnten solche Hassäußerungen löschen, auffällige Personen sperren. Einer der Administratoren der Gruppe, in der Resch immer wieder angefeindet wird, ist Nicolai Wiedmann. Er wohnt im Schwarzwald und ist spontan für ein Gespräch bereit. Wiedmann sagt, er überwache jeden Tag die Kommentare und greife notfalls ein.
MDR Investigativ konfrontiert ihn mit einigen Hasskommentaren. "Das lehne ich komplett ab und das ist gar keine Diskussion, dass das abartig ist, was da manche Leute schreiben", sagt Wiedmann. In Bezug auf den Post mit den Patronen sagt er: "Schrecklich. Aber das habe ich nicht gesehen, sonst wäre es weg."
Er sagt, wenn es keine Moderatoren gäbe, wären es noch viel mehr Hasskommentare. "Ich leiste meinen Beitrag darin, dass ich versuche, demokratische Diskussion[en] über diesen komischen Verein zu initiieren, Leute zu informieren. Wir sind keine Profis, wir machen das nebenher."
Am selben Tag schickt Wiedmann sein Aktivitätenprotokoll als Moderator und das seines Kollegen. Demnach löschten sie in zwei Tagen elf Mal Beiträge, schlossen Mitglieder aus oder lehnten Teilnahmeanträge ab.
Meta verweist auf Richtlinien
Auf konkrete Nachfrage bei Meta zu dem Patronen-Post antwortet der Konzern im Mai gar nicht. Die von Meta beauftragte Agentur verweist nur allgemein auf die einschlägigen Richtlinien: "Um potenziellen Schaden zu verhindern, entferne man entsprechende Inhalte." Der Konzern betrachte Hassrede als inakzeptabel und gehe aktiv dagegen vor. Auf eine erneute Anfrage von MDR Investigativ reagierte Meta nicht.
Die Geschäftsführerin von HateAid, Anna-Lena von Hodenberg, hat andere Erfahrungen gemacht: Meta belasse die Last häufig bei den Betroffenen. Diese müssten jeden einzelnen Inhalt melden, der dann von Meta geprüft und gegebenenfalls gelöscht werde. "Das heißt, Herr Resch kann eigentlich bis zum Ende seiner Tage Meta und Facebook durchforsten", meint von Hodenberg.
Eine neue EU-Rechtsprechung könnte das Dilemma auflösen: der Digital Services Act. Plattformen müssten erstmals offenlegen, wie unter anderem Algorithmen funktionieren. "Das muss man sich jetzt mal angucken, wie die Plattformen das machen", meint von Hodenberg. "Und wenn das nicht genügt und sie eben diese Risiken nicht beheben, dann muss die Politik Maßnahmen ergreifen, von Geldstrafen, von harten Geldstrafen bis hin auch noch mal zur Anpassung von Gesetzgebung."