Gerichtsprozess Ein Reserveoffizier und Spion?
In Düsseldorf steht ein Reserveoffizier vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm besonders schwere geheimdienstliche Agententätigkeit für Russland vor. Doch was hat er verraten - und warum?
Er habe uneigennützige Motive verfolgt, sich für Völkerfreundschaft, Verständigung und Versöhnung mit Russland eingesetzt. Auch habe er aus Angst vor Krieg gehandelt - so beschreibt Strafverteidiger Christopher Hilgert die Motivation seines Mandanten Ralph G. aus Erkrath.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem 65-Jährigen hingegen "besonders schwere geheimdienstliche Agententätigkeit" für Russland vor. Von 2014 bis 2020 pflegte G. demnach Kontakte und betrieb umfangreiche Kommunikation mit Personen, die als diplomatische Vertreter Russlands in Deutschland akkreditiert waren, unter ihnen mutmaßlich Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Sieben Namen fragt der Vorsitzende Richter Jan van Lessen vom 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf während zweier Verhandlungstage ab.
Bevor G. ausführlich Stellung nimmt, erklärt sein Verteidiger, er strebe einen Freispruch an. Die von G. weiter gegebenen Informationen seien bei "weitem nicht so gehaltvoll", wie es die Anklage dargelegt habe. G. verweist immer wieder darauf, dass er Informationen, die er an Militärattaché Michail Starov geschickt hatte, aus dem Internet zusammengetragen habe oder diese sonst öffentlich zugänglich seien.
Sanktionen und Dual-Use-Güter
Seine beruflichen und umfangreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten sprechen auf den ersten Blick auch nicht dafür, dass er Zugang zu hochgeheimem Material hatte. Allerdings befasste sich der Vertriebsleiter einer US-Firma in Deutschland im Rahmen des Außenhandelsverbandes NRW und der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf mit Themen, die für Russland relevant sind: dem Umgang mit Sanktionen und Dual-Use-Güter genannte Erzeugnisse, die für zivile und militärische Zwecke verwendet werden können.
G. selbst sah seine Erfahrungen Oberstleutnant der Reserve als wertvoll für seine russischen Gesprächspartner an, wie aus seinen Mails hervorgeht.
Tipps für den Informationskrieg
Der E-Mail-Verkehr mit Starow und anderen Botschaftsmitarbeitern lässt auf ein großes Mitteilungsbedürfnis G.s schließen. Auch vor Gericht gibt er sich leutselig und antwortet auf Fragen mit umfangreichen Erläuterungen, die allerdings weit vom eigentlichen Thema wegführen.
Er liefert auch keine schlüssige Erklärung dafür, warum er Starow nicht nur ausführliches und detailliertes Material über das Reservistenwesen in Deutschland schickt - inklusive eines Anmeldebogens für ein Reservisten-Austauschprogramm mit den USA - sondern auch, warum er Starow empfahl, junge Russen als Reservisten für den Informationskrieg gegen den Westen einzusetzen.
"Sie sollten Moskau dazu etwas vorschlagen", schrieb G. in einer Mail, die auf einen Artikel des russischen Propaganda-Mediums "Sputnik" mit der Überschrift "USA verschärfen Russland-Bashing im Netz" verweist. Man solle pro-aktiv agieren, schrieb er in einer weiteren Mail mit einem Link zu einem "Sputnik"-Artikel über einen angeblichen Informationskrieg der EU gegen Russland.
Zur Verschwiegenheit verpflichtet
Auch einen Artikel über den Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland aufgrund der Sanktionen leitete er weiter. G. erklärt dazu, er habe die Information doch nur aufbereitet, die Studie hätten Wirtschaftsinstitute in Kiel und Österreich erstellt.
Er habe aber eine Art Dienstleistung erbracht - Informationen zusammengestellt, seine Expertise eingebracht, auch Meinungen und persönliche Angaben gemacht, entgegnete Richter van Lessen. Diese Informationen seien doch dazu geeignet gewesen, beim russischen Sender "Russia Today" eingesetzt zu werden.
"Das hat er so nicht wahrgenommen", erklärte Verteidiger Hilgert, der Vertragsanwalt des Deutschen Bundeswehrverbandes ist. In seiner Kommunikation habe G. alles in einen Topf geworfen. Wenn er im Rahmen der IHK gehandelt habe, dann sei er nicht in seiner Rolle als Soldat aufgetreten.
Als Reservist hatte G. Verschwiegenheitsverpflichtungen unterschrieben und Belehrungen erhalten, die insbesondere auch für die Versuche der Informationsabschöpfung durch russische Nachrichtendienste sensibilisieren sollten, erinnerte Richter van Lessen den Angeklagten. Auch ziele die Anklage nicht auf den Verrat großer Geheimnisse an sich, sondern auf Aktivitäten, die unter nachrichtendienstliche Tätigkeit fielen.
Rote Nelken und Canapés
Bei Fragen zu seinen Treffen mit Starow und anderen Botschaftsmitarbeitern offenbarte G. Erinnerungslücken beziehungsweise beschrieb er seine Unterhaltungen lediglich als Smalltalk. Starow habe er im Februar 2014 beim Ball der Luftwaffe in Bonn kennengelernt, wo dieser in großer Runde von den Gastgebern vorgestellt und als VIP-Gast behandelt worden sei.
Er habe Starow dann für zwei Podiumsdiskussionen gewinnen können, eine im Oktober 2014 zum Thema Ukraine und 2016 eine weitere beim Bundeswehr-Verband zu Russlands Syrien-Politik, in der es laut der von G. beschriebenen Ankündigung um die Frage gehen sollte, inwieweit der Westen mitschuldig an der Lage dort sei und wie Russland zu einer Lösung beitragen wolle.
G.s Mails und Beschreibungen seiner Treffen offenbaren darüber hinaus rege Kontakte nach Russland. So nahm er mit anderen Reservisten nach 2014 mehrfach in Uniform an von der russischen Botschaft organisierten Kranzniederlegungen zum "Tag des Vaterlandsverteidigers" und zum "Tag des Sieges" teil. Nach den Kranzniederlegungen mit roten Nelken habe es in der russischen Botschaft immer Canapés gegeben.
Häufig in Moskau
Mit Hilfe von Starow nahm G. nach eigenen Angaben seit 2015 jährlich an der internationalen Sicherheitskonferenz MCIS in Moskau teil, dies auch noch 2019, als die deutschen Verteidigungsattachés von der deutschen Botschaft in Moskau schon nicht mehr eingeladen worden seien.
Zum Thema seiner Konversationen mit russischen Botschaftsmitarbeitern machte er nach eigener Aussage immer wieder sein Engagement für den Deutschen Volksbund Kriegsgräberfürsorge, im Rahmen dessen er mehrfach in die russische Exklave Kaliningrad reiste - nach Ostpreußen, wie er sagt - um sich dort mit Kameraden um verfallene Soldatengräber aus dem Ersten Weltkrieg zu kümmern. An den Aktionen hätten auch russische Kosaken teilgenommen. Deutsche Verteidigungsattachés hätten ebenfalls mitgearbeitet.
Die Aussagen und Mails von G. zeigen zahlreiche, auch recht intensive Kontakte zwischen deutschen und russischen Militärvertretern, die in den vergangenen Jahren offensichtlich als normal angesehen wurden. Im Lichte des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar werfen sie aber zahlreiche Fragen nicht nur zu Motivation von G. auf. Der Gerichtsprozess gegen ihn ist zunächst bis Mitte Dezember angesetzt.