Private Dienstleister Profite mit Flüchtlingsheimen
Viele Bundesländer setzen bei der Unterbringung von Geflüchteten verstärkt auf den britischen Konzern Serco. Der steht seit Monaten in der Kritik. Recherchen von Monitor zeigen extrem hohe Gewinne zulasten der Geflüchteten.
Schlechte Versorgung, zu wenig Personal, unzureichende Betreuung von Geflüchteten - die Vorwürfe gegen den britischen Konzern Serco, den größten privaten Betreiber von Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, reißen nicht ab. Dabei handelt es sich offenbar um ein äußerst lukratives Geschäftsmodell mit hohen Gewinn-Margen. Das zeigen interne Unterlagen, die dem ARD-Magazin Monitor, der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) und dem "ZDF-Magazin Royale" vorliegen.
Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, werden oft über Jahre in landeseigenen und kommunalen Einrichtungen untergebracht. Was viele nicht wissen: Für die Unterbringung sind oft private Unternehmen zuständig. Dabei geht es um millionenschwere Aufträge für Management und Sozialarbeit vor Ort. Serco macht dabei besonders häufig das Rennen.
Das Unternehmen ist mit seinen Tochterfirmen ORS und European Homecare in insgesamt 130 Unterkünften in Deutschland aktiv und mit Abstand der größte private Dienstleister. In Nordrhein-Westfalen etwa werden 19 von 57 landeseigenen Sammelunterkünften für Geflüchtete, also jede dritte, von Serco betreut. In Hessen jede zweite, in Rheinland-Pfalz sind es sogar sechs der sieben landeseigenen Einrichtungen. Das geht aus einer gemeinsamen Auswertung von Monitor, dem ZDF-Magazin Royale und der SZ hervor. Insgesamt betreibt Serco fast jede fünfte landeseigene Sammelunterkunft für Geflüchtete. Deutschlandweit liegt der Anteil privater Betreiber an den landeseigenen Sammelunterkünften bei mehr als 30 Prozent.
Weltweit für Militärs und in der Grenzüberwachung aktiv
In Imagevideos präsentiert sich der britische Konzern als Dienstleister für Regierungen - global agierend zwischen Saudi-Arabien, Australien und Großbritannien. Spezialisiert auf Grenzschutz, Gefängnisse, weltweite Aufträge für das Militär, für Marine, Luftwaffe und die Armee - und Flüchtlingsheime in Deutschland.
Serco steht seit Monaten deutschlandweit in der Kritik. Im April kündigte das Land Berlin der Serco-Tochterfirma ORS drei Verträge zum Betrieb von Flüchtlingsunterkünften - wegen "gravierender Mängel". Als ein Asylsuchender in einer ORS-Einrichtung starb, fiel das dem Personal wochenlang nicht auf, wie Monitor berichtete.
Kündigung und Vertragsstrafen
In einer Vielzahl von Unterkünften in Deutschland setzte das Unternehmen offenbar zu wenig Personal ein. Mehrere Auftraggeber verhängten auch deswegen Vertragsstrafen gegen ORS. Das Unternehmen verwies auf den allgemeinen Fachkräftemangel in Deutschland, der "10 bis 15 Prozent" betrage. Den Vorwurf, Kosten zu sparen, um höhere Renditen zu erzielen, wies Serco zurück.
Zum Todesfall teilte Serco mit, dass die Kontrolle der Wohnungen der Geflüchteten strengen Regelungen unterliege: "Dem Personal ist es vertraglich nicht gestattet, ohne Zustimmung die Wohnung zu betreten." Die Mitarbeiter hätten mit Mitbewohnern des Verstorbenen gesprochen. Diese hätten sie darüber informiert, dass alles in Ordnung sei, so Serco. Die erbrachten Leistungen in der Unterkunft seien sowohl intern als auch extern regelmäßig überprüft worden. Den Tod des Bewohners habe man "umgehend nach dessen Bekanntwerden an die zuständigen Stellen gemeldet".
Hohe Gewinne in Deutschland
Dokumente, die Monitor exklusiv vorliegen, zeigen erstmals, wie hoch die Gewinne der Serco-Tochter ORS mit den Unterkünften sind. Im "Performance Reporting" des Unternehmens für das erste Quartal 2023 wird ausgewiesen, wie viel Geld ORS in jeder Unterkunft nach Abzug der Fixkosten verdient - also Kosten für das Personal, für die Sozialarbeit mit den Geflüchteten und den Materialaufwand.
Im Ankunftszentrum Meßstetten in Baden-Württemberg erwirtschaftete ORS im ersten Quartal 2023 eine Bruttomarge von 45 Prozent, wie das Unternehmen in seinem internen Bericht schreibt. Am Standort Bernkastel-Kues in Rheinland-Pfalz liegt die Bruttomarge bei fast 50 Prozent. In internen Dokumenten werden diese Margen von ORS kommentiert: Die Einrichtung "trifft unsere Erwartungen".
Auf Anfrage, wie sich diese hohen Margen ergeben, teilt ORS lediglich in Bezug auf ihren gesamten Geschäftsbereich mit: "Im Jahr 2023 liegt unsere Nettomarge für den Bereich Immigration in ganz Europa im einstelligen Bereich." Einzelne Margen an konkreten Unterkünften in Deutschland kommentierte das Unternehmen nicht. Ein Interview lehnte der Konzern ab.
Kritik an Privatisierung
Der Wirtschaftswissenschaftler Werner Nienhüser von der Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich mit dem Geschäftsmodell von Serco. Er kritisiert, dass die öffentliche Hand stark auf das Unternehmen setze. Bei hohen Marktanteilen profitorientierter Unternehmen bestehe die Gefahr, dass "das Geld nicht im Sinne der Steuerzahler und auch nicht im Sinne der Geflüchteten ausgegeben wird", weil das Geld an Investoren und die Kapitaleigner abfließe.
Allein die Serco-Tochter European Homecare erzielte im Jahr 2022 laut Geschäftsbericht einen Jahresüberschuss von 26 Millionen Euro. Nienhüser fordert, bei den Ausschreibungen und Vergaben wieder stärker auf erfahrene und gemeinnützige Träger zu setzen.
Hoher Kostendruck, zu wenig Fachpersonal
Drei ehemalige Mitarbeiter von ORS aus Rheinland-Pfalz berichten im Interview mit Monitor von hohem Kostendruck im Betrieb und was das für die Bewohner der Einrichtungen bedeute: "Der Flüchtling wird nicht als Mensch wahrgenommen, sondern nur als abrechenbarer Posten", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der für ORS geflüchtete betreute. Die Motivation sei "reich werden mit Flüchtlingen".
Zwei weitere Ex-Mitarbeiter kritisieren, dass ORS "zu wenig Fachpersonal" und viele ungelernte Kräfte einsetze, um "Lohn zu sparen". Beschwerden über ungenießbares Essen für die Flüchtlinge habe eine ORS-Führungskraft mit den Worten kommentiert: "Da gewöhnen die sich dran." ORS schreibt auf Anfrage, nicht für das Catering und dessen Qualität verantwortlich gewesen zu sein. ORS teilt weiterhin mit, "ausschließlich qualifizierte Personen, die umfassend für ihre Aufgaben geschult wurden" zu beschäftigen. Man zahle "angemessene Löhne für die wichtige Arbeit, die sie leisten".
Mehrere Flüchtlingsräte, etwa aus Sachsen und Nordrhein-Westfalen, sowie Wohlfahrtsverbände kritisieren, dass der Staat immer mehr auf profitorientierte Anbieter bei der Versorgung der Geflüchteten setze. Sie warnen: Durch Vergaben an renditeorientierte Anbieter entstünden langfristig hohe Folgekosten für die Geflüchteten und die Gesellschaft.
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