Spahns "Open House"-Verfahren Größte Klage für nie gelieferte Corona-Masken
Es ist die größte bekannte Klage aus der Zeit der Corona-Pandemie: Mehrere Lieferanten wollen vom Gesundheitsministerium 480 Millionen Euro für bisher nicht gelieferte Corona-Masken erstreiten. Auch ein Ex-CDU-Politiker ist involviert.
Dieser Fall könnte wieder sehr teuer für die Steuerzahler werden: Mehrere Unternehmen klagen vor dem Landgericht Bonn gegen das Gesundheitsministerium. Die Firmen hatten innerhalb der ursprünglichen Lieferfrist dem Staat zwar keine Masken geliefert, wären aber bereit, diese Masken nachzuliefern - zum damals vereinbarten Preis von 4,50 Euro pro FFP2-Maske.
Einkaufen kann man die Masken derzeit schon weit günstiger, schon ab einem Preis von zehn Cent - was einen Gewinn von 4,40 Euro pro Maske ermöglichen würde. Auch wenn sie in erster Instanz keinen Erfolg haben könnten, stehen die Chancen in höheren Instanzen womöglich besser. Das Oberlandesgericht Köln hat in vergleichbaren Fällen bereits zugunsten von Lieferanten entschieden.
Ex-CDU-Politiker involviert
Dieser Mann gehört offenbar zu jenen Menschen, die sich Hoffnungen auf den Ausgang der Klage machen: der ehemalige CDU-Politiker Niels Korte. Eine Firma, die über ein zwischengeschaltetes Unternehmen zur Hälfte ihm gehört, hatte die Klage auch ursprünglich eingereicht. Es geht um die Ansprüche von Lieferanten, die sich im Frühjahr 2020 verpflichtet hatten, Corona-Masken an den Bund zu liefern, diese aber nicht fristgerecht geliefert hatten. Dennoch fordern sie nun vom Bund 480 Millionen Euro zuzüglich Zinsen für bisher nicht gelieferte Masken, wie Richter Jan Hendrik Büter zu Beginn eines Verhandlungstages auflistete.
Büter teilte außerdem mit, dass wenige Wochen, nachdem Kortes Tochterfirma Areal die Klage im November 2023 eingereicht hatte, der Kläger gewechselt habe. Nun werde die Klage von der Firma KLT aus Hamburg geführt. Die beiden Chefs, die ebenfalls anwesend waren, sind frühere Geschäftspartner Kortes. Welche Rolle spielt Korte aber weiterhin?
Möglicher Anspruch auf Provision
Vor dem Sitzungssaal in Bonn darauf angesprochen, sagte Korte, dass er mit dem Verfahren quasi nichts mehr zu tun habe. Die jetzigen Kläger KLT teilen auf Anfrage mit, dass es bei der Klage um die Erfüllung der "Open House"-Verträge gehe. Die Firmen wollten die damals vereinbarten Masken noch immer liefern. Die entscheidende juristische Frage sei, ob das Ministerium eine "Möglichkeit zur Nachlieferung hätte zugestehen müssen", so KLT weiter. Fragen zu aktuellen Vereinbarungen mit Areal beantwortete KLT nicht.
Als NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung auch Korte schriftlich Fragen schickten, ließ er einen Medienanwalt erklären, dass Korte weder eine "initiierende, aggregierende oder gar steuernde Position" bei der Klage hatte, sondern dass die Firma Areal nur "rein finanzierend" mit dem Verfahren befasst gewesen sei. Ihr Eigeninteresse bestehe in Gestalt eines Provisionszahlungsanspruchs, der Kortes Tochterfirma Areal im Falle eines Obsiegens in dem gerichtlichen Verfahren zustünde.
E-Mail an Jens Spahn
Wie hoch dieser Anspruch sei, wollte Kortes Anwalt nicht verraten. Der Medienanwalt erklärte, Kortes Firma Areal habe "erhebliche Kosten" für Anwaltsvergütungen und Gerichtskosten. Bei einem Sieg vor Gericht würde Areal lediglich "einen geringen Bruchteil" der klageweise geltend gemachten Forderungen erhalten. Was das konkret bedeutet, bleibt offen. "In Bezug auf die Höhe eines Provisionszahlungsanspruchs wurde Verschwiegenheit vereinbart", so Kortes Medienanwalt. Die "Prozessfinanzierung" verstoße aber weder "gegen rechtliche Vorschriften" noch "anderweitige Pflichtmaßstäbe".
Schon in der Vergangenheit hatte Korte mit Maskengeschäften zu tun. 2021 zog Korte seine Kandidatur für den Bundestag zurück. Er hatte einen Vertrag zur Lieferung von Masken an das Gesundheitsministerium erhalten - und zuvor eine E-Mail an Parteifreund Jens Spahn geschickt, um an Vergabeunterlagen zu kommen. Vorwürfe, dass politische Kontakte bei der Vergabe eine Rolle gespielt hätten, wies Korte damals entschieden zurück.
Zwei-Milliarden-Klagen für nie gelieferte Corona-Masken
Insgesamt klagen noch Dutzende weitere Lieferfirmen vor dem Landgericht Bonn gegen die Bundesregierung, mit der sie im Jahr 2020 Verträge zur Lieferung von Corona-Masken geschlossen hatten. Der Streitwert aller Klagen beläuft sich insgesamt auf 2,3 Milliarden Euro. Laut einem internen Bericht der Bundesregierung an den Haushaltsausschuss, der NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung vorliegt, geht es zum allergrößten Teil dabei aber um "Fälle, in denen keine Anlieferung von Masken erfolgte". Allein diese Fälle haben einen Streitwert von "rund zwei Milliarden Euro", wie es im internen Bericht heißt.
All diese Klagen betreffen das sogenannte "Open House"-Verfahren des damaligen Gesundheitsministeriums unter Jens Spahn. Am 27. März 2020 hatte das Ministerium eine Bekanntmachung veröffentlicht, wonach jeder FFP2-Masken zu einem festen Stückpreis an den Bund liefern konnte. Jeder konnte so viel liefern wie er wollte, das Gesundheitsministerium war ein "offenes Haus" für alle Maskenlieferanten. Man wollte so schnell wie möglich die Eindeckung mit Masken sicherstellen.
Weil der Preis, den Spahn festlegte, schon damals außerordentlich hoch war, wurde das Ministerium von Lieferanten förmlich überschwemmt. Binnen Tagen gingen mehr als 700 Lieferzusagen ein. Statt den im Haushalt dafür vorgesehenen Mitteln von 500 Millionen Euro umfassten die angekündigten Lieferungen nun den Wert von 6,4 Milliarden Euro. Eine Bedingung des Verfahrens war allerdings, dass die Masken bis 30. April 2020 geliefert werden mussten.
Kritik vom Bundesrechnungshof
Viele Unternehmen konnten jedoch gar nicht liefern, weil sie innerhalb von wenigen Wochen so viele Masken nicht besorgen konnten. Andere wollten angeblich liefern, bekamen aber keinen Zeitpunkt für die Anlieferung genannt, wieder anderen bot das Ministerium Termine auch nach dem 30. April an, bei einigen schließlich lehnte das Ministerium die Zahlung ab, weil die Qualität der Masken angeblich schlecht war. Der Bundesrechnungshof kritisierte in den vergangenen Jahren in mehreren Berichten das Chaos der Maskenbeschaffung unter Jens Spahn.
Keine Aussage vom Gesundheitsministerium
Im Streit mit den Lieferanten hat sich der Bund in vielen Fällen auf den Standpunkt gestellt: Wer bis zum Stichtag keine Masken geliefert hatte, hat eben den Anspruch aus dem Liefervertrag verwirkt und muss also auch nicht bezahlt werden. Das Landgericht Bonn hat sich dieser Sichtweise in vielen Urteilen angeschlossen - bis die nächsthöhere Instanz, das Oberlandesgericht (OLG) Köln, in mehreren Fällen den Streit zugunsten der Lieferanten entschied.
Denn nach Ansicht des OLG konnte der Bund nicht einfach aus dem "Open House"-Vertrag aussteigen, wenn die ursprüngliche Lieferfrist nicht eingehalten wurde. Stattdessen, so das Gericht, hätte er den Lieferanten, wie im allgemeinen Geschäftsverkehr üblich, eine Nachfrist setzen müssen.
Das Gesundheitsministerium (BMG) hat Fragen zu der Klage am Landgericht Bonn nicht beantwortet. Ein Sprecher teilte mit: "Zu laufenden Verfahren nimmt das BMG keine Stellung."