Überteuerte Krebsmedikamente Weiter gigantische Zusatzgewinne möglich
Bereits vor mehr als einem Jahr kündigte Gesundheitsminister Lauterbach Änderungen an - geändert hat sich bis jetzt aber nichts. Apotheker können mit Krebsinfusionen weiter gigantische Zusatzgewinne machen.
Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland könnten jedes Jahr mehr als 500 Millionen Euro einsparen, wenn sie den Apothekern nur die tatsächlichen Einkaufspreise für Krebsmedikamente erstatten würden. Das ist das Ergebnis einer monatelangen Recherche, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung im Juni vergangenen Jahres veröffentlicht hatten. Möglich gemacht hatte diese Recherche ein Informant, der selbst von dem System profitiert hatte: Der Apotheker Robert Herold aus dem kleinen Ort Falkenstein in Sachsen.
Herold sammelte über mehr als zehn Jahre die nicht-öffentlichen Preislisten von Pharmahändlern. Sie zeigen, dass die Einkaufspreise weit unter den Preisen liegen, die die Krankenkassen den Apothekern für Krebs-Infusionen erstatten. Die Unterschiede sind so enorm, dass Apotheker bei manchen Wirkstoffen bis zu 1.000 Euro heimlich nebenher verdienen könnten - bei der Zubereitung eines einzigen Infusionsbeutels.
Lauterbach: "Kein haltbarer Zustand"
Heimlich ist das Geschäft deshalb, weil die Krankenkassen nach eigenem Bekunden bis zur Veröffentlichung von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung die tatsächlichen Einkaufspreise für die Krebsinfusionen nicht kannten - und deshalb den Apothekern über viele Jahre zu viel Geld bezahlten.
Von dem Modell profitieren allerdings nur wenige hundert der knapp 20.000 Apotheken in Deutschland. Es handelt sich um die Pharmazeuten, die in ihrer Apotheke über einen eigenen Reinraum verfügen und darin die Krebsmedikamente für Infusionen zubereiten.
Für diese Arbeit erhalten sie von den Krankenkassen eine Pauschale für die jeweiligen Wirkstoffe plus eine Arbeitspauschale von 100 Euro pro Zubereitung. Doch der sehr viel höhere Gewinn wird durch die tatsächlich viel günstigeren Einkaufspreise ermöglicht, die wie ein Geheimnis gehütet werden.
Nachdem Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der Recherche erfahren hatte, kündigte er Änderungen an. Dies sei "auf jeden Fall etwas, was wir auch regulatorisch angehen müssen", sagte der SPD-Politiker. Die hohen Gewinne seien "kein haltbarer Zustand".
Kein Beschluss für Apothekenreformgesetz
Geschehen ist seitdem aber wenig - und geändert hat sich gar nichts. Zwar hat das Ministerium fünf Monate nach der Veröffentlichung Kassen und Apotheker zu einem Fachgespräch ins Ministerium eingeladen. Wieder einige Monate später sollte dann in einem Gesetzentwurf den Krankenkassen mehr Rechte eingeräumt werden, "die gezahlten Einkaufspreise der Apotheker zu erfahren", wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt.
Doch konnte aufgrund des Streits in der Ampelregierung "kein Beschluss der Bundesregierung" dazu hergestellt werden. Das geplante Apothekenreformgesetz, in dem diese Änderungen hätten geregelt werden sollen, ist "tot", wie der AOK-Bundesverband auf Anfrage mitteilte. "Dennoch hoffen wir, dass das Thema in der neuen Wahlperiode wieder auf die gesundheitspolitische To-Do-Liste kommt", schrieb AOK-Sprecher Kai Behrens auf Anfrage. "Dass es in der Zytostatika-Versorgung viel Effizienzreserven gibt, ist unbestritten."
Florian Lanz, Sprecher des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen, teilt mit, dass für die Kassen "weiterhin die Voraussetzungen für Apothekenabfragen nicht gegeben sind".
Whistleblower Herold erhält Preis
Apotheker Herold erhält nun für seine Enthüllung der Missstände am heutigen Donnerstag den europäischen Whistleblower-Preis der Nichtregierungsprganisation "Blueprint for Free Speech", die Hinweisgeber weltweit auszeichnet. Deren Geschäftsführerin Suelette Dreyfus erklärte, dass die Jury "beeindruckt ist von Herolds Integrität" und seiner Hartnäckigkeit, die Preislisten über Jahre zu sammeln und dann weiterzugeben an Krankenkassen, Gesundheitsministerien und Journalisten.
Seine Motivation sei die Sorge um das Versicherungssystem in Deutschland gewesen, das irgendwann zusammenbreche, wenn die Kosten explodieren, sagt Herold in seiner Dankesrede. Er freue sich sehr über den Preis, weil er auf das dahinter stehende Problem der Geldverschwendung im deutschen Gesundheitswesen aufmerksam mache. "Noch lieber hätte ich es gesehen, wenn sich politisch etwas bewegt hätte seit unserer Veröffentlichung."
Von Einkaufsgemeinschaft ausgeschlossen
Schnell auf den "Nestbeschmutzer" reagiert hatten dagegen die Apotheker, die Krebsmedikamente herstellen. Schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung wurde Whistleblower Herold wegen angeblich geschäftsschädigendem Verhalten aus der Einkaufsgemeinschaft "Auriga" ausgeschlossen, in der er mit dem damaligen Präsidenten des Verbands der Zytostatika-Apotheker (VZA), Klaus Peterseim, war.
Die Apotheker bestreiten, dass ihre Gewinne zu hoch seien und verweisen unter anderem auf hohe Kosten für ihre Labore, die mit der Herstellungspauschale, die die Kassen zusätzlich zahlen, angeblich nicht profitabel seien.
Auch die sächsische Landesapothekenkammer, für die Herold als Fortbildungsreferent tätig war, hat ihn wenige Wochen nach der Veröffentlichung von dieser Tätigkeit ausgeschlossen. In einem Schreiben der Landesapothekerkammer an ihn heißt es, man wolle dadurch "vermeiden, dass es zu unnötigen Diskussionen" bei den Fortbildungen komme.
Immerhin habe sich die Präsidentin der Apothekervereinigung ABDA nach der Veröffentlichung bei ihm gemeldet, sagt Herold. Und seine Kundinnen und Kunden in Falkenstein seien ihm auch treu geblieben.
Die Dokumentation "Das Krebskartell: Milliardengeschäft mit Chemotherapien" finden Sie in der ARD-Mediathek.