Hohe Gewinne für Apotheken Milliarden-Verschwendung bei Krebsmedikamenten
Apotheker, die Krebsmedikamente herstellen, können mit einer einzigen Infusion mehr als 1000 Euro extra verdienen. Das zeigen interne Preislisten, die WDR, NDR, SZ und Monitor vorliegen. Die Krankenkassen könnte das jährlich bis zu 500 Millionen Euro kosten.
Die internen Listen, die NDR, WDR, "Süddeutscher Zeitung" (SZ) und dem ARD-Magazin Monitor von mehreren Großhändlern über mehrere Jahre vorliegen, sind fast 20 Seiten lang. In kleiner Schrift sind die Preise für fast 1000 Krebsmedikamente notiert. Fein säuberlich ist für jedes Medikament eingetragen: die Erstattung der Krankenkasse für das Medikament, dazu der echte, oft sehr viel niedrigere Preis des Großhändlers - und der Zusatzverdienst, den Apotheker dadurch auf Kosten der Beitragszahler machen können.
Das gilt für Chemotherapien wie für weitere Infusionen gegen Krebs - zum Beispiel mit dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab, einem der derzeit am häufigsten verwendeten Wirkstoffe für an Krebs erkrankte Menschen: Im vergangenen Jahr zahlten die Kassen für eine Packung 1109 Euro an den Apotheker, beim Großhandel konnte der die Packung jedoch für 360 Euro einkaufen.
Teilweise mehr als Tausend Euro extra
Sprich: An jeder Packung des Wirkstoffs kann der Apotheker 749 Euro extra verdienen. Und das ist kein Einzelfall. Beispiel Trastuzumab, ein ebenfalls sehr häufig verschriebenes Präparat: Die Kassen zahlten 1439 Euro pro Packung, beim Großhändler kostete es dagegen nur 390 Euro. Mehrere Hundert, teils mehr als 1000 Euro Zusatzverdienst für den Apotheker - bei einer einzigen Infusion.
Nur rund 300 Apotheken bundesweit haben einen eigenen Reinraum und mischen diese Therapien zusammen. Jeder Infusionsbeutel wird einzeln zubereitet, weil die Dosis nach Gewicht und Größe der Patientinnen und Patienten berechnet wird. Das Mischen selbst dauert nur wenige Minuten, und für die Herstellung bekommen die Apotheker von den Krankenkassen eine Pauschale von 100 Euro pro Beutel.
Preise frei verhandelbar
Den oft größeren Gewinn machen die Apotheker also auf andere Art und Weise. Der Grund ist eine ganz spezielle Ausnahme: Im Unterschied zu fast allen anderen Arzneimitteln dürfen Krebs-Apotheker über den Preis der Medikamente mit Herstellern und Händlern frei verhandeln. Das Problem dabei: Die Krankenkassen kennen die echten Einkaufspreise oft nicht und zahlen den Apothekern einen vorher festgelegten Preis.
Die Gewinne sind teilweise gigantisch. Das zeigen die internen Preislisten, die NDR, WDR, SZ und Monitor vorliegen. Die Journalisten haben die Ausgaben der Krankenkassen mit den tatsächlichen Einkaufspreisen auf den Preislisten der Großhändler verglichen.
Allein bei den fünf umsatzstärksten Wirkstoffen, deren Patentschutz abgelaufen ist, hätten die Kassen demnach zuletzt pro Jahr bis zu 500 Millionen Euro einsparen können. Die Mehrausgaben landen Jahr für Jahr bei den rund 300 Krebs-Apothekern, auch wenn die Gewinnmargen nicht bei allen Präparaten auf der Liste so hoch sind.
"Wie auf einem Basar"
Ein Apotheker zeigte beispielhaft, dass die Medikamente tatsächlich bei verschiedenen Herstellern zu diesen niedrigen Listenpreisen geliefert werden. Dabei handelte es sich um Generika, ganz reguläre Ware mit regulärer Haltbarkeit.
Die Preise, die die Apotheker für die Medikamente erhalten, verhandelt in Berlin der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) mit dem Deutschen Apotheker Verband (DAV). Teilnehmer der Verhandlungen berichten NDR, WDR und SZ davon, dass es dort zugehe "wie auf einem Basar".
GKV-Sprecher Florian Lanz sagte im Interview mit Monitor zunächst, dass er die Preislisten für die Apotheker nicht kenne. Später räumte der Spitzenverband allerdings ein, dass er einmalig im Jahr 2020 vertraulich Ausschnitte aus solch einer Preisliste erhalten habe.
Hersteller- und Verkaufspreise offenbar unterschiedlich
Das Problem: Die Krankenkassen erfragen die Preise lediglich bei den Herstellern - doch die von den Pharmafirmen mitgeteilten Preise liegen offenbar deutlich über den tatsächlichen Einkaufsmöglichkeiten der Apotheker. Werden sich Apotheker und Kassen bei ihren Verhandlungen nicht einig, muss eine Schiedsstelle entscheiden. Auch dieser Schiedsstelle liegen den Recherchen zufolge keine Preislisten vor.
Warum schaffen es die Krankenkassen nicht, die realen Preise zu ermitteln - zumal bereits 2016 über viel zu hohe Gewinnmargen für Krebsmedikamente und Bestechungsversuche vom ARD-Magazin Panorama und dem "Stern" berichtet wurde?
Offenbar fragen die Kassen die tatsächlichen Preise einiger wichtiger Krebs-Medikamente nur selten bei den Pharmaunternehmen ab. Wie die Recherchen von NDR, WDR, SZ und Monitor zeigen, wurden die Preise für Bevacizumab und Rituximab beispielsweise nur 2017 und 2021 abgefragt.
Lauterbach zweifelt an Kassen-Aussagen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bezweifelt im Interview mit Monitor die Unkenntnis der Kassen: "Die Ausrede der Krankenkassen, dass man sagt, wir kommen an diese Werte nicht heran, die würde ich infrage stellen." Konfrontiert mit den Recherchen sagt Lauterbach, dies sei "auf jeden Fall etwas, was wir auch regulatorisch angehen müssen." Die hohen Gewinne seien "kein haltbarer Zustand".
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, hält die enormen Verdienstmöglichkeiten der Zytostastika-Apotheker, für "absolut ungerechtfertigt". Dieses Geld könnte man in eine bessere palliativmedizinische Versorgung von Krebspatienten investieren, so Ludwig, die häufig "nicht ausreichend zur Verfügung steht".
Korruptionsskandale bei Krebsmedikamenten
In den vergangenen Jahren waren verschiedene Korruptionsskandale in der Zytostatika-Branche bekannt geworden. Auch deshalb hält Ludwig es für ein großes "Versäumnis, dass man in diesem Bereich diese enormen Gewinne weiterhin erlaubt und dort nicht schärfer durchgreift".
Schon vor einigen Jahren hatte der AOK Bundesverband berechnet, welche Einsparungen man erzielen könnte, wenn man den Verkauf der Präparate ausschreiben und günstigen Anbietern den Zuschlag erteilen würde, wie es bei anderen Medikamenten ohne Patentschutz längst üblich ist.
"Wir hatten ein Einsparvolumen von 600 Millionen Euro pro Jahr festgestellt", sagt die für die Versorgung zuständige AOK-Geschäftsführerin Sabine Richard im Gespräch. "Ihre Liste zeigt ja erhebliche Einkaufsvorteile für die Apotheker." Diese seien beitragsrelevant, sagt Richard, könnten also zu Erleichterungen bei allen Beitragszahlern führen und "den Druck von weiteren Beitragserhöhungen wegnehmen".
Erstattungspreise bisher nur wenig gesunken
Im September vergangenen Jahres senkten die Krankenkassen zwar die Erstattungspreise für einige Krebsmedikamente. Doch immer noch können die Krebs-Apotheker erstaunliche Gewinne erwirtschaften: So können sie eine Packung Pemetrexed, ein Mittel gegen Lungenkrebs, für weniger als 200 Euro einkaufen und bei den Krankenkassen für 1200 Euro abrechnen.
Der Präsident des Verbands der Zytostatika herstellenden Apotheker (VZA), Klaus Peterseim, bezweifelt im Interview nicht, "dass es in Einzelfällen gelingt, einen besonders günstigen Preis zu generieren". Allerdings seien solche Profite nicht über das gesamte Sortiment möglich. Außerdem "kompensiere" man dadurch auch die Herstellung, die "unzureichend vergütet" werde.
Nach Angaben von Peterseim bräuchten die Apotheker eine Zubereitungspauschale von 150 Euro, um die Kosten zu decken. Die Krankenkassen dagegen haben ein Gutachten vorgelegt, demzufolge eine Pauschale von 30 bis 40 Euro ausreichend wäre.
Weitere Verschwendungen aufgedeckt
Die jetzt bekannt gewordenen Profite bei Krebstherapie-Präparaten sind nicht der erste Fall, bei dem die Krankenkassen einer Verschwendung von Versichertenbeiträgen in großem Stil zuschauen. Im Januar dieses Jahres hatten NDR, WDR und SZ enthüllt, dass Labore ihre Corona-PCR-Tests zu einem Bruchteil der von den Kassen erstatteten Kosten einkaufen konnten.
Bereits zuvor hatten NDR, WDR und SZ zusammen mit dem ARD-Magazin Panorama gezeigt, dass die Krankenkassen auch für Röntgenkontrastmittel viele Millionen Euro pro Jahr verschwendeten. Als die Reporter die tatsächlichen Preise dieser Mittel veröffentlichten, gingen die Ausgaben der Krankenkassen um mehr als 100 Millionen Euro zurück.