Apotheker Robert Herold
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Apotheker als Whistleblower "Ich habe Angst, als Nestbeschmutzer dazustehen"

Stand: 20.07.2023 06:00 Uhr

Der Apotheker Robert Herold aus Sachsen macht seit Jahren auf enorme Gewinne bei Krebstherapien aufmerksam - und die zuständige Krankenkasse interessierte sich für diese Geldverschwendung offenbar wenig. 

Von Daniel Drepper, Markus Grill und Peter Onneken, WDR/NDR

5000 Euro, jeden Monat, in bar, am besten einfach auf die Lieferkisten legen. So, erinnert sich Robert Herold, sei er das erste Mal von einer Onkologin aufgefordert worden, Schmiergeld zu bezahlen. Zu dem Zeitpunkt sei er noch ganz jung gewesen, gerade fertig mit seinem Studium.

Damals leitete noch seine Mutter die Central-Apotheke im sächsischen Falkenstein, aber weil Herold bald übernehmen sollte, habe er die Gespräche mit der Onkologin geführt. Mit diesen Gesprächen begann Herolds lange, 18-jährige Entwicklung, die ihn am Ende zu einem Whistleblower in Sachen Krebsmedikamenten machen sollte.

In Gesprächen mit WDR, NDR, "Süddeutscher Zeitung" (SZ) und dem ARD-Magazin Monitor berichtet Herold, dass so manches Rezept einem Apotheker, der Krebstherapien zusammenstellt, mehrere Hundert, teilweise mehr als 1000 Euro Gewinn einbringen kann.

Die Onkologin habe das anscheinend gewusst - und habe an den extremen Gewinnmargen beteiligt werden wollen, sagt Herold. Er habe deshalb den Steuerberater der Familie gefragt: Gibt es eine rechtssichere Möglichkeit, der Ärztin 5000 Euro im Monat zu bezahlen? Schnell sei klar gewesen: Die gebe es nicht. Herold sagte der Onkologin ab.

Herold: Arzt wollte 20.000 Euro im Monat

Einige Jahre später, so erzählt es Herold, habe er versucht, wieder einmal einen Onkologen für seine Apotheke zu gewinnen. Dem habe er bei einem Treffen verschiedene Leistungen angeboten: Er könne zu jeder Tages- und Nachtzeit flexibel produzieren und in die Arztpraxis liefern, auch die Patientenkommunikation übernehme er gern.

Doch das alles soll den Onkologen nicht interessiert haben, sagt Herold. Stattdessen habe dieser zehn Prozent seines Umsatzes mit Krebsmedikamenten als Provision verlangt: 20.000 Euro monatlich.

Klar ist, Onkologen dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Aber auch wenn es sich um Einzelfälle handelt und die allermeisten Onkologen so nicht agieren würden: Herold habe damals für sich daraus den Schluss gezogen: Wenn er solche Beträge nicht zahle, "dann habe ich keine Chance auf dem Markt". Insgesamt gibt es in Deutschland rund 300 Apotheken, die Zytostatika herstellen können.

Krankenkasse zeigte sich desinteressiert

Die enormen Gewinne, die Zytostatika-Apotheker wie er machen können, findet Herold "moralisch verwerflich". Und dass die Öffentlichkeit ein Recht auf Ehrlichkeit habe. Ihn lässt das Thema nicht los. Drei Jahre später geht er den nächsten Schritt. Er trifft sich, so berichtet er, mit Verantwortlichen der größten gesetzlichen Krankenkasse in Sachsen, der AOK Plus. Er habe sie informiert über die enormen Gewinnmöglichkeiten bei der Zubereitung von Krebstherapien. Doch nichts sei passiert.

Aber Herold lässt nicht locker. Als nächstes versucht er, seinen eigenen Verband aufzurütteln, den Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA).

2016 sagt er, habe er versucht, Kollegen zu sensibilisieren, über die Weitergabe ihrer Einkaufsvorteile an die Krankenkassen nachzudenken. "Aber das Interesse damals war gleich null", so sein Eindruck. "Immer wenn ich mit meinen Kollegen spreche, spüre ich, dass sie alles so laufen lassen wollen, wie es bisher läuft." Inzwischen sei er aus dem VZA ausgetreten.

Verband spricht von "Kompensation"

Der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) bezweifelt im Interview nicht, "dass es in Einzelfällen gelingt, einen besonders günstigen Preis zu generieren". Allerdings seien solche Profite nicht über das gesamte Sortiment möglich. Außerdem "kompensiere" man dadurch auch die Herstellung, die "unzureichend vergütet" werde. Die Herstellungspauschale, die ein Apotheker zusätzlich zum Medikamentenpreis bekommt, liegt bei etwa 100 Euro pro Infusion.

Eines der größten Geheimnisse der Branche war bisher, zu welch niedrigen Preisen die Apotheker die Krebsmedikamente tatsächlich einkaufen können. Herold aber will Transparenz schaffen und dafür sorgen, dass die Krankenkassen die echten Preise erfahren, damit endlich nicht mehr so viel Geld der Beitragszahler verschwendet wird.

Kasse erhielt echte Einkaufspreise

Vor etwa fünf Jahren ist er deshalb dazu übergegangen, die echten Einkaufspreise der Apotheker an die AOK Plus zu schicken. WDR, NDR und SZ liegen die entsprechenden Schreiben vor. Rund ein Dutzend Preislisten hat er seither per E-Mail versandt.

Und die Reaktion der Krankenkasse darauf? "Ist gleich null", sagt Herold. Niemand scheint sich für die Geldverschwendung zu interessieren. "Ich habe das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Alles, was er wolle, sei eine gerechte Abrechnung."

Die AOK Plus räumt im Gespräch ein, dass sie die Preislisten nie weitergereicht habe, lediglich Informationen daraus. Der Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Florian Lanz, sagt im Interview mit Monitor, dass er die Preislisten der Apotheker nicht kenne. Später räumt der Spitzenverband ein, dass er einmalig im Jahr 2020 vertraulich Ausschnitte aus solch einer Preisliste erhalten habe.

Herold sucht die Öffentlichkeit

Als Herold merkt, dass seine Bemühungen bei der AOK Plus wenig bewirken, entscheidet er sich dazu, an die Öffentlichkeit zu gehen. Er kontaktiert WDR, NDR und SZ und zeigt seine Preislisten, Lieferscheine und Rechnungen, die belegen, welche enormen Gewinne Krebs-Apotheker auch heute noch erzielen können - auf Kosten der Allgemeinheit.

Herold selbst hat damit ein paar Zehntausend Euro im Jahr zusätzlich verdient, bundesweit geht es aber um Hunderte Millionen Euro, die die Krankenkassen jedes Jahr sparen könnten, wenn sie Herolds Listen zur Kenntnis nehmen würden.

Herold ist heute 44 Jahre alt, hat aber schon jetzt das Gefühl, bald einer der letzten Apotheker seiner Art zu sein: kleinere Apotheker vor Ort, die noch einen eigenen Reinraum haben und darin Chemotherapien für Krebspatienten zubereiten.

Problematischer Trend zur Konzentration

Denn die hohen Gewinne bei den Krebsmedikamenten haben eine weitere Folge für Apotheker wie Herold: Sie begünstigen nicht nur Korruption, sie heizen auch einen Konzentrationsprozess an. Das Geschäft mit den Krebsmedikamenten lohnt sich nämlich besonders, wenn man extrem viele Infusionsbeutel zubereitet.

Apotheker Robert Herold im Labor

Herold kann in seinem Reinraum die Medikamente selbst herstellen - das wird jedoch immer weniger in Anspruch genommen.

Früher habe es bei ihm in Sachsen noch mehr als 50 Apotheken mit einem Reinraum gegeben, sagt Herold, heute seien es weniger als 20. Offizielle Zahlen hat auch der Verband der Zytostatika-Apotheker nicht, aber er bestätigt die Tendenz: Immer weniger Vor-Ort-Apotheken würden noch Zytostatika herstellen. Die großen Hersteller beliefern Krebsärzte mit Infusionsbeuteln, deren Praxen teils mehrere hunderte Kilometer entfernt liegen. Selbst internationale Finanzinvestoren investieren in solche Herstellbetriebe - weil die Zubereitung der Krebsinfusionen so lukrativ ist.

Medikamente fahren durch die Republik

Im Jahr 2005 machte Herold mit der Mischung von Krebsmedikamenten noch 60 Prozent seines Umsatzes, sagt er. Heute seien es noch fünf Prozent. Auch manche Ärzte in seiner Region ließen sich lieber von Herstellbetrieben beliefern, die die Krebsmedikamente manchmal Hunderte Kilometer durch die Republik fahren. Warum diese Ärzte das machen und nicht mehr bei einem Apotheker aus der eigenen Region bestellen, wisse er nicht.

In den vergangenen Monaten hätten sie in der Familie häufig über seinen Schritt an die Öffentlichkeit diskutiert. "Ich habe Angst, als Nestbeschmutzer dazustehen", sagt Herold. Seine Frau befürchtet, dass sich Ärzte von ihnen abwenden könnten. Der Ort im Vogtland, in dem Herold seine Apotheke betreibt, ist klein.

Herold weiß, dass er noch rund 20 Jahre in seinem Beruf arbeiten muss. Trotzdem - oder gerade deswegen - stemmt er sich gegen die Veränderungen in seiner Branche. "Am Ende geht es um den Patienten und der braucht sein Medikament vor Ort."

Palina Milling, WDR, tagesschau, 20.07.2023 08:29 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Das Erste in der Sendung "Monitor" am 20. Juli 2023 um 21:45 Uhr.