U-Bahn-Station Friedrichstraße in Berlin-Mitte

Maßnahmen gegen Corona Leere Innenstädte, vollere Parks

Stand: 30.03.2020 15:15 Uhr

Wird das "Social Distancing" eingehalten? Eine erste Datenanalyse von NDR und WDR zeigt: Viele Orte werden weniger aufgesucht, Supermärkte auch Samstag nicht "gestürmt". Mehr Menschen besuchen hingegen Parks.

Von Christian Basl, Svea Eckert, Jan Strozyk, Simon Wörpel, NDR/WDR

Das öffentliche Leben in Deutschland ist in Folge der umfangreichen Kontaktverbote und Beschränkungen als Reaktion auf die Corona-Pandemie stark zurückgegangen. Eine Datenanalyse zeigt, dass in den vergangenen Tagen vor allem in Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen deutlich weniger Menschen an öffentlichen Orten gezählt wurden als vor der Krise. In Hessen und einigen ostdeutschen Bundesländern wie Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist der Rückgang weniger deutlich.

Das ist das Ergebnis einer Untersuchung verschiedener Datensätze, die Reporter von NDR und WDR gemeinsam mit den Betreibern der Seite everyonecounts.de durchgeführt haben. Die Analyse umfasst bundesweit mehr als 1600 Orte. Jeder davon wurde über mindestens zwei Tage hinweg ausgewertet, einige sogar über Monate. Trotzdem kann die Analyse nur einen Ausschnitt der Realität abbilden. Es ist eine Stichprobe, einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt sie nicht. Für einige Orte sind keine oder nur unzureichende Daten verfügbar und für einige Datenquellen sind die Ergebnisse nur bedingt vergleichbar.

Innenstädte erheblich leerer

Besonders stark ging das Leben demnach in Fußgängerzonen und Einkaufszentren zurück. In der Hamburger Innenstadt um die Großen Bleichen, den Neuen Wall, die Spitalerstraße, und den Jungfernstieg registrierten die dort angebrachten Messstationen in den vergangenen zwei Wochen im Schnitt pro Tag rund 22.000 vorbeigehende Menschen weniger, was umgerechnet bedeutet, dass im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nur noch ein Fünftel der Passanten dort gemessen wurde. Größer ist der verzeichnete Rückgang nur in München und Köln, dort ist es ungefähr ein Achtel.

Im bundesweiten Vergleich erfassten die Messungen für die vergangenen zwei Wochen jeden Tag rund 22.000 weniger Passanten als im Vorjahreszeitraum. Das entspricht einem Rückgang um 75 Prozent. In den Innenstädten sind meist mehrere Messstationen aufgestellt, es ist daher wahrscheinlich, dass einzelne Einkäufer doppelt gezählt werden.

Mit einem Blick auf das vergangene Wochenende zeigt sich ein drastischer Rückgang der erfassten Passanten, vor allem in großen Einkaufszentren: Das "Forum 1" in Erfurt oder die "Galerie" in Trier verzeichneten für den Samstag demnach Rückgänge um mehr als 85 Prozent. Ähnlich sieht es bei anderen Einkaufspassagen in Deutschland aus.

Woher kommen die Daten?
Die Analyse bedient sich verschiedener Datenquellen: Ein großer Teil der Informationen stammt vom Kartendienst "Google Maps": Die Firma Google erhebt für zahlreiche Orte in Deutschland, wie stark sie besucht werden. Dazu greift das Unternehmen auf die Ortungsfunktionen von Smartphones zurück. Die Daten werden zusammengefasst veröffentlicht, ein Rückschluss auf die Bewegung Einzelner ist damit nicht möglich.

Der Dienst "Hystreet” zeichnet in rund 60 Städten in Deutschland mit einer Art Lichtschranke auf, wie viele Menschen sich in Fußgängerzonen aufhalten. Auch diese Daten konnten die Reporterinnen und Reporter auswerten. Um die Veränderung im Straßenverkehr zu untersuchen, kamen Informationen aus dem Verkehrsmeldungsarchiv des NDR zum Einsatz.

Die Daten erhoben Reporterinnen und Reporter von NDR und WDR in Zusammenarbeit mit den Betreibern der Seite “Everyonecounts.de”. Hinter dem Portal steht ein Kollektiv Freiwilliger, die sich im Rahmen eines "Hackathons" zusammengetan haben, um verschiedene Daten über die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung zusammenzutragen und Interessierten zur Verfügung zu stellen. Eine ähnliche Auswertung nahm Spiegel Online vor.

Kaum Reisende auf den Bahnhöfen

Auch an Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen brach der Publikumsverkehr in den vergangenen Tagen regelrecht ein. Spitzenreiter ist der Berliner Hauptbahnhof, wo die Messungen zeigen, dass offenbar neun von zehn erwarteten Reisenden zu Hause bleiben. Ähnlich sieht es am Kölner Hauptbahnhof (minus 87 Prozent) und an den Hauptbahnhöfen von München (minus 84 Prozent) und Stuttgart (minus 81 Prozent) aus.

Leerer Vorplatz vor dem Kölner Hauptbahnhof

Ein fast leerer Vorplatz vor dem Kölner Hauptbahnhof.

Samstag weniger Kundschaft in Supermärkten

Der von einigen Beobachtern erwartete Ansturm auf Supermärkte blieb ausweislich der Daten aus. Eine Stichprobe aus etwas über 1000 Supermärkten, verteilt über die Republik, zeigt, dass am vergangenen Samstag im Schnitt etwa halb so viele Kunden einkaufen gingen wie sonst üblich. Der Wochenend-Einkauf führt in der Regel dazu, dass Supermärkte besonders stark besucht werden, nicht so in Zeiten von Corona.

Nur für wenige Einkaufsmärkte in der Stichprobe verzeichnen die Daten ein erhöhtes Besucheraufkommen, darunter einige Baumärkte. Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass die Menschen insgesamt weniger Produkte kaufen. Es ist durchaus denkbar, dass die Einkäufe lediglich seltener, aber dafür gezielter und in größerem Umfang vorgenommen werden.

Mehr Besucher in Parks und Grünanlagen

Größere Besucherzahlen als an einem durchschnittlichen Wochenende wurden hingegen in zahlreichen Parks erfasst: Das Tempelhofer Feld in Berlin besuchte ein Drittel mehr Menschen als sonst, den Hamburger Stadtpark sogar zwei Drittel. Auch für den Bethmann-Park in Frankfurt am Main, die Poller Wiesen in Köln oder den Friedenspark in Leipzig wurden sehr viel mehr Besucher erfasst als an einem Durchschnitts-Wochenende in dieser Jahreszeit - wohl auch wegen der teilweise frühlingshaften Temperaturen. Inwiefern sich die einzelnen Besucher an die Abstandsregelungen hielten, geht aus den Daten nicht hervor.

Bei sonnigem Wetter gingen viele Menschen in Parks.

Bei sonnigem Wetter gingen viele Menschen in Parks.

Öffentliches Leben deutlich ruhiger

Weniger eindeutig sind die Ergebnisse der Analyse für den Straßenverkehr. Zwar zeigen die Daten insgesamt einen leichten Rückgang beispielsweise von Verkehrsbehinderungen. Daraus könnte man ableiten, dass weniger Autos unterwegs sind. Allerdings stieg die Staulänge sprunghaft an, als die Grenze mit Polen um den 18. März geschlossen wurde. Ebenfalls zeigt sich ein Anstieg um den 13. März, nachdem Dänemark eine Grenzschließung verkündet hatte. Jedoch kann die Staulänge vielfältige Ursachen haben, darunter fallen neben dem Wochentag und dem Wetter auch einzelne große Verkehrsbehinderungen oder temporäre Baustellen, die die Statistik verzerren.

Die Daten deuten insgesamt darauf hin, dass die Menschen in der gesamten Republik versuchen, weniger Kontakt zu haben. Trotz Unterschieden bei den Regelungen zum Kontaktverbot ist in allen Regionen ein deutlicher Rückgang des öffentlichen Lebens sichtbar.

Die Analyse zeigt indes keinen direkten Zusammenhang zwischen strengeren Regularien und den in der Öffentlichkeit erfassten Personen: Rechnet man alle untersuchten Orte der Stichprobe zusammen, so war die Differenz zwischen dem erwarteten Besucheraufkommen und dem gemessenen in Hamburg und Bremen am größten, dort blieben jeweils rund zwei von drei für ein durchschnittliches Wochenende vorausgesagte Personen aus.

In Hessen, wo beispielsweise strengere Beschränkungen gelten, halbierte sich das Aufkommen der erfassten Passanten hingegen nicht einmal. Eine Aussage über die Wirksamkeit der Maßnahmen kann das indes nicht sein, dafür spielen zu viele Faktoren wie das Wetter und Methode der Messungen eine Rolle. Dazu wäre außerdem eine längerfristige Beobachtung notwendig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 30. März 2020 um 17:00 Uhr.