Das Evin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt Teheran
Exklusiv

Gefängnisse im Iran Wie das Regime Demonstranten foltert

Stand: 01.02.2023 06:00 Uhr

Knochenbrüche, Peitschenhiebe, psychische Gewalt: Ehemalige iranische Häftlinge und ein geflohener Gefängniswärter berichten NDR, WDR und SZ, wie brutal das Regime im Iran gegen inhaftierte Demonstranten vorgeht.

Von Von Bamdad Esmaili, Faranak Rafiei, Reiko Pinkert und Daniel Drepper

Laleh Salawi kommt gerade mit ihrer Freundin vom Gitarrenunterricht, als sie mehrere Frauen sieht, die gegen das iranische Regime protestieren. Die beiden Mädchen singen mit, bevor plötzlich Sicherheitskräfte auftauchen, sie umzingeln und mitnehmen. Laleh muss ihr Handy abgeben, bekommt die Augen verbunden - und wird vier Stunden später schwer traumatisiert sein. So erzählt es Laleh, deren Name zu ihrem Schutz geändert wurde, wenige Wochen später im Gespräch mit NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ).

Auf der Polizeistation habe sie zunächst erlebt, wie auch Jungs in den Verhörraum gebracht worden seien. Die Jungs seien auf den Boden gelegt und geschlagen worden. Danach seien Laleh und ihre Freundin dran gewesen. Mehrere Männer, vermutet Laleh später, sollen auf sie eingetreten und sie mit Elektroschockern verletzt haben. Wenig später sei ihr komplettes rechtes Bein blau angelaufen gewesen.

Daniel Drepper, ARD Berlin, zur Recherche der brutalen Foltermethoden im Iran

tagesschau24 11:00 Uhr

Elektroschocker sollten Angst machen

Im Verhör sei ihr gedroht worden, dass sie vom Chef geschlagen werde, wenn sie lüge. In der Nacht zuvor habe sie einige Flugblätter vorbereitet, um Menschen zum Protest zu bewegen. Eine Handvoll Zettel habe sie im Gefängnis noch in ihrer Tasche gehabt. In einem unbeobachteten Moment will Laleh sie schnell aufgegessen haben. 

"Nach dem Verhör saßen wir da, und sie haben hinter unserem Rücken mit Elektroschockern hantiert, damit wir Angst bekommen", sagt sie im Gespräch mit den Reportern. "Dabei haben sie gelacht."

Mitten in der Nacht hätten Laleh und ihre Freundin die Polizeistation wieder verlassen können. Seitdem habe sie keine Gitarre mehr angefasst, sie sei in der Schule schlechter geworden. "In der ersten Woche hat sie an jedem Tag geweint, immer zu der Uhrzeit, zu der sie sie verhaftet haben", sagt ihr Vater.

Schwere Misshandlungen

Trotzdem, sagt Laleh Salawi, werde sie weiter protestieren gehen, falls die Straßen wieder voll werden sollten. "Weil wir eine Generation sind, die Freiheit will. So mutig wie wir war keine Generation vor uns." Ausgelöst wurden die Demonstrationen durch den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihren Hijab nicht ordnungsgemäß getragen haben soll. Sie war auf der Polizeiwache zusammengebrochen und anschließend gestorben. 

Wie mit Laleh Salawi sprachen die Reporter in den vergangenen Wochen mit mehr als einem Dutzend Iranern, die seit Beginn der Proteste verhaftet wurden. Viele von ihnen berichten von noch viel heftigeren Misshandlungen. Alle Betroffenen sind nach eigenen Angaben inzwischen, oft gegen hohe Kautionen oder auf Bewährung, wieder frei, fast alle sind bis heute im Iran. 

Ein großer Teil der Betroffenen berichtet davon, bei der Verhaftung oder in den Verhören mit Knüppeln oder Fäusten geschlagen worden zu sein, mehrere berichten von Knochenbrüchen. Der Mehrheit der Demonstranten, mit denen die Reporter sprachen, sei bei den Verhören die Augen verbunden worden. Einer beschrieb, wie er und seine Mitgefangenen 24 Stunden lang mit einer Augenbinde knien mussten. Wer sich bewegte, sei geschlagen worden.

Drohung mit der Todesstrafe

Neben der körperlichen Folter berichten die Iraner davon, wie sie psychisch eingeschüchtert worden seien. Betroffene seien etwa mit der Todesstrafe bedroht worden, mit Vergewaltigungen, mit Elektroschockern oder Schlägen. Zum Teil sagen die Betroffenen, sie hätten gegen ihren Willen Medikamente verabreicht bekommen.

Die Häftlinge berichten zudem, mitbekommen zu haben, wie Menschen Peitschenhiebe auf ihre nackten Fußsohlen bekommen hätten, wie sie mit Wasserschläuchen ausgepeitscht und mit Elektroschockern gefoltert worden seien. "Du hast die Schreie gehört", erzählt ein junger Mann: "Das war, damit du Angst bekommst und alles zugibst." In insgesamt drei Fällen soll es zu sexueller Gewalt gekommen sein. Die Menschen sollen an Möbelstücken festgebunden und mit Gummiknüppeln oder Elektroschockern vergewaltigt worden sein.

Die Iraner berichten übereinstimmend, dass ihnen Handys und Laptops abgenommen worden seien, oft schon bei der Verhaftung. Die Gefangenen seien bedroht und gefoltert worden, damit sie ihre Passwörter verraten. Äußerungen in sozialen Medien, bei WhatsApp oder Instagram seien ihnen dann ausgedruckt vorgelegt worden. Einer Betroffenen hätten die Sicherheitskräfte auch Bilder ihrer Verwandten von einer regimekritischen Demo in Berlin vorgelegt.

Keiner der Betroffenen habe anwaltliche Unterstützung erhalten. Oft seien die Familien über Tage nicht informiert worden. "Sie hatten einen allgemeinen Haftbefehl, ohne Namen. Als ich fragte 'Wo steht mein Name?' haben sie geantwortet: 'Dieser Zettel hier reicht uns, um 80 Millionen Iraner zu verhafteten'", erzählt eine Verhaftete aus Teheran.

Ehemaliger Wärter bestätigt Misshandlungen

Gestützt werden die Berichte der Betroffenen von einem geflüchteten Gefängniswärter, den Reporter von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" in Deutschland treffen konnten. Nach eigenen Angaben arbeitete er mehr als zehn Jahre in verschiedenen iranischen Gefängnissen - auch nach Beginn der Proteste. Das belegen sein Dienstausweis und Gehaltsabrechnungen.

Er bestätigt die Foltervorwürfe. Mehrmals täglich seien in den Gefängnissen Menschen ausgepeitscht worden. Auch Pfefferspray, Schlagstock oder Elektroschocker hätten seine Kollegen zum Foltern genutzt. Auf seinem Handy zeigt er ein Formular, das Wärter ausfüllen mussten, mit dem Namen der Häftlinge, der Zahl der erhaltenen Peitschenhiebe und dem Fingerabdruck des Inhaftierten.

"Bei den Protestierenden wollte man einfach, dass es ihnen schlecht geht, deshalb wurden sie gefoltert", sagt er. "Kein Erbarmen", habe die Gefängnisleitung angewiesen. Familien seien nicht informiert worden, die Menschen hätten in dünner Haftkleidung in kalten Räumen schlafen müssen, auf dem Betonboden neben ihren eigenen Fäkalien. Irgendwann, erzählt er, habe er es nicht mehr ausgehalten und sei geflohen.

Auswärtiges Amt hat Hinweise auf Folter

Seit Beginn der Proteste im September 2022 ist es für Journalisten nur schwer möglich, Aussagen aus dem Iran zu verifizieren. Die Reporter überprüften aber die Berichte der Gesprächspartner systematisch und konnten viele Angaben mit öffentlich verfügbaren Informationen und mit geografischen Details abgleichen. Die Angaben decken sich auch mit Haftbedingungen, wie sie in früheren Jahren von Gefangenen beschrieben wurden. Zudem konnten die Reporter für einen Großteil der beschriebenen Fälle Dokumente von Gerichten und Gefängnissen sowie Fotos, Videos und medizinische Unterlagen sichten. Diese und Berichte von Verwandten, Freunden oder betreuenden Ärzten stützen die Angaben der Betroffenen.

Ein als vertraulich eingestufter Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Ende November unterstreicht Erkenntnisse der Recherchen. Demnach gebe es "zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse". Zudem seien "seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft" bei politischen Häftlingen im Iran üblich.

Auf Anfrage sagte eine Sprecherin des Ministeriums: "Die von den Betroffenen genannten schrecklichen Erfahrungen decken sich mit Berichten, die auch dem Auswärtigen Amt bekannt sind." Neben den bereits bestehenden Sanktionen prüfe man weitere Maßnahmen. Die iranische Botschaft in Deutschland und das iranische Außenministerium ließen eine Anfrage unbeantwortet.

Bamdad Esmaili, NDR, 01.02.2023 06:06 Uhr