Feuerwehrmänner löschen letzte Brandherde nach einem Brand in einer Lagerhalle im Saarland
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Chemikalien Drohende Milliarden-Kosten wegen PFAS-Verschmutzung 

Stand: 16.01.2025 06:03 Uhr

Egal ob Solarzellen oder beschichtete Pfannen: PFAS-Chemikalien werden in vielen Alltagsprodukten eingesetzt. Doch weil sie massenhaft in die Umwelt gelangen, könnte die Sanierung neuen Recherchen zufolge hunderte Milliarden Euro kosten.

Von Lea Busch, Daniel Drepper, Johannes Edelhoff, Catharina Felke, Jana Heck, Nándor Hulverscheidt, Sarah Pilz und Luzius Zöller, NDR/WDR

Fast 20 Stunden dauern die Löscharbeiten, als im Mai 2001 in Düsseldorf-Gerresheim eine Lagerhalle brennt. Die Stadt geht von Brandstiftung aus, doch der Verursacher kann nie gefunden werden. Der Schaden liegt bei rund 20 Millionen D-Mark - so scheint es zumindest zunächst. Doch einige Jahre später kommt in Deutschland das Thema PFAS auf - sogenannte Ewigkeitschemikalien.

In Düsseldorf beginnt die Verwaltung zu recherchieren und stellt fest: Die Feuerwehr verwendete damals PFAS-haltige Löschschäume. Früher war das Standard. Heute kämpfen Düsseldorf und viele andere Regionen mit den Folgen. Denn die Stoffe sickern ins Erdreich, können Boden und Grundwasser verunreinigen. In Düsseldorf hat sich die Verschmutzung über eine Länge von etwa drei Kilometern ausgebreitet.

"Das ist eine Generationenaufgabe"

Im Nieselregen steht Jochen Kral, Dezernent für Umwelt und Mobilität, an einem Freitagnachmittag Anfang Dezember an dem Ort, der die Stadt Millionen gekostet hat und weitere Millionen kosten wird. In Düsseldorf befassen sich mehrere Mitarbeiter auf 3,5 Vollzeitstellen nur mit dem Thema PFAS. "Das ist eine Generationenaufgabe", sagt Kral und meint damit die Reinigung des Grundwassers von PFAS. Hinter ihm steht eine riesige Anlage: Acht blaue Fässer, in denen das Wasser gefiltert wird, ragen auf Stelzen in den Himmel, zwischendrin grüne und blaue Container.

Mittlerweile ist die Anlage seit etwa acht Jahren in Betrieb. "Mit der Technik, mit der wir hier momentan vorgehen, gehe ich davon aus, dass wir noch Jahrzehnte brauchen, um wieder einen befriedigenden Zustand zu erreichen", sagt Kral. Schon jetzt ist klar: Es ist immens teuer, die Umwelt von einmal entwichenen PFAS zu reinigen.

Aufgrund ihrer Langlebigkeit haben sich PFAS immer weiter in der Umwelt angereichert und gelangen auch in die Nahrungskette. Es gibt rund 10.000 verschiedene PFAS. Inzwischen sind sich diese menschengemachten Chemikalien extrem weit verbreitet: Sie können sich etwa in Eisbären und Pinguinen, im Regen, in Bäumen, im menschlichen Blut befinden.

Einige PFAS werden von der WHO als krebserregend beziehungsweise möglicherweise krebserregend eingestuft. Zudem werden sie etwa mit einer Schädigung des Immunsystems, Leberproblemen und Fettleibigkeit in Verbindung gebracht. Bei den meisten dieser rund 10.000 Stoffe ist jedoch noch nicht erforscht, ob und welche gesundheitlichen Folgen sie haben können. Aufgrund des ähnlichen Aufbaus vieler PFAS vermuten Experten, dass auch weitere, noch nicht erforschte PFAS-Verbindungen problematisch sein könnten. 

Milliardenschwere Gesundheitskosten?

Jedes Jahr entstehen in Europa, das haben Forscher vor einigen Jahren berechnet, milliardenschwere Gesundheitskosten. Wie teuer würde es werden, wenn man die PFAS wieder loswerden wollte? Für das Rechercheteam "Forever Lobbying Projekt" haben die PFAS-Experten Ali Ling von der University of St. Thomas in Minnesota und Hans-Peter Arp von der Norwegian University of Science and Technology genau das berechnet.

Sie werteten dafür nicht nur zahlreiche Studien aus, sondern griffen auch auf exklusiv von dem Rechercheteam recherchierte Daten zurück. Dafür fragten die Medien, zu denen in Deutschland auch NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und die deutsche Ausgabe der Zeitschrift MIT Technology Review gehören, zahlreiche Behörden und Firmen an sichteten Daten und Unterlagen und recherchierten konkrete Fälle von PFAS-Verschmutzung. 

Das Ergebnis: Sollte die Verschmutzung mit PFAS so weitergehen, könnte die Reinigung in 31 untersuchten europäischen Ländern in den kommenden 20 Jahren rund zwei Billionen Euro kosten. Ling und Arp betonen, dass dies eine konservative Schätzung ist und die Kosten vermutlich noch viel höher liegen werden. Allein für Deutschland berechnen die Forscher mögliche jährliche Kosten von mehr als 800 Millionen Euro - im konservativsten Szenario. Dabei handelt es sich nur um Kosten für die Reinigung der Umwelt von den PFAS, von denen Experten annehmen, dass sie schon in der Umwelt sind.

Kosten für Staat und Unternehmen

Das zweite Szenario spiegelt auch künftige PFAS-Freisetzungen wider und geht unter anderem davon aus, dass es keine wirksamen Beschränkungen für diese Chemikalien gibt. Unter diesen Voraussetzungen belaufen sich die geschätzten Kosten für eine Reinigung der Umwelt von PFAS sogar auf mehr als 17 Milliarden Euro pro Jahr für Deutschland. Gemäß dem Bundes-Bodenschutzgesetz gilt in Deutschland, dass die Verursacher und Grundstückseigentümer verpflichtet sind, für die Beseitigung der Verunreinigung zu sorgen. Die Kosten betreffen also nicht nur den Staat, sondern zum Beispiel auch Unternehmen. 

Die Schätzung der Forscher für das "Forever Lobbying Project" beruht auf vielen Annahmen, eine definitive Zahl ist daher schwer zu ermitteln. Deutlich wird aber die Dimension der möglichen Kosten. Hans-Peter Arp leitet ein großes europäisches Forschungsprojekt zur PFAS-Verschmutzung. Ali Ling arbeitete neben ihrer Forschung viele Jahre als Beraterin für Behörden und PFAS-produzierende Firmen, um Trink- und Abwasser besser zu reinigen.  

Das "Forever Lobbying Projekt" zeigt nicht nur die möglicherweise hohen Kosten, es hat auch Tausende Lobby-Dokumente untersucht und die Argumente der Industrie gegen eine weitreichende Beschränkung aller PFAS-Chemikalien. Die Recherchen zeigen: Zentrale Industrie-Argumente stützen sich auf falsche Angaben und irreführende Argumente. Trotzdem hat die Lobby offenbar Erfolg: Hochrangige Politiker in Brüssel wie in Berlin, darunter auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, folgen den Argumenten der Industrie.

Umfrage unter allen Kreisen und kreisfreien Städten

Schon vor knapp zwei Jahren hatten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung in einer Datenrecherche gezeigt, dass allein in Deutschland mehr als 1500 Orte mit PFAS verschmutzt sind. Dazu gehören Fließ- und Grundwasser genauso wie Böden, auf Feldern wie in der Nähe von Industrie-Standorten oder Flughäfen.

Um herauszufinden, wie Deutschland mittlerweile die PFAS-Verschmutzung bekämpft, haben NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung gemeinsam mit der deutschen MIT Technology Review eine Umfrage unter allen 400 Kreisen und kreisfreien Städte in Deutschland durchgeführt, sowie die 16 Bundesländer, die Bundesregierung und stichprobenhaft Wasserversorger befragt. Fast zwei Drittel aller Kreise und kreisfreien Städte haben geantwortet.

Eins der Ergebnisse: Etwa jede dritte Region sieht in PFAS eine aktuelle oder zukünftige Gefährdung. Sie gehen von langwierigen Kosten aus. Rund 85 Prozent der Kreise, die für die Umfrage abschätzen, wie lange sie noch mit der Sanierung und dem Monitoring der PFAS-Verschmutzung zu tun haben werden, gehen davon aus, dass noch über 20 Jahre Kosten entstehen werden. Allerdings sucht fast die Hälfte der Kreise, die geantwortet haben, nicht aktiv nach PFAS. 

Die Zuständigkeiten für PFAS sind in Deutschland auf unterschiedliche Stellen verteilt. In NRW sind etwa für die Bearbeitung von Verdachtsfällen in Boden und Grundwasser die unteren Bodenschutzbehörden der Kreise und kreisfreien Städte und in bestimmten Fällen die Bezirksregierungen zuständig. Die Landesregierung unterstützt dabei unter anderem finanziell, das Landesumweltamt berät und informiert.

Kommunen offenbar überfordert

Im Bundesland NRW sind PFAS bereits seit 2006 ein größeres Thema. Hier gibt es immer mehr Fundstellen, was laut Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW LANUV vor allem daran liegt, dass gezielt und regelmäßig nach PFAS gesucht wird. Jedes Jahr stellt die Landesregierung mehrere Millionen Euro unter anderem für die Erkundung und Sanierung von PFAS-Verschmutzungen zur Verfügung. 

Das Geld geht auch nach Düsseldorf. Denn wenn kein Verursacher ausfindig gemacht werden kann oder das Grundstück Stadt, Land oder Bund gehört, kommen immer wieder auch die Steuerzahler für die Kosten auf. "Die Kosten übersteigen deutlich die Leistungsfähigkeit der Kommunen", sagt Kral. In den vergangenen Jahren haben Stadt und Land mehr als zehn Millionen Euro ausgegeben - aber damit ist es noch lange nicht getan. Allein für die Sanierung der großflächigen Grundwasserverunreinigung in Gerresheim werden für die nächsten 15 Jahre Kosten in Höhe von über 20 Millionen Euro anfallen, schätzt die Stadt.

Wer gehört zum "Forever Lobbying Project"?
Die internationale Recherche "Forever Lobbying Project" (bisher "Forever Pollution Project") wurde von der Zeitung Le Monde koordiniert und umfasst mehr als zwei Dutzend Medienpartner aus 16 Ländern:

RTBF (Belgien); Denik Referendum (Tschechische Republik); Investigative Reporting Denmark (Dänemark); YLE (Finnland); Le Monde und France Télévisions (Frankreich); MIT Technology Review Germany und NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, (Deutschland); Reporters United (Griechenland); Radar Magazine, Facta.eu und La Via Libera (Italien); Investico und Financieele Dagblad (Niederlande); Klassekampen (Norwegen); Oštro (Slowenien); Datadista (Spanien); Sveriges Radio und Dagens ETC (Schweden); SRF (Schweiz); The Black Sea (Türkei); Watershed Investigations und The Guardian (Vereinigtes Königreich).

Publikationspartner ist Arena for Journalism in Europe, im Austausch mit der NGO Corporate Europe Observatory. Die Projektpartner erhielten finanzielle Unterstützung vom Pulitzer Center, der Broad Reach Foundation, Journalismfund Europe und IJ4EU.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Januar 2025 um 06:20 Uhr.