Blaulicht auf einem Polizeifahrzeug
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Entlassung aus dem Gefängnis "Reichsbürger" beunruhigt Sicherheitsbehörden

Stand: 03.09.2024 18:00 Uhr

Adrian Ursache hatte bei einer Zwangsräumung auf einen SEK-Beamten geschossen und schwer verletzt. Nun kam er aus dem Gefängnis frei. Er gilt Sicherheitsbehörden als sehr gefährlich und sorgt für einen großen Polizeieinsatz.

Von Manuel Bewarder, NDR/WDR, und Florian Flade, WDR

Früher ließ sich Adrian Ursache gerne von Journalisten in seinem Haus in Reuden, im Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) besuchen. Dann posierte er auf dem Sofa, um seinen Körper eine Schärpe, die ihn als "Mister Germany 1998" auswies. Damals war Ursache zum schönsten Mann des Landes gewählt worden. Heute gilt er den Behörden als einer der prominentesten und gefährlichsten Vertreter der "Reichsbürger"-Szene. 

Vier Jahre saß Adrian Ursache wegen versuchten Mordes im Gefängnis. Im August 2016 war die Polizei bei ihm angerückt, um eine Zwangsvollstreckung seines Hauses durchzusetzen. Ursache, der vom Verfassungsschutz damals bereits der "Reichsbürger"-Bewegung zugeordnet wurde, schoss mit einer Pistole auf einen Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK). Dieser wurde am Hals getroffen und überlebte nur dank seiner Schutzkleidung. Das Landgericht Halle verurteilte Ursache deshalb im April 2019 zu sieben Jahren Gefängnis. Der 44-Jährige beteuerte bis zum Schluss seine Unschuld.

Racheakte befürchtet

Am Montag nun kam Ursache aus der Haft frei. Die Sicherheitsbehörden halten den früheren "Mister Germany" jedoch nach Informationen von WDR und NDR weiterhin für gefährlich. Demnach trauen sie ihm oder weiteren Anhängern der "Reichsbürger"-Szene Racheakte zu. Der Recherche zufolge wird Ursache deshalb in besonderem Ausmaß überwacht - zum Teil anscheinend auch ganz offen, sodass er es mitbekommen kann. Er ist offiziell als "Gefährder" eingestuft. Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt, das Bundeskriminalamt (BKA) und der Verfassungsschutz haben Ursache nun weiter im Blick.  

Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt erklärte auf Anfrage allgemein, es werde derzeit eine "geplante polizeiliche Maßnahme" durchgeführt. Mit Blick auf Persönlichkeitsrechte machte die Behörde keine Angabe zur Person. Auch zu den genauen Gründen für die Maßnahmen machte die Behörde keine Angaben. Es gehe um einen Mann nach seiner Entlassung aus der Haft, hieß es. In diesem Zusammenhang finde ein "permanenter Austausch mit den Behörden des Bundes und der Länder statt". Ein Anwalt von Ursache äußerte sich auf Anfrage nicht. 

25.000 Personen zu Reichsbürgerszene gezählt

Die Szene der "Reichsbürger" wurde viele Jahre verharmlost. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden hierzu deutschlandweit mittlerweile rund 25.000 Personen gezählt. Rund 2.500 davon werden als gewaltorientiert eingestuft. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt der Prozessstart gegen eine Gruppe um Prinz Reuß, die Ende 2022 bei einer großen Razzia festgenommen wurde. Der Generalbundesanwalt wirft ihr vor, einen Umsturz geplant zu haben. Die "Reichsbürger"-Szene erkennt die Bundesrepublik nicht als Staat an, sondern geht vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus. 

Die Auflagen, mit denen der nun freigelassene "Reichsbürger" Ursache belegt wurde, sollen ungewöhnlich streng und umfassend sein: Adrian Ursache trägt den Informationen zufolge elektronische Fußfesseln, ihm wurde demnach untersagt. internetfähige Kommunikationsmittel zu nutzen. Außerdem dürfe er sich ohne Absprache mit der Polizei nur an bestimmten Orten aufhalten. Aus Angst vor möglichen Racheakten sollen auch in seinem ehemaligen Wohnort die sichtbaren Polizeimaßnahmen hochgefahren worden sein.  

Die Sorge vor neuen Straftaten muss demnach bei den Behörden groß sein: Allein zu Wochenbeginn sollen insgesamt rund 100 Beamte in die Observation eingebunden gewesen sein. Aus Behördenkreisen heißt es, Ursache habe versucht, nach seiner Entlassung aus der Haft in die Schweiz zu reisen. Da ihm dies aber untersagt sei, hätten ihn Schweizer Beamte gestoppt und zurück nach Deutschland geschickt. Die Schweizer Beamten sollen von ihren deutschen Kollegen vorgewarnt gewesen sein.

Fantasieland ausgerufen

Ursache hatte Anfang der 2000er-Jahre mit seiner Frau ein Grundstück in Reuden, in einer ehemaligen Braunkohleregion in Sachsen-Anhalt, erworben und ein Haus gebaut. Das Ehepaar geriet dadurch offenbar in finanzielle Schwierigkeiten und häufte eine große Summe an Schulden an. Im August 2013 wurde schließlich ein Zwangsvollstreckungsverfahren gegen Ursache eingeleitet. 

In jener Zeit bereits soll Adrian Ursache ein Anhänger der sogenannten „Reichsbürger“-Bewegung gewesen sein. Er zweifelte die Legitimität des Gerichtsvollziehers an und soll behauptet haben, die Bundesrepublik Deutschland existiere nicht. Polizisten bezeichnete er als "Träger einer Wortmarke". Auf seinem Grundstück rief er zudem ein eigenes Fantasieland aus, den "Staat Ur". Er soll gedroht haben, wer das Land unbefugt betrete, müsse mit Waffengewalt rechnen. Gegenüber dem Gerichtsvollzieher soll Ursache laut Staatsanwaltschaft Morddrohungen ausgesprochen haben.

Schusswechsel bei Zwangsräumung

Am 24. August 2016 scheiterte ein erster Versuch, eine Zwangsräumung des Grundstücks zu vollziehen. Ursache hatte im Internet mehrere Gleichgesinnte und Unterstützer mobilisiert, die anreisten und behaupteten, die Vollstreckung verstoße gegen das Völkerrecht. 

Nur einen Tag später dann rückte die Polizei mit Spezialkräften und zwei Hundertschaften an, um den Gerichtsvollzieher zu unterstützen. Einer der SEK-Beamten schoss auf Ursache, der einen Revolver auf die anrückenden Polizisten gerichtet haben soll. Vor Gericht sagte der Polizist später, er habe in Ursache eine unmittelbare Bedrohung gesehen und deshalb geschossen.  

Ursache wiederum feuerte zurück und traf einen SEK-Beamten am Hals. Es kam zu einem weiteren Schusswechsel, Ursache wurde vier Mal im Oberkörper getroffen, wurde schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht und notoperiert. 

Im April 2017 dann erhob die Staatsanwaltschaft Halle Anklage gegen Adrian Ursache wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Waffengesetz. Der Prozess begann im Oktober 2017 und endete nach 56 Verhandlungstagen im April 2019 mit dem Urteil gegen Ursache: Sieben Jahre Gefängnis. Eine Revision seiner Anwälte verwarf der Bundesgerichtshof ein Jahr später. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir am 04. September 2024 um 05:00 Uhr.