Windräder eines Windparks in der Ostsee vor Rügen drehen sich.

Russische Spionage in der Ostsee "Der Handlungsbedarf ist riesig"

Stand: 25.09.2024 13:08 Uhr

Politiker und Experten fordern die Bundesregierung auf, entschiedener gegen russische Spionage in Nord- und Ostsee vorzugehen. NDR, WDR und der SZ hatten aufgedeckt, wie Russland systematisch die Unterwasserinfrastruktur ausspioniert.

Von Manuel Bewarder, Marie Blöcher, Antonius Kempmann, Benedikt Strunz, NDR, Petra Blum und Florian Flade, WDR

Die Explosion der Nord-Stream-Pipelines vor zwei Jahren galt vielen als Warnschuss. Politiker aus ganz Europa betonten damals die Notwendigkeit, kritische Infrastruktur besser zu schützen. Europa ist in hohem Maße abhängig von Pipelines und Glasfaserkabeln auf dem Meeresgrund, die Gas und Daten zu Millionen Haushalten transportieren. Auch die Offshore-Windparks, deren Leistung in den kommenden Jahrzehnten enorm wachsen soll, sind Teil dieser lebenswichtigen Infrastruktur.

Doch es sei bisher zu wenig unternommen worden, um diese zu schützen, beklagt CDU-Politiker Christoph de Vries. "Egal ob sie mit Militärs, Polizei oder Sicherheitsexperten sprechen, da sind alle einer Meinung. Wenn es um den Schutz kritischer Unterwasserinfrastruktur geht, besteht ein riesiger Handlungsbedarf", so De Vries.

Journalisten von NDR, WDR und SZ haben gemeinsam mit internationalen Partnern die Aktivität von  rund 70 russischen Forschungsschiffen seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ausgewertet und konnten dabei mehr als 400 einzelne Fahrten identifizieren. Bei rund 60 dieser Fahrten in Nord- und Ostsee zeigten die Schiffe auffällige Bewegungen wie Zick-Zack-Muster, Langsamfahrten oder Stopps, die laut Experten auf Datensammelaktivitäten hinweisen. Russische Behörden ließen Anfragen dazu unbeantwortet. 

Die FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht beim Schutz der kritischen Infrastruktur auf und unter dem Meer "Luft nach oben": "Wenn wir Despoten gegenüber klar uns schützen wollen, brauchen wir deutlich einfachere Wege", sagte Strack-Zimmermann im NDR-Interview.

Komplexe Rechtslage erschwert Schutz

Die derzeitige Gesetzeslage ist jedoch unübersichtlich. Mehrere Behörden teilen sich die Zuständigkeiten: Während die Bundespolizei in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) die Aufgaben übernimmt, sind in der Zwölf-Meilen-Zone die Länderpolizeien verantwortlich. In der Praxis arbeiten Bundespolizei und Marine jedoch oft zusammen, um verdächtige Schiffe zu begleiten. Russland soll neben Militär- und Forschungsschiffen auch Tanker, Fischtrawler und Yachten für Spionage einsetzen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine durchquerten nachweislich 150 russische Schiffe das deutsche Küstenmeer, was die Überwachungsressourcen deutscher Sicherheitskräfte erheblich belastet.

Mögliche Sabotagefälle unter Wasser stellen die deutsche Bundespolizei vor erhebliche Herausforderungen. Zwar fällt die Gefahrenabwehr unter ihre Zuständigkeit, aber ihre Fähigkeiten in größeren Meerestiefen sind begrenzt. "Ich wüsste nicht, dass die deutsche Polizei über U-Boote verfügt", bringt ein ranghoher Marineoffizier die Situation auf den Punkt. 

Der Sicherheitsexperte Moritz Brake betont, dass die Marine "am besten dafür ausgerüstet sei", um Unterwasserbedrohungen zu begegnen. Er fordert eine Stärkung ihrer Kompetenzen. Aus Marine-Kreisen selbst heißt es, dass es wichtig sei, im Ernstfall nicht erst über Zuständigkeiten diskutieren zu müssen.

Forderung nach einem Seesicherheitsgesetz

Angesichts der Lücken im Schutz kritischer Infrastruktur fordern Expertinnen und Experten ein Seesicherheitsgesetz, das klare Zuständigkeiten für den Schutz von Pipelines, Datenkabeln und Offshore-Windparks festlegt.

Dazu zählt die Völkerrechtlerin Nele Matz-Lück von der Universität Kiel: "Ich habe nicht den Eindruck, dass wir so schnell vorangeschritten sind, wie das sicherlich geboten ist." Andere Länder hätten bereits mehr unternommen, um ihre Kabel und Rohre unter Wasser zu schützen. Der Seerechtler Wolf Heintschel von Heinegg verweist auf Australien und Neuseeland, die Sperrgebiete zum Schutz der Unterwasser-Infrastruktur eingerichtet hätten.

Ein Seesicherheitsgesetz könnte allerdings zu Kompetenzübertragungen von den Ländern auf den Bund führen, was die Umsetzung politisch kompliziert macht. CDU-Politiker de Vries hat bereits eine Diskussion über ein Seesicherheitsgesetz "analog zum Flugsicherheitsgesetz" im Bundestag angestoßen.   

Das Bundesinnenministerium arbeitet derzeit offenbar nicht konkret an solch einem Gesetz. Auf Nachfrage teilte allerdings ein Sprecher gegenüber NDR, WDR und SZ mit, dass man "mit Hochdruck an dem Entwurf des KRITIS-Dachgesetzes" arbeite. KRITIS steht für kritische Infrastruktur. Dieses Gesetz soll klare Zuständigkeiten für die Betreiber regeln und deren Verantwortung im Ernstfall definieren.

Für das Rechercheprojekt "Russian Spy Ships" hat das internationale Rechercheteam Morsesignale, AIS-Signale und Satelliten-Bilder ausgewertet. Die Schiffspositionen konnten teilweise über "Wetterberichte" rekonstruiert werden, die russische Militärschiffe als Morsesignale senden. Insgesamt hat das Team mehr als 1.000 solcher Signale dekodiert und ausgewertet. Die Richtigkeit der so übermittelten Schiffspositionen konnte das Team in Einzelfällen gegenprüfen: Etwa durch Satelliten-Aufnahmen, durch In-Augenschein-Name vor Ort und durch den Abgleich mit Quellen aus Sicherheitskreisen belegt werden. An dem Rechercheprojekt waren Journalistinnen und Journalisten von Pointer (Niederlande), VRT (Belgien), ERR (Estland), NRK (Norwegen) und Yle (Finnland) beteiligt. In Deutschland wurden die Recherchen von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung durchgeführt. Unterstützt wurde das Projekt von Dossier Center, Marineschepen, Marine Traffic, Vake sowie von BBC, DR und SVT.

Der Film "Putins Flotte - Russische Spionage in der Ostsee" ist in der ARD-Mediathek abrufbar.