Als Symbol der rechtsextremen "Artgemeinschaft" fungiert ein Adler, der einen christlichen Fisch greift.
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Verbot der "Artgemeinschaft" Rechtsextremes Netzwerk nicht komplett zerschlagen

Stand: 02.10.2024 12:02 Uhr

2023 ließ Innenministerin Faeser die rassistisch-völkische Gruppierung "Artgemeinschaft" verbieten. Laut NDR-Recherchen wurde das Netzwerk nicht vollständig zerschlagen. Mindestens ein Verein mit gleicher Ideologie wird weiter legal betrieben.

Die "Artgemeinschaft" wirkte altertümlich, harmlos. Sie kam zu Brauchtumsfeiern, Volkstanz und scheinbar religiösen Festen zusammen. Eine Folklore-Gruppe? Als Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die "Artgemeinschaft" im September 2023 verbot, sprach sie von einem "harten Schlag gegen den Rechtsextremismus". Die "Artgemeinschaft" indoktrinierte laut Faeser Kinder und sorgte so für gut geschulten Nachwuchs für die rechte Szene.

Die führenden Köpfe der Organisation nannte Faeser damals "geistige Brandstifter, die bis heute NS-Ideologie verbreiten". Die Gruppe gefährde "die freiheitlich demokratische Grundordnung in besonderem Maße".

Doch bei dem Vereinsverbot haben die Behörden einen Teil der Strukturen im Umfeld der Organisation außer Acht gelassen. Während die "Artgemeinschaft" mit der Teilorganisation "Familienwerk" und regionalen Untergliederungen durch das Bundesinnenministerium aufgelöst wurde, bestehen mehrere Vereine von ehemaligen "Artgemeinschafts"-Mitgliedern weiter. Dabei hatte der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern das Bundesinnenministerium bereits vor dem Verbot über die Vereine informiert.

Nicht verboten wurde ein Netzwerk aus insgesamt vier Vereinen in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, die vor fünf bis sechs Jahren gegründet worden waren. Im Zentrum des Netzwerks steht der Rechtsextremist Thomas B. aus Mecklenburg-Vorpommern. Er ist Vorsitzender von drei Vereinen mit Sitz auf der Insel Usedom, denen auch andere Mitglieder der "Artgemeinschaft" angehören. Thomas B. war einer der Empfänger der "Artgemeinschafts"-Verbotsverfügung, sein Wohnhaus hatte die Polizei im September 2023 durchsucht und unter anderem Gold beschlagnahmt.

Rassistisches "Artbekenntnis" in Satzung festgeschrieben

B.s Vereine mit den kryptisch wirkenden Bezeichnungen "Frühgeschichtliches Forschungszentrum - Peeneland", "Familienwerk Peeneraben" und "Familienhilfswerk Peeneraben" wurden von dem Verbot verschont. Bei näherer Betrachtung kann das verwundern, denn das "Familienwerk Peeneraben" ähnelt nicht nur im Namen dem verbotenen "Familienwerk" der "Artgemeinschaft".

Ziel des "Familienwerks Peeneraben" ist laut Satzung unter anderem "die Förderung und Unterstützung der Mitglieder und ihrer Familien, sofern diese die Sittengesetze unserer Art und das Artbekenntnis anerkennen und danach leben". Außerdem verlangt die Satzung des nicht verbotenen Vereins, dass sich Mitglieder zum "Artbekenntnis" und zu den "Sittengesetzen unserer Art" bekennen sollen. Diese beiden Texte waren die Grundlagenschriften - quasi die "Gebote" - der "Artgemeinschaft".

Die beiden Schriften werden in der Verbotsverfügung der "Artgemeinschaft" aufgeführt und belegen laut Bundesinnenministerium die "konkreten, verbotswürdigen politischen Ziele" und die "Verfassungsfeindlichkeit" der "Artgemeinschaft".

Der langjährige Leiter der "Artgemeinschaft", der Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger, schrieb in einer von der "Artgemeinschaft" herausgegebenen Kommentierung des "Sittengesetzes": "Rassen sind in vielen Jahrtausenden entstanden und einem bestimmten Lebensraum angepaßt; sie sind in sich harmonisch, so daß derjenige, der für Harmonie einen Blick hat, den rassereinen Menschen gleich welcher Rasse als schön empfindet. Durch Rassenmischung werden diese harmonischen Genkomplexe zerschlagen (...)."

Das Selbstverständnis der Vereinigung, sich als religiöse Gemeinschaft anzusehen, solle "die eigentliche rassistische und fremdenfeindliche Ideologie verschleiern", folgert das Bundesinnenministerium.

Mitglieder der "Artgemeinschaft" gründeten "Familienhilfswerk"

Die beiden weiteren von Thomas B. gegründeten Vereine haben enge personelle Verbindungen zu Mitgliedern der "Artgemeinschaft". So zählten zu den Gründern des Vereins "Familienhilfswerk Peeneraben" im September 2019 neben B. ausschließlich führende Mitglieder der "Artgemeinschaft" und ihre Partner. Der damalige "Artgemeinschafts"-Vorsitzende Jens Bauer wurde mit B. in den Vorstand des "Familienhilfswerks" gewählt.

Auch der Gründungsort des "Familienhilfswerks Peeneraben" war Anhängern der "Artgemeinschaft" wohlbekannt: Man traf sich in einer Gaststätte im Harz, in der die "Artgemeinschaft" bis zum Verbot regelmäßig zu großen Treffen - den "Gemeinschaftstagen" - zusammenkam.

B. hatte auch den Verein "Frühgeschichtliches Forschungszentrum - Peeneland" gegründet, in dem sich spätestens ab 2020 mehrere führende "Artgemeinschafts"-Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet sammelten. Ein früheres Mitglied sagte dem NDR, dass der Verein ursprünglich "unpolitisch" gewesen sei und in der Anfangszeit das Ziel verfolgte, ein Freilichtmuseum zu eröffnen.

Zuletzt kamen die Mitglieder des Vereins unter Leitung von Thomas B. im Frühjahr auf der Insel Usedom zusammen, darunter war auch der ehemalige "Artgemeinschafts"-Vorsitzende Jens Bauer. Über die heutige Ausrichtung des Vereins verraten die Vereinsunterlagen, die dem NDR vorliegen, jedoch nichts.

Welche Rolle spielen die Vereine?

Welche Rolle die drei Vereine von Thomas B. tatsächlich in der rechtsextremen Szene spielen, ist unklar. Anfragen vom NDR an die Vereinsfunktionäre blieben unbeantwortet. Laut der Satzung verfolgt etwa das "Familienhilfswerk" gemeinnützige Zwecke, darunter "Förderung von Kunst und Kultur", "Förderung der Jugend, Förderung von Erziehung, Volks- und Berufsbildung" und die "Förderung traditionellen Brauchtums und Religion". Öffentliche Aktivitäten der Vereine sind nicht bekannt.

Thomas B. ist den Behörden seit Jahren als Neonazi bekannt. Laut einer internen Analyse der Polizei-Einheit "Mobile Aufklärung Extremismus" (MAEX) aus dem Jahr 2008, die dem NDR vorliegt, soll B. Musiker der Rechtsrock-Gruppe "Die Liebenfels Kapelle" gewesen sein. Die Band, die auch unter dem Namen "Skalinger" auftritt, verbreitete volksverhetzende Lieder, die bis heute in der rechtsextremen Szene kursieren.

An Juden gerichtet heißt es in einem Song: "Längst kein Recht mehr überhaupt zu leben. Dieses langnasige Pack regiert die ganze Welt. Doch Stolz und Ehre stehen weit über eurem Geld. Denn ihr seid Juden und wir nicht. (…) Denn wir sind arisch und ihr nicht." Der Holocaust wird in Texten der Band geleugnet.

Verein in Bayern "mit Bezügen" zur "Artgemeinschaft"

Auch in einem Verein in Bayern, der nicht vom "Artgemeinschafts"-Verbot erfasst wurde, tummelten sich Mitglieder der Gruppe: Das 2020 gegründete "Stiftungswerk Zukunft Heimat" löste sich Anfang dieses Jahres selbst auf - vier Monate nach den Verbotsmaßnahmen gegen die "Artgemeinschaft". Die letzte Vorsitzende der "Artgemeinschaft" war dort ebenfalls Vereinsmitglied, ihr Ehemann leitete das "Stiftungswerk", zu dessen Vorstand Thomas B. aus Vorpommern ebenfalls gehörte.

Auf Anfrage äußerten sich die Funktionäre des Vereins nicht. Der Verfassungsschutz in Bayern bestätigte dem NDR, dass der zwischenzeitlich aufgelöste Verein "in der Vergangenheit mit Bezügen zur verbotenen Organisation Artgemeinschaft bekannt geworden" sei.

Wieso die Vereine im direkten Umfeld der "Artgemeinschaft" nicht ebenfalls verboten wurden, will das Bundesinnenministerium auf Anfrage nicht sagen. Wegen eines laufenden Verfahrens äußere sich das Ministerium nicht zu Aspekten des Verbots, die der gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Die "Artgemeinschaft" hat vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage gegen das Vereinsverbot erhoben. Zu den Vereinen des Thomas B. schweigt die Behörde ebenfalls. Hierzu sagt eine Sprecherin, das Ministerium äußere sich "nicht zu möglichen Vereinsverboten, auch um etwaige Maßnahmen nicht zu gefährden".

Der Verfassungsschutz im Mecklenburg-Vorpommern habe im Vorfeld des Verbotes der "Artgemeinschaft" dem Bundesinnenministerium "Erkenntnisse aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich zugearbeitet", teilt das Innenministerium in Schwerin auf NDR-Anfrage mit. Dabei sei auch über die Vereine von Thomas B. berichtet worden.