Ein Laptop-Bildschirm auf dem der Instagram Kanal von Lukreta zusehen ist.

Strategien rechter Influencerinnen Nur auf den ersten Blick harmlos 

Stand: 19.08.2024 05:53 Uhr

Frauen nehmen in der rechten Szene eine besondere Rolle ein. Recherchen des Y-Kollektivs zeigen: In den sozialen Medien verfängt ihr scheinbar oft harmloser Content. Experten warnen.

Von Nadja Bascheck und Michael Trammer, WDR

Sie präsentieren sich mit geflochtenen Zöpfen, wallenden Kleidern - oder als junge neugierige Content-Creatorinnen: Frauen, die auf Instagram und YouTube ihr Bild von Weiblichkeit einsetzen, um gleichzeitig subtil radikale Botschaften zu verbreiten.

Die Szene hat sich professionalisiert und vernetzt. Das zeigt sich auch an dem Vorhaben, eine Influencer-Agentur aufzubauen. Diese Idee wurde laut dem Medienhaus Correctiv beim Potsdam-Treffen Ende 2023 vorgestellt. Das Y-Kollektiv ist diesen Plänen nachgegangen und hat verdeckt in der Szene recherchiert.

Auf den ersten Blick ist oft schwer zu erkennen, wie extrem die Ansichten von Influencerinnen wirklich sind. Nicht jede positioniert sich offen oder nimmt eine Funktion in einer Partei oder Organisationen ein. Sie verbreiten ihre Botschaften subtil. Das beobachtet auch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg: Einige Kanäle mit extremistischen Inhalten bewegen sich vielfach an den Grenzen der Meinungsfreiheit.

Ideologie als Witz getarnt

In der Profilbeschreibung der YouTuberin Michelle Gollan, die sich "eingollan" nennt, heißt es beispielsweise: "Mit Humor gegen den Zeitgeist". In einem Interview sagt sie, sie wolle Aufklärung betreiben und spricht von einer Manipulation von Kindern durch "Frühsexualisierung".

In ihren Videos macht sie Scherzanrufe bei einer LGBTQ-freundlichen Kita oder Straßenumfragen beim Christopher Street Day. In einem anderen Video verkleidet sie sich als Weihnachtsfrau mit Rauschebart und fragt Passanten am Alexanderplatz in Berlin, ob sie ihre Selbstidentifikation als solche akzeptieren würden - eine Anspielung auf die Anerkennung der Geschlechtsidentität. Wenn die Interviewten kein Deutsch sprechen, kommentiert sie das zum Beispiel mit: "Was ein Scheiß". 

Vor allem in den Kommentarspalten finden sich bei ihr Hass gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen. So erzielt Gollan viel Reichweite. Mittlerweile hat sie über 144.000 Abos. Ihre Videos wurden insgesamt über 26 Millionen Mal aufgerufen. 

Verschleierung und Provokation als Taktik

"Humor wird strategisch eingesetzt, um zu einer Diskursverschiebung beizutragen", sagt Extremismusforscher Jakob Guhl vom Institute for Strategic Dialogue (ISD). Dies geschehe, indem die Extremität bestimmter Forderungen und Positionen verschleiert und dem Ganzen dadurch der Schrecken genommen werde, zum Beispiel über Referenzen auf Pop- und Internetkultur.

Nach der politischen Theorie der Rechtsextremen müssten zunächst die Grundannahmen der Menschen verändert werden, um die Gesellschaft verändern und die liberale Demokratie abschaffen zu können. "Unsere Forschung zeigt, dass der gesellschaftliche Konsens verschoben und rechtsextreme Weltbilder und Ideen normalisiert werden sollen, um das Fundament zu legen für eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft", so Guhl.

Nach außen zunächst harmlos

Seit Jahren propagieren rechtsextreme Vordenker Selbstverharmlosung und Provokation als Strategien. In Podcasts und Artikeln betonen sie dabei auch immer wieder die wichtige Rolle von Influencern. Die Frauengruppe "Lukreta", die pauschal Migranten als Gewalttäter stigmatisiert und vom NRW-Verfassungsschutz beobachtet wird, platziert auf Bildern ganz offen rechtsextreme Botschaften. Dort heißt es etwa "Remigration schützt Frauen". 

Jakob Guhl beobachtet, dass Influencerinnen Sorgen aufgreifen, die auch andere Frauen teilen würden. "Was weibliche rechte Influencerinnen eint, ist, dass sie eine parasoziale, also vermeintlich freundschaftliche Beziehung zum Publikum aufbauen", so Guhl. 

Helferin und Mutter als Rollen

Die Influencerinnen bedienen im digitalen Raum eine Rolle, die ihnen ähnlich auch in der realen Welt zukommt. Wie schon im historischen Nationalsozialismus gelten sie heute noch in der rechtsextremen Szene zuallererst als Helferin und Mutter. Es gehe dabei darum, die völkischen Ziele der Bewegung zu erreichen, schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung.

Die spezielle Rolle zeigt sich auch in den sozialen Medien. So schreiben etwa Politikerinnen der AfD, wie auch außerparlamentarische rechtsextreme Aktivistinnen auf Social Media zum Muttertag: "Neue Deutsche machen wir uns selbst." 

Wie groß der Anteil an Frauen in der rechtsextremen Szene ist, wird unterschiedlich geschätzt. So sind laut einem Pyramidenmodell der Forscherin Renate Bitzan weniger Frauen an Gewalttaten (fünf bis zehn Prozent) beteiligt, als in Organisationen (zehn bis 33 Prozent) aktiv. Die Frauen versuchen oft, neue Anhängerinnen zu gewinnen. Und das vor allem auch online.

Agentur sollte Szene weiter professionalisieren

Welche Rolle Influencerinnen und Influencern im Digitalen zukommt, zeigen auch die Pläne einer "Influencer-Agentur", die laut Recherchen von Correctiv beim Potsdam-Treffen Ende 2023 vorgestellt wurden. Der Sohn des Organisators, Arne Friedrich Mörig, hatte diese, gemeinsam mit dem Digitalberater Erik Ahrens präsentiert.

Ahrens behauptet, seine TikTok-Strategie sei der Grund für den Erfolg der AfD bei Jungwählern. Die Agentur sollte YouTuber und Unternehmen zusammenbringen, damit diese bei ihnen Werbung schalten und sie so finanzieren können. Ahrens finanziert bereits jetzt sieben YouTuber mit Werbung und hat mindestens zwei mit Hörbuchaufnahmen beauftragt, wie Recherchen des Y-Kollektivs zeigen.

Mit der Agentur waren auch Auftragsproduktionen und Wahlkampagnen vorgesehen, so der Plan. Gegenüber dem Y-Kollektiv sagte der Ideengeber Mörig nun, er habe sich von den Plänen einer Agentur verabschiedet. In der Aufbauphase sei aber Kontakt zu Influencern aufgenommen worden, unter anderen zu Michelle Gollan, die jedoch kein Interesse hatte. 

Doch schon jetzt zeigt sich die Professionalisierung in der Szene. Das Y-Kollektiv konnte zahlreiche einschlägige Produktionsfirmen und Content Creator identifizieren, die miteinander arbeiten. Es zeigt sich auch eine Vernetzung. Beispielsweise wirbt die YouTuberin Michelle Gollan für das "Freilich" Magazin. Dort publizieren immer wieder bekannte Rechtsextremisten wie Martin Sellner. Außerdem finden sich bei Gollan Kontakte in die rechtsextreme Szene.

Ein Ziel: Wahlentscheidung beeinflussen

Die Influencerinnen nehmen gerade vor Wahlen also eine besondere Rolle ein. Durch die Beziehungen zu den Zuschauern und die suggerierte Vertrautheit können sie Einfluss auf die Wahlentscheidung nehmen. Vor allem durch ihre Beiträge, die einem Faktencheck oft nicht standhalten. Gerade auch mit Content, der auf den ersten Blick harmlos und witzig erscheint.

Die ganze Recherche des Y-Kollektivs ist im Film "Jung, viral, rechtsradikal?" in der ARD-Mediathek zu sehen.