Ein Landwirt pflügt ein abgeerntetes Feld und bereitet es für die Neubestellung vor.
Kommentar

Pläne der EU-Agrarminister Der Krieg als Vorwand für Rückschritte

Stand: 23.03.2022 20:27 Uhr

Durch den Ukraine-Krieg fällt einer der größten Exporteure landwirtschaftlicher Güter weg. Weniger Fleisch und ein Umdenken im Anbau wäre deshalb jetzt wichtig, meint Holger Beckmann. Doch die EU-Agrarminister verharren in alten Mustern.

In der Ukraine ist Krieg, Menschen sterben, Gebäude, Straßen, Häfen werden zerstört, die Saat für die fruchtbaren Schwarzerdeböden des Landes kann zu einem Großteil nicht ausgebracht werden - massive Ernteverluste werden die Folge sein. Und hier machen wir weiter wie bisher, als sei nichts passiert?

Die Ukraine gehört zu den ganz großen Exporteuren landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf diesem Globus. Weizen wird fehlen und Soja vor allem. Das Welternährungsprogramm sieht schon drohenden Hunger. In der Ukraine selbst, aber möglicherweise auch in Nordafrika. Da, wo bisher nämlich der meiste ukrainische Weizen landet. In Europa nicht - hier meint man, genug zu haben.  

Nahrungsmittel statt Tierfutter

Doch das stimmt nicht ganz. Um nämlich die massenhafte Fleischproduktion in der EU aufrechterhalten zu können, braucht man durchaus Einfuhren aus der Ukraine. Mit denen man jetzt nicht mehr rechnen kann. Das wäre für die EU-Kommission eigentlich eine gute Gelegenheit, der Bevölkerung zu erklären, dass Fleisch demnächst wohl deutlich teurer wird und knapper.

Also: dass man den Gürtel etwas enger schnallen und umsteuern muss in der Landwirtschaft - und auf einigen Flächen lieber Nahrungsmittel für Menschen anbaut als Tierfutter. Ja, dann käme vielleicht das eine oder andere Steak weniger auf den Grill. Aber: Dann wäre tatsächlich genug für alle da, auch dann, wenn in Europas Nachbarschaft Hungersnöte ausbrechen sollten.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Doch die Kommission macht genau das Gegenteil. Sie erliegt dem Druck der konventionellen Agrarlobby und sagt: Hier kann alles bleiben wie es ist. Dafür sind ihr auch die bisher für den Artenschutz reservierten Brachflächen nicht zu schade. Sie will sie aufgeben, um da jetzt wieder ohne Rücksicht auf Verluste Landwirtschaft zu betreiben und die Lücken zu stopfen. Vor allem also: um Futter für die Massentierhaltung zu produzieren.

Am besten womöglich noch unter Einsatz aller verfügbaren Mittel - Herbizide, Pestizide, Dünger - es ist ja schließlich Krieg. EU-Agrarkommissar Janusz Wojcziekowski sagt, man müsse schließlich auch die Flüchtlinge aus der Ukraine ernähren. Ja, muss man. Aber: Das würde auch anders gehen. Etwa, indem nicht mehr über zwei Drittel der Ackerbaupflanzen direkt in den Futtertrögen der Ställe für die Massentierhaltung landen würden. Doch genau so soll es bleiben.

Als gäbe es kein Klima-Problem

Nachhaltigkeit? Nicht so wichtig im Moment. Artenschutz und Biodiversität? Wer braucht jetzt so was? Europäischer Green Deal? War gestern, und da soll er am besten auch bleiben.

Bitter, aber wahr: Hier wird der Krieg als Vorwand genutzt, um das Rad zurückzudrehen. Um jeden Preis und in eine Zeit, als Klima- und Umweltschutz in der Landwirtschaft noch unbekannte Größen waren. Der Preis wird hoch sein - auch wenn man es jetzt noch nicht merken will.

Holger Beckmann, Holger Beckmann, ARD Brüssel, 23.03.2022 18:33 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. März 2022 um 16:00 Uhr.