Michel Barnier, Nathalie Delattre und Didier Migaud in Paris

Misstrauensvotum im Parlament Frankreichs Regierung nach drei Monaten gescheitert

Stand: 04.12.2024 22:30 Uhr

Ein Misstrauensvotum hat das Ende von Frankreichs Mitte-Rechts-Regierung besiegelt - nach nur drei Monaten. Die Opposition stürzte Premier Barnier im Streit über einen Sparhaushalt.

Es ist das Ende der Regierung Barnier: Der Regierungschef wurde gestürzt. Für Frankreich ist es ein historischer Tag. Zum ersten Mal seit mehr als 60 Jahren war ein Misstrauensvotum gegen einen Regierungschef in der französischen Nationalversammlung erfolgreich. Dass es für Barnier so kommen könnte, hatte sich schon vor drei Monaten abgezeichnet - als er nach den Parlamentsneuwahlen im Sommer anfing.

Barnier fehlte in der Nationalversammlung die eigene Mehrheit. Deshalb wohl versuchte er die Abgeordneten in der Debatte vor der Abstimmung zum Misstrauensvotum daran zu erinnern, worum es ihm gegangen sei in den vergangenen Monaten: um Frankreichs finanzielle Stabilität - denn jährlich müsse der Staat mittlerweile allein 60 Milliarden Euro Zinsen bezahlen.

Eingekeilt zwischen politischen Blöcken

Diese Zinsen müssten alle Französinnen und Franzosen zahlen, so Barnier. Es seien 60 Milliarden, die beispielsweise bei der Verteidigung fehlten - und die ohne Zweifel eine Last für die Zukunft seien, wenn man nichts tue. Das sei die Realität, betonte er, auch wenn man sie nicht wahrhaben wolle - und diese Realität verschwinde auch nicht durch ein Misstrauensvotum.

In seiner Regierung war Barnier quasi eingekeilt zwischen dem rechtsextremen Rassemblement National mit Marine Le Pen auf der einen Seite, und dem linken Block, der sogenannten Neuen Volksfront aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und EU-Kritikern, auf der anderen Seite. Um seine politischen Vorhaben als Gesetze durchs Parlament zu bringen, brauchte Barnier also entweder von ganz rechts oder links Stimmen.

Holger Beckmann, ARD Paris, zur Abwahl der französischen Regierung

tagesschau24, 04.12.2024 21:30 Uhr

Gescheitert am Sparhaushalt

Barnier scheiterte letztlich bei seinem wichtigsten Projekt: einem Sparhaushalt für das kommende Jahr, um Frankreichs immer größer werdenden Schuldenberg zumindest langfristig abzubauen. Und das, obwohl er versuchte, Marine Le Pen und ihrem Rassemblement Zugeständnisse zu machen.

Es reichte ihr nicht - stattdessen stellte sie, begleitet von lautstarkem Protest der Regierungsparteien, die Frage, wo eigentlich das Geld bleibe, das der Staat ausgibt. Sie sprach von einem Paradox: Die Staatsschulden stiegen, obwohl es immer weniger soziale Absicherung gebe, immer weniger für arme Menschen, für die Rente.

Rücktritt Macrons würde Le Pen in die Hände spielen

Le Pen selbst steht derzeit wegen der Veruntreuung von EU-Geldern in Höhe von mehreren Millionen Euro vor Gericht und könnte bei einer Verurteilung ihr passives Wahlrecht verlieren oder eine Freiheitsstrafe bekommen. Seit Jahren arbeitet sie daran, eines Tages Frankreichs Präsidentin zu werden. Das wäre dann nicht mehr möglich - es sei denn, ihr würde es vor Ende des Prozesses gelingen.

Ein vorzeitiger Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron würde Le Pen in die Hände spielen. Macron selbst hat allerdings trotz der verfahrenen politischen Situation keinen Zweifel daran gelassen, dass er bis zum Ende seiner Amtszeit 2027 weitermachen will. Dabei ist die Wut auf den Präsidenten groß, denn kein anderer als Macron habe dieses Chaos herbei geführt - so sieht es der Rassemblement Nationale, so sieht man es auch im linken Block.

Sozialisten stimmen mit extremen Rechten

Boris Vallaud von den Sozialisten wirft Macron vor, eine Regierung installiert zu haben, die der extremen Rechten ständig Zugeständnisse habe machen müssen. Damit sei jetzt Schluss: "Dieses Misstrauensvotum wird dazu dienen, einen Dialog mit allen republikanischen Kräften für Frankreich wieder neu zu beginnen, mit einem gerechten Haushalt. Ein Weg, um endlich ohne die extreme Rechte zu regieren - mit einer stabilen Regierung für Frankreich", so Vallaud.

Trotzdem stimmten die Sozialisten selbst zusammen mit der extremen Rechten für das Misstrauensvotum. Das wird in Frankreich zumindest aufmerksam registriert. Wie es jetzt weiter geht, ist noch unklar. Fest steht, dass Präsident Macron einen neuen Regierungschef ernennen muss.

"An der Politik wird sich nicht viel ändern"

Ob er sich dafür Zeit lässt oder nicht, eines bleibt unverändert: Die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung. Der Staatsrechtler Paul Cassia von der Pariser Universität Sorbonne bringt es auf den Punkt: "Man wird die gleiche Situation im Parlament haben wie vorher auch - mit einem anderen Kopf im Zentrum. An der Politik wird das nicht viel ändern."

Namen für einen anderen Kopf kursieren bereits - darunter zum Beispiel der des früheren Premiers Bernard Cazeneuve oder des früheren Präsidenten Francois Hollande. Nicht völlig auszuschließen ist allerdings auch, dass Michel Barnier noch einmal zum Zuge kommt. Für Macron dürfte es in jedem Fall keine leichte Entscheidung werden. Man hört, dass er sie schnell treffen will.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 04. Dezember 2024 um 22:15 Uhr.