Nach EU-Asylkompromiss Grünes Dilemma, grüne Verantwortung
Europas Asylkompromiss ist für viele Grüne schwer zu ertragen. Aber keine Einigung wäre noch schlimmer. Außenministerin Baerbock hat das verstanden.
20.000 Euro - so viel kostet es künftig in der EU, unsolidarisch und unmenschlich sein zu dürfen. 20.000 Euro soll ein Land pro Flüchtenden zahlen können, um ihn eben nicht aufnehmen zu müssen. Sich freikaufen zu können von dem Solidargedanken einer angeblichen Wertegemeinschaft ist bald also Solidarität à la EU.
Das ist die Schande - nicht die einzige, zur der die Ampelregierung jetzt Ja gesagt hat. Und übrigens Ja sagen musste, weil ein Scheitern eines gemeinsamen Asylsystems die noch viel größere Schande für uns Europäer gewesen wäre.
Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin, ist da viel realistischer als vermutlich die meisten grünen Mitglieder an der Parteibasis. Deutschland hatte in diesem immer weiter nach rechts rückenden Europa am Ende noch Luxemburg und Portugal an seiner Seite. Mächtig anständig zu sein hat aber nichts mit Macht zu tun.
Für die Grünen ist das bitter
Die Zustimmung Deutschlands zu diesem jämmerlichen Kompromiss ist immer noch besser als weiterhin nichts zu haben, als ein pöbelnder ungarischer Autokrat Viktor Orban, der sich als Schutzpatron des europäischen Abendlandes inszeniert und gegen Migranten und Flüchtende hetzt. Immer noch besser als ein Ende von Schengen und der Anfang neuer Grenzzäune und Schlagbäume in der EU.
Baerbock hat das verstanden. Für die Grünen ist das bitter, aber zugleich auch eine klitzekleine Erinnerung daran, was es heißt, Macht zu haben. Willkommen in der Regierungsverantwortung. Baerbock übrigens nimmt diese Verantwortung auf sich, Robert Habeck auch. Sie halten jetzt den Kopf für etwas hin, das für die Grünen eigentlich unzumutbar ist: die Verleugnung ihrer Partei-DNA, die Verzwergung grüner Asylpolitik.
Verwirrende Meinungsvielfalt
Die Partei ist buchstäblich von der Basis bis zur Spitze zerrissen. Die Doppelspitzen von Fraktion und Partei sagen gleichzeitig Ja und Nein zum Kompromiss. Diese verwirrende Meinungsvielfalt der Regierungspartei Grüne nennt die Fraktions-Co-Vorsitzende Katharina Dröge etwas hilflos "Politik der Ehrlichkeit".
Ehrlicher wäre es gewesen, wie Baerbock zu sagen: Regierungsverantwortung zu tragen bedeutet, sich einem solchen Dilemma zu stellen. Und dann auch die Bilder zu ertragen. Familien, kleine Kinder hinter Stacheldraht, in Lagern eingesperrt - auch im Namen der Ampelregierung.
Und obendrein eben keinen verbindlichen Verteilmechanismus von Geflüchteten auf die EU-Staaten zu haben, sonder stattdessen Freikaufprämien. Selbst die waren übrigens für Polen und Ungarn offenbar unzumutbar.
Die Zumutung erklären
Das alles ist für sich genommen beschämend. Aber noch viel schlimmer wäre eben gar kein Kompromiss gewesen. Das jetzt einer grünen Basis zu erklären, deren Seele nach dem Schleifen grüner Grundüberzeugungen etwa beim Thema Atomkraft oder bei Waffenlieferungen ohnehin wundgescheuert war, ist vielleicht die größte Herausforderung bisher für die grüne Außenministerin und den grünen Vizekanzler.
Habeck, der die Kommunikation beim Heizungsgesetz grandios verbockt hat, muss jetzt den eigenen Laden überzeugen, warum es sich weiter lohnt, in einer Ampelregierung Verantwortung zu tragen. Einst sagte er, Veränderung bedeute eben auch Zumutung. Jetzt muss er die Zumutung namens Asylkompromiss seinen Leuten erklären. Bundeskanzler Scholz sollte ihm dabei viel Glück wünschen.
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