Präsidentenwahl in der Türkei Vergebliche Mühen der Opposition
Das Kopf-an-Kopf-Rennen in der Türkei zeigt: Mit einem Präsidenten Erdogan muss weiterhin gerechnet werden - trotz Wirtschaftskrise, Korruption und Behördenversagen im Erdbebengebiet. Das liegt auch an einem unfairen Wahlkampf.
Wer geglaubt hat, 20 Jahre AKP und Recep Tayyip Erdogan seien den Menschen in der Türkei genug, sieht sich getäuscht. Ein zunehmend autokratischer Regierungsstil, Inflation, niedrige Löhne, Korruptionsvorwürfe, teils späte staatliche Hilfe nach dem Erdbeben, vermutlich mehr eingestürzte Gebäude wegen Pfusch am Bau - von Erdogan toleriert: All das hat nicht gereicht, ihn aus dem Amt zu heben.
Ebenso reichte die geradezu perfekte Startrampe für die Opposition nicht. Sechs Parteien aus fast dem gesamten politischen Spektrum hatten sich auf einen Kandidaten geeinigt, ein gemeinsames Wahlprogramm erarbeitet - getragen von der geteilten Sehnsucht, zu einem parlamentarischen System zurückzukehren. Umso erstaunlicher ist es, dass es für Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu wohl nicht reicht, die Wahl im ersten Wahlgang mit einer absoluten Mehrheit für sich zu entscheiden. Zumal er auch bei vielen Kurdinnen und Kurden als konsensfähig gilt. Anhänger der grünen Linkspartei und eben auch der prokurdischen HDP dürften also mehrheitlich für Kilicdaroglu gestimmt haben.
Erdogan schürt Ängste und Ressentiments
Möglicherweise liegt genau hier die Hauptursache für den knappen Ausgang der ersten Runde der Präsidentschaftswahl. Erdogan hat nichts unversucht gelassen, wechselwillige Wähler auf den rechten - seinen - Pfad zurückzuführen. Er hat mit öffentlich ausgestrahlten fragwürdigen Montagevideos Kilicdaroglu in die Nähe der PKK gerückt. Seine vermeintliche Logik ist einfach: Wer sich nicht kategorisch von der HDP abgrenzt, steht ihr nahe. Wer der HDP nahesteht, steht der PKK nahe. Wer der PKK nahesteht, ist eigentlich selber Terrorist.
Obendrein ist Kilicdaroglu ein buchstäblicher Fehltritt unterlaufen. Erkennbar versehentlich ist er mit Schuhen auf einen Gebetsteppich getreten. Erdogan hat das genüsslich breitgetreten: Ein Alevit wie Kilicdaroglu kenne sich halt nicht aus. Da half auch dessen Flucht nach vorn nicht, sich in einem Video zum Alevitentum zu bekennen. Die zig Millionen Klicks des Videos sind zwar ein beachtlicher Social-Media-Erfolg. Für einen Wahlsieg gegen Erdogan aber hat es nicht gereicht.
Unfairer Wahlkampf
Und auch der Rückzug des Kandidaten Muharrem Ince half Kilicdaroglu nicht genug. Es war spekuliert worden, dass er dadurch doch genug Stimmen schon im ersten Durchgang bekommen könnte. Bleibt noch festzuhalten, dass der Wahlkampf unfair war. Wenn 90 Prozent der großen - vor allem elektronischen Medien - Erdogan-treu sind, ist es schwer, dagegenzuhalten. Immerhin: Kilicdaroglu zwingt den mächtigen Mann vom Bosporus in eine zweite Runde. Zu mehr haben die vielen Mühen der vereinten Opposition vorerst nicht gereicht.
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