Johnsons Rückzug Er kam immer durch
Blenden, wegreden und durchmogeln - die Methode Johnson hat sich totgelaufen. Doch ihr Scheitern darf nicht nur auf ihn selbst reduziert werden. Daraus müssen die Tories Lehren ziehen.
Boris Johnson ist sich auch im vorerst letzten Akt seiner Karriere treu geblieben. Über Tage gingen ihm Minister, Staatssekretäre und Berater dutzendweise von der Stange, ohne dass Johnson irgendeine persönliche Verantwortung zugeben mochte. Eine gefühlte Ewigkeit dauerte es, bis sich Johnson in das längst Unvermeidliche fügte und seinen Widerstand gegen einen Rückzug erst vom Parteivorsitz und nachfolgend vom Amt des Premierministers aufgab - ein für Großbritannien beispielloses Spektakel.
Immer greller, immer lauter und stets nur an den eigenen Interessen orientiert, so hatte es Johnson schon als Journalist gehalten und hatte auch als Bürgermeister Londons, als Abgeordneter, Außenminister und schließlich Parteichef und Premierminister damit Erfolg.
Auch das gehört ja zur Wahrheit: Seine Partei, die Tories, und die britischen Wähler wussten, wen sie da - immer wieder - wählten. Dass Johnson gerne die Fakten verdrehte, wenn es ihm persönlich nutzte, dass es ihm an Ernsthaftigkeit, Tiefgang und Demut mangelt, diesen Ruf hatte er sich schon vor vielen Jahren erarbeitet. Da das seinen Aufstieg in der Politik nicht behinderte, bestand für Johnson auch kein Grund, etwas daran zu ändern. Er kam ja immer durch, irgendwie. Und selbst seine Rücktrittsrede zeugte vor allem von einem: dem völligen Mangel an Selbstkritik und Einsicht.
Hoher Preis für Johnsons Show
Der Preis, den Großbritannien dafür gezahlt hat, ist gewaltig. Der bis heute chaotische Brexit, für den Johnson sich angeblich auch aus rein opportunistischen Erwägungen entschieden haben soll, hat das Land zutiefst gespalten, Großbritanniens Wirtschaft, seinen Unternehmen und den Arbeitnehmern immens geschadet und wird dies noch auf Jahre hinaus tun. In der Bekämpfung der Corona-Pandemie irrlichterte Johnson lange und nahm an feucht-fröhlichen Partys teil, während der Rest des Landes im Lockdown saß und sich nicht einmal von sterbenden Freunden und Verwandten verabschieden konnte. Der Vertrauensverlust, den Johnson damit der britischen Politik zugefügt hat, dürfte noch lange nachwirken.
In seiner Gleichgültigkeit gegenüber den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Politik war Johnson kein klassischer "Tory". Vielmehr arbeitete er als Populist daran, klassische Institutionen des Landes und notwendige Bedingungen für eine funktionierende Demokratie da zu schleifen, wo sie ihm im Weg sein konnten: das Parlament, die Justiz, das Versammlungsrecht, die Medien.
Was bleibt - und nicht bleibt
Am Ende hatte sich seine Methode, Verfehlungen erst zu leugnen, um sie dann auf Erinnerungslücken zu schieben und schließlich nach einer dürren Entschuldigung kleinzureden, totgelaufen. Die Affäre um den von ihm trotz Belästigungsvorwürfen beförderten Abgeordneten Chris Pincher nimmt sich in der Reihe der Skandale Johnsons fast nachrangig aus. Dass Johnsons Masche nicht mehr funktioniert, spricht einerseits für die Widerstandsfähigkeit der britischen Demokratie. Die Ära Johnson zeigt aber auch, wie zerbrechlich und gefährdet sie ist.
Die Tory-Partei muss nun entscheiden, welche Lehren sie aus Johnsons Aufstieg und Absturz zieht. Wird sie sich weiter dem Populismus verschreiben oder wird sie zu einer Partei werden, die die gravierenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen Großbritanniens mit mehr als Fantasierezepten angeht und versucht, den Bürgern des Landes endlich wieder mit dem gebotenen Respekt und der notwendigen Ernsthaftigkeit zu begegnen? Diese Prüfung beginnt sofort - schon mit der Entscheidung, wie lange Johnson während der Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden Premierminister bleiben darf.