Die beschädigte Glasscheibe eines Kebab-Lokals in Middlesbrough
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Rechtsextreme Krawalle in England Der Politik entglitten

Stand: 06.08.2024 12:37 Uhr

Die Ausschreitungen in Großbritannien sind keine Überraschung. Die konservative Vorgängerregierung hat auch mit ihrer Sprache den Weg für derartige Ausbrüche bereitet.

Erst vor einem Monat haben die Briten mit historischer Mehrheit eine Mitte-Links-Regierung gewählt. Nun legen rechtsextreme Mobs in England und Nordirland ganze Straßenzüge in Schutt und Asche. 

Tatsächlich ist das Land nie wirklich nach links gerutscht. Vielmehr waren Keir Starmer und seine Labour-Partei Mittel zum Zweck: um die Tories nach vierzehn Jahren aus dem Amt zu wählen. Denn weite Teile dieses Landes sind unzufrieden.  

Diese Proteste sind kein Abweichen vom Wahlergebnis. Sie passen in diesen Sommer der Unzufriedenheit. 

Kinder und Teenager randalieren mit

Die "Fairness Foundation", eine NGO, die sich für mehr Gerechtigkeit einsetzt, hat die neue Regierung vor genau dem gewarnt, was sich jetzt abspielt: Dass es eine noch nie da gewesene Unterstützung für Rechtsextreme geben könne - weil die Schere zwischen Nord- und Südengland immer größer werde, zwischen Arm und Reich.

Diese Ungleichheit sei ein Nährboden für Rechtsextreme, die Hoffnungslosigkeit instrumentalisieren und soziale Unruhen provozieren wollten, warnte die NGO. Gerade im Norden findet nun ein Großteil der Proteste und rechtsextremen Ausschreitungen statt.

Und tatsächlich sind nicht nur Rechtsextreme auf den Straßen. Kinder werfen Fensterscheiben ein. Teenager zünden Autos an. Familien marschieren zu rassistischen und islamophoben Parolen. Das Leben sei so teuer geworden, sagen sie, wegen der Migranten. Die Rechtsextremen reißen sie mit. 

Die konservative Vorgängerregierung hat auch mit ihrer Sprache den Weg für solche Gewalt bereitet. Der Kulturkrieg und der Populismus haben auf Wählerstimmen abgezielt, aber im Ergebnis rassistische und islamophobe Aussagen salonfähig gemacht.

Sei es Ex-Premier Theresa Mays Werbetafeln - an Asylbewerber gerichtet -, auf denen "Geht nach Hause" stand, Ex-Premier Boris Johnsons Vergleich von Frauen in Burkas mit Bankräubern oder Ex-Innenministerinnen, die ständig von Orkanen und Invasionen von Geflüchteten sprachen statt vom Recht auf Asyl.

Schutzsuchende immer wieder entmenschlicht

Immer wieder sind Schutzsuchende in den letzten Jahren entmenschlicht worden. Kein Wunder, dass die Hemmschwelle bei manchen sinkt, Flüchtlingsunterkünfte anzuzünden. 

Zu lange hat die Vorgängerregierung die Augen vor der Realität der sozialen Netzwerke verschlossen. Seit Jahren erstarken dort die Rechtsextremen.

Nun hat Großbritannien es nicht mehr mit einer Hand voll Gruppen zu tun, die verboten werden könnten, sondern mit dezentralen Netzwerken, in denen sich von Neonazis über rechtsextreme Influencer, Fußball-Hooligans und anonyme Accounts ein Amalgam von hasserfüllten Gewaltbereiten tummelt.

Diese Netzwerke sind der Politik entglitten. Falschinformationen werden schneller geteilt, rechtsextreme Ausschreitungen schneller organisiert, als das Innenministerium die Computer hochfahren kann. 

Diese Ausschreitungen sind keine Überraschung. Sie sind das Erbe von Nachlässigkeit, Kulturkampf, unsozialer Politik. Wenn sie nicht jetzt ausgebrochen wären, dann ein anderes Mal.

Die rechtsextremen Schläger von der Straße fernzuhalten und hinter Gitter zu bringen, wird nun eine Herausforderung für Labour. Den zerstörten Zusammenhalt, die Unzufriedenheit anzugehen, wohl die größere.

Franziska Hoppen, ARD London, tagesschau, 06.08.2024 11:41 Uhr
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