Ein Beamter der Bundespolizei stoppt bei der Kontrolle des Einreiseverkehrs am deutsch-tschechischen Grenzübergang den Fahrer eines Autos bei der Einreise.
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EGMR-Urteil zu Abschiebung von Syrer Klare Grenzen für deutsche Politiker

Stand: 15.10.2024 18:19 Uhr

Durch das EGMR-Urteil werden schnelle Zurückweisungen an der Grenze nahezu unmöglich. Deutsche Politiker können ihre Zurückweisungsfantasien daher eigentlich begraben.

Ein Kommentar von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Kaum ein Tag vergeht ohne eine aktuelle Nachricht in Sachen Asyl in Europa. Da fällt es immer schwerer, diese ganzen Informationen zusammenzudenken. Doch zwei solcher Nachrichten machen hellhörig und gehören unbedingt zusammen: Gerade hat die neue polnische Regierung angekündigt, das individuelle Asylrecht in Polen zeitweise aussetzen zu wollen, ganz egal was die europäischen Partner dazu sagen.

Und hinzu kommt nun ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der hat Deutschland verurteilt, weil es einen Syrer ohne Prüfung der Umstände einfach wieder nach Griechenland abgeschoben hat. Hintergrund ist ein Deal des ehemaligen Innenministers Horst Seehofer von 2018, der schnelle Abschiebungen innerhalb von 48 Stunden nach Griechenland möglich machen sollte.

Verstoß gegen das Dublin-System

Die Klage gegen eine solche schnelle Abschiebung war jetzt erfolgreich, weil Deutschland nicht garantieren konnte, dass Griechenland rechtsstaatlich saubere Asylverfahren durchführt. Und weil die Bedingungen in griechischen Abschiebungshaft-Zellen seit Jahren unmenschlich und erniedrigend sind.

Der EGMR setzt auch den aktuellen Zurückweisungsfantasien deutscher Politiker klare Grenzen. Solche Zurückweisungen verstoßen in der Regel klar gegen das Dublin-System. Und jetzt kommt hinzu: Nach dem heutigen Urteil sind Zurückweisungen nur denkbar, wenn es Abkommen mit anderen Staaten gibt und die auf jeden Fall ein menschenrechtsgemäßes Asylverfahren garantieren können. Es braucht also mehr Zusammenarbeit, um Zurückweisungen rechtlich denkbar zu machen.

Alleingang in Sachen Asyl

Womit wir wieder zu Polen kommen, das das Asylrecht aussetzen will. Auch in den Niederlanden hat die rechtspopulistische Regierung angekündigt, sich nicht mehr an das geltende EU-Asylrecht halten zu wollen. Das scheint ein Trend zu sein: Viele Rechtsaußenpolitiker setzen derzeit auf einen Alleingang in Sachen Asyl.

Deutsche Politiker können ihre Zurückweisungsfantasien daher eigentlich begraben. Denn wie will eine deutsche Regierung die vom EGMR geforderten Mindeststandards bei Asylverfahren im EU-Ausland garantieren, wenn niemand sich mehr an diese Standards hält, von den Polen über die Niederländer bis zu den Griechen?

Eine solidarische Verteilung von Geflüchteten ist nötig

Doch die deutsche Politik ist an dieser Lage selbst schuld. Seit Deutschland Wortlaut und Geist des Schengen-Abkommens verletzt und Grenzkontrollen durchführt, ist der europäische Gedanke in Sachen Asyl in großer Gefahr. Das ist Wasser auf die Mühlen der europäischen Rechtspopulisten, die von einem Europa der Vaterländer träumen, das nationalistisch-egoistisch die eigenen Grenzen kontrolliert.

Das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs erinnert daran, dass die Idee von Europa eigentlich auf einem anderen Boden steht. In Sachen Asyl hieße das: endlich eine solidarische Verteilung von Geflüchteten auf alle Länder Europas.

Und das offensive Bekenntnis dazu, dass Menschen, die Schutz suchen, ein Recht darauf haben, diesen Schutz in Europa zu finden. Er ist ihr Menschenrecht, ein Menschenrecht, das zum Fundament Europas gehört. Eines Europas, das eigentlich dazu da ist, den kleingeistigen Nationalismus und die Menschenfeindlichkeit zu überwinden.

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