Teilimmunität für Trump Ein verstörendes Urteil
Nach dem Urteil des Obersten Gerichts kann sich Ex-Präsident Donald Trump recht sicher sein: Es gibt für sein Handeln kaum noch ein Limit. Und mit der Entscheidung stellt das Gericht das Gemeinwohl hintenan.
Es ist schwierig, an einem Tag wie diesem die eigene Phantasie im Zaum zu halten und sich nicht in einen Strudel trüber Gedanken ziehen zu lassen. Denn da taucht das Bild einer USA auf, die von einem größenwahnsinnigen Diktator mit einer Clique aus devoten Höflingen regiert werden, der Wahlen manipuliert, der sich für Gefälligkeiten bestechen lässt oder der sich seiner politischen Gegner irgendwie "entledigt" - ohne Sorge zu haben, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Aber, sagt der Verstand, diese Vorstellung ist abwegig. Die USA sind immer noch eine Demokratie. Wer hier regiert, entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Und, nein, der US-Präsident ist nicht allmächtig.
Trotzdem: das Urteil des US-Supreme Courts ist in vieler Hinsicht verstörend.
Zum einen, weil es in den Ausgang der Wahl eingreift. Donald Trump wird vor November nicht mehr vor Gericht stehen. Denn die Ankläger und Richter müssen im Licht des Urteils nun entscheiden: Was hat Donald Trump offiziell als Präsident getan? Und was nicht? Was dann von den Anklagen übrigbleibt, könnte erneut angefochten werden und wieder vor dem Obersten Gerichtshof landen - eine unendliche Geschichte. Inzwischen könnte Trump wieder gewählt sein und anordnen, dass die Verfahren eingestellt werden. Das allein zeigt, wie in den USA nicht sauber zwischen Justiz und Politik getrennt werden kann.
Kein Limit mehr für Trump
Und dann wird das Urteil das Selbstverständnis und die Macht künftiger US-Präsidenten dramatisch verändern. Bislang konnten sie nur vermuten, dass sie auch in ihren umstrittenen Entscheidungen vor Strafverfolgung geschützt sind. Nun haben sie es schriftlich. Schon jetzt hat Trump genüsslich und triumphierend die Grenzen des Denkbaren gedehnt und überschritten. Nun kann er sich darin bestätigt fühlen, dass es für ihn kein Limit gibt.
Und schließlich sagt das Urteil viel darüber, wie sich die Gerichtshof selbst versteht. Er will das Erbe früherer liberalerer Richter ausradieren. Er will die Bundesregierung entmachten und die Bundesstaaten stärken. Er stellt individuelle Rechte über Solidarität und Gemeinwohl. Und er stellt das Recht der Mehrheit über den Schutz von Minderheiten. Dieser Gerichtshof will Geschichte schreiben. Und das ist ihm gerade wieder gelungen.