Eine Frau besichtigt das Holocaust-Mahnmal in Berlin.

20 Jahre Holocaust-Mahnmal in Berlin Dem Gedenken eine Form geben

Stand: 27.03.2025 06:56 Uhr

2.700 Stelen, die ein wellenförmiges Feld bilden: Vor 20 Jahren wurde das Holocaust-Mahnmal in Berlin eröffnet - nach langem Streit über die Frage, wie ein derart geschichtsträchtiges Bauwerk aussehen soll.

Von Tomas Fitzel, RBB

Mehr als zehn Jahre lang wurde gestritten, debattiert und argumentiert, wurden künstlerische Wettbewerbe ausgerichtet und Symposien abgehalten. Die Frage lautete: Soll in Berlin ein Denkmal ausschließlich für die ermordeten Juden Europas oder für alle Opfer des Nationalsozialismus errichtet werden? Und wenn ja, wie könnte dies überhaupt aussehen?

Der Dokumentationsband zur Debatte umfasst allein mehr als 1.200 Seiten. Diese Debatte hat in einer selten gelungenen demokratischen Form zur Selbstaufklärung der Gesellschaft beigetragen und sie damit auch klüger gemacht. Jedes Denkmal besitzt drei Zeitebenen: die konkrete historische Zeit, auf die es sich bezieht, die Zeit, in der es entsteht, und die darauffolgende Zeit, die damit umgeht - und das womöglich anders, als ursprünglich gedacht war. Die Debatte an sich war dabei schon ein wichtiger Teil des Denkmals.

An dem Bauzaun des Geländes, das für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin reserviert wurde, hängen Fotos verfolgter Juden mit der Schrift "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". (Archivbild: 25.06.1999)

An dem Bauzaun des Geländes, das für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin reserviert worden war, hängen Fotos verfolgter Juden mit der Schrift "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". (Archivbild: 25.06.1999)

Der erste Wettbewerb

Der entscheidende Anstoß kam von der streitbaren Fernsehjournalistin Lea Rosh, die seit Ende der achtziger Jahre beharrlich ein zentrales Denkmal für die ermordeten Juden Europas eingefordert hatte und dabei über viele Jahre nicht lockerließ, trotz der Polemiken auch gegen ihre Person. Zwei Tage vor dem Fall der Berliner Mauer gründete sie den Förderkreis für das Denkmal, und dies war der große Glücksfall. Denn mit der großen Brache zwischen dem Brandenburger Tor und dem Potsdamer Platz hatte man einen sowohl geschichtsträchtigen wie auch für die Aufgabe geeigneten Ort gewonnen.

Wobei gerade anfangs das Vorhaben an zu großen Erwartungen litt. Es sollte "die Hinwendung in Trauer, Erschütterung und Achtung symbiotisch verbinden mit der Besinnung in Scham und Schuld". So hieß es in der Auslobung für den ersten künstlerischen Wettbewerb 1994. Über 500 Entwürfe aus der ganzen Welt wurden eingereicht.

Anfangs auch provokante Entwürfe eingereicht

"Der erste Wettbewerb blieb voller Widersprüche, weil das sehr große Areal die Künstler dazu angeregt hatte, selbst riesige Werke zu erfinden, die dann als solche schon so erdrückend waren, dass man sie eigentlich gar nicht mehr wirklich hätte wahrnehmen können", so die Kunsthistorikerin Gabi Dolff-Bonekämper im Gespräch mit dem RBB. Mehr als 20.000 Quadratmeter umfasst das Gelände.

Einige provokante und dadurch interessante Entwürfe missachteten die Vorgaben. So wurde vorgeschlagen, als "Sühneleistung" das Brandenburger Tor zu zermahlen oder auf einem Teilstück der Autobahn die Betondecke zu entfernen und die Autofahrer über Schotter fahren zu lassen. Ein Entwurf sah auf dem Gelände einen 50 Meter tiefen Abgrund vor, ein anderer und vieldiskutierter eine Bushaltestelle, an der die Besucher zu den Gedenkstätten reisen könnten.

Auch der heutige Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden, Uwe Neumärker, teilte damals einige dieser Zweifel: "Ich habe zu dem Zeitpunkt immer auch gedacht: Solange die historischen Gedenkstätten nicht genügend Geld haben, müsse man schon genau nachdenken, ob man im Herzen Berlins wirklich einen symbolischen Ort errichten wolle."

Peter Eisenman (r) und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse stehen in Berlin neben der letzten gesetzten Betonstele am Holocaust-Mahnmal. (Archivfoto: 15.12.2004)

Peter Eisenman (r) und der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse stehen am 15.12.2004 in Berlin neben der letzten gesetzten Betonstele am Holocaust-Mahnmal.

Das rätselhafte Stelenfeld

Am Ende entschied man sich für den Entwurf des amerikanischen Bildhauers Richard Serra und des Architekten Peter Eisenman, der für die Durchführung verantwortlich war. Ein wogendes Feld aus 2.700 grauen Betonquadern auf einem regelmäßigen Raster, aber einem unregelmäßig gewellten Untergrund. Gabi Dolff-Bonekämper besucht immer wieder gern das Denkmal:

Das ist genau das, was so ein kluges Denkmal bewirken kann. Nicht Schrecken. Auch keine vermeintliche Nähe zu den Opfern. Denn die Nähe zu den Opfern steht uns nicht zu. Denen schulden wir Distanz. Und genau diese Distanz erlaubt das Denkmal von Richard Serra und Peter Eisenman. Diese Distanz ist aber keine Abweisung, sondern eine klare Differenz: Ich bin ich heute und die Opfer waren damals andere.
Gabi Dolff-Bonekämper

Die Offenheit des Denkmals trägt wahrscheinlich zu seinem Erfolg bei, denn es gibt jedem Besucher die Freiheit, sich ohne Vorgaben dazu zu verhalten. Nirgendwo findet sich ein erklärendes Schild, was manche Besucher irritiert und auch provoziert.

Eine Schulklasse sitzt auf den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin

Eine Schulklasse sitzt auf den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin.

Denkmal befreit Erinnerung von moralischem Ballast

Man sieht vor allem sehr viele Schulklassen. Befragt man sie, so beschreiben sie den Ort als traurig, leer und einsam. Andererseits bewegen sie sich keineswegs gedrückt durch das Stelenfeld, sondern wie ganz normale Schulklassen: kichernd, lachend, kreischend. Dieser Widerspruch zwischen ihrem Wissen und der eigenen aktuellen Empfindung regt aber vielleicht gerade zur Reflexion an. Uwe Neumärker hat überhaupt keine Schwierigkeiten damit, dass Kinder das Denkmal auch zum Versteck- und Fangespielen nutzen.

Die für ihn wichtigste Entscheidung war aber die Selbstverpflichtung des Bundestages, aller Opfer würdig zu gedenken. 350.000 Besucher und 2.000 Besuchergruppen zählte der unterirdische Ort der Information im vergangenen Jahr. Er wurde erst nachträglich als notwendige Ergänzung zum Denkmal beschlossen. Und damit ist trotz aller Skepsis und Kritik - zu groß, zu abstrakt - das Denkmal zu einem der erfolgreichsten Erinnerungsorte in Deutschland geworden.

Vor allem bietet es dem Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus nach dem Verschwinden der letzten lebenden Zeitzeugen eine Zukunft, dadurch dass es die Erinnerung befreit von dem moralischen Ballast und eben kein "Denkmal der Schande" ist, wie rechte AfD-Politiker das Denkmal missverstehen wollen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der RBB am 27. März 2025 um 09:20 Uhr.